Maritimes Kaleidoskop

Sachbuch | Chris Dixon, Jeremy K. Spencer: Meer. Das ultimative Handbuch

Egal, wo man anfängt oder aufhört, egal welches Kapitel man in diesem Buch aufschlägt, es wird immer der Einstieg in ein spannendes Buch sein. Es ist eines jener Bücher, die einer Pralinenschachtel ähneln, wehe man fängt einmal an … dann mag man nicht mehr aufhören. So erging es BARBARA WEGMANN

Das Buch zeigt den SChriftzug "Meer" und stilisierte WellenAlles begann eigentlich so simpel: die beiden Autoren saßen irgendwann zusammen, überlegten, wie ihr neues Projekt aussehen solle: »Es sollte etwas sein, was wir bisher vergeblich gesucht hatten: ein einzigartiges Buch.« Ein Buch sollte es sein, das einem dann einfalle, wenn man an ein Geschenk denkt. Das ist es tatsächlich geworden, allerdings: vielleicht sollte man dann gleich zwei Exemplare kaufen, sie werden eines sicher behalten wollen.

Die Väter Dixon und Spencer schrieben dieses Buch auch etwas angespornt von ihren Kindern: »Wenn dein Kind eine Frage hat oder wissen will, wie etwas geht, ist es schön, eine Antwort parat zu haben, die die Tür zu den Mysterien der Welt wenigstens ein klein wenig aufstößt.« Die beiden begaben sich an die umfangreiche Recherche und Detailsuche, sammelten, trugen zusammen, ordneten, filterten, zapften das »Wissen maritimer Experten an«, sprachen mit Forschern und Wissenschaftlern, die Beiträge zusteuerten, stolperten über alte Bräuche und mystische Meeresgeschichten.

Geheimnisvolles auf dem Meer und tief unter der Meeresoberfläche, kurzum: Herausgekommen ist eine wunderbare, kurzweilige Mischung, ein »Kompendium zeitlosen Wissens«. Die »ideale Lektüre für die Hängematte am Palmenstrand und dein Lebensretter in kniffligen Momenten« sollte es werden. Na ja, es wurde ein dickes, nicht ganz leichtes Buch, vielleicht etwas schwer fürs Reisegepäck, aber zur Vor- oder Nachbereitung eines Urlaubs am Meer bestens geeignet und letztlich auch für all die ein Handbuch, die unter diesem unheilbaren Symptom leiden; der Sehnsucht nach Wasser, Meer und Ozean.
Man darf sich auf 360 Seiten in den großen Kapiteln Nautik, Surfen, Forschung & Survival, Tauchen & Schnorcheln sowie Fischfang tummeln. Da sind ganz bekannte Dinge, wie die kleine Knotenkunde, die Verkehrsregeln auf Gewässern, ein kleines Sicherheits-ABC, die Erklärung von Ebbe und Flut, die Darstellung verschiedener Bootstypen, auch jener, die man vielleicht im Urlaub chartert, worauf sollte man hierbei unbedingt achten.

Da ist die Frage, warum einen die Seekrankheit und wie man als Surfer die richtige Welle erwischt. Da sind aber auch ganz wesentliche Fragen und Antworten: Wie verhalte ich mich, wenn jemand über Bord geht, wie berge ich Opfer, welche Rettungsmaßnahmen sind angesagt, wie funktioniert ein Kompass, wie orientiere ich mich überhaupt auf See. Im Meer kann man angeln und tauchen, man kann Strandgut finden, und: es gibt die Meeresgötter und angsterregende Meeresungeheuer, Monster aus alten Zeiten, gefürchtet von allen Seeleuten.

Und damit das Meer denen, die auf ihm reisen auch wohlgesonnen blieb, gab es damals Seemannsgarn und Aberglauben, vielleicht gibt es das ja auch heute noch: ein Schiff betritt man nie mit dem linken Fuß, man spricht niemals von Ertrinken, und man zählt nie die Meilen bis zum Ziel, weil noch viel passieren kann. »Rothaarige gelten auf See als Unglücksbringer. Man kann das Unglück bannen, wenn man den Rotschopf zuerst grüßt.«

Leider, leider fehlt dem sehr liebevoll gestalteten Buch ein Stichwortregister, was bei der beeindruckenden Menge an angesprochenen Themen sich doch eigentlich hätte aufdrängen müssen. Das Fehlen dieses Registers lässt einen dann aber das tun, was man im Wasser eben tut: Man schwimmt. Man schwimmt in diesem Buch durch die unterschiedlichsten Informationen und Themenbereiche, da ist manch Bekanntes, vieles aber auch, das Landratten sicher unbekannt ist. Und das Schwimmen wird zum wahren Abenteuer und zu einer Entdeckungsreise. Das hat also auch sein Gutes! Reichhaltig illustriert, übersichtlich im Layout; mit so viel Zuwendung und in derart vielen Facetten ist sicher noch nie über das Meer geschrieben worden.

Ein ganz wichtiges Kapitel ist die Ozeanforschung und die Frage, warum sie so wichtig ist. Ein besonderes Anliegen ist den Forschern dabei, auf die folgenreiche ‚Vermüllung‘ der Meere mit Plastik hinzuweisen. »Wir gefährden den Ozean und dessen Bewohner, die unseren Müll fressen, der so in die Nahrungskette gelangt.« Heutzutage hat leider niemand mehr Angst vor der Rache Neptuns.
Ein weiterer Experte weist auf die Erforschung der Meere in ihren Tiefen hin. Er habe über 150 Expeditionen unternommen und er vermute drei Millionen Schiffswracks, aber nur wenige seien gefunden worden. »Der Ozean produziert die Hälfte des Sauerstoffs, den wir atmen. Wer weiß, welche Medikamente noch aus Meeresarten entwickelt werden können. Doch, wie viel von der Tiefsee haben wir erforscht. Man könnte sagen, vielleicht fünf Prozent. Wir tappen völlig im Dunkeln.«

Dabei ist gerade diese Forschung so wichtig, denn »Der Ozean ist die Antwort. Ohne ihn sind wir verloren.«

| BARBARA WEGMANN

Titelangaben
Chris Dixon, Jeremy K. Spencer: Meer
Das ultimative Handbuch
München: Prestel Verlag 2022
360 Seiten, 32 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Es soll so bleiben, wie es war!

Nächster Artikel

Ferne II

Weitere Artikel der Kategorie »Sachbuch«

These Girls

Kulturbuch | Juliane Streich (Hrsg.): These Girls

›These Girls‹ ist ein Musiklexikon der besonderen Art – und doch so viel mehr. Ein Buch, das Pflichtlektüre sein sollte: für alle, die grundsätzlich an guter Musik interessiert sind. Für musikbegeisterte Feminist*innen, und solche, die es werden wollen. Von JALEH OJAN

Licht wo zu viel Schatten lag

Gesellschaft | Thomas Kistner: Fifa-Mafia Jetzt mal ehrlich, das Buch Fifa-Mafia von Thomas Kistner ist keine einfache Kost. Zu ungebremst und schnörkellos werden einem hier schallernde Fakten um die Ohren gehauen. Fifa, Fußball, Korruption, Unterschlagung, Verbandsstrukturen, die an sizilianische Familienstrukturen erinnern! Ein knalllauter Aha-Effekt ist dabei ebenso garantiert, wie eine erstmal nicht enden wollende Aufregung. Von SVEN GERNAND

Der jugendliche Camus

Menschen | Abel Paul Pitous: Mon cher Albert Wird Albert Camus noch gelesen? Die Pest? Camus stand stets im Schatten von Jean Paul Sartre. Oh, sie begründeten die Tradition der schwarzen Rollkragenpullover, dafür sei beiden gedankt, Camus kam leider früh zu Tode. Der hier veröffentlichte Brief fand sich im Nachlass des 2005 verstorbenen Abel Paul Pitou, eines Jugendfreundes von Camus, und wurde 2013 von dessen Sohn zur Veröffentlichung gegeben – die unscheinbarsten Manuskripte erreichen die Welt auf den kompliziertesten Pfaden. Pitous und Camus spielten in diversen Schulmannschaften gemeinsam Fußball, das verleiht dem Text spezielle Würze in diesem Jahr der Fußball-Weltmeisterschaft.

Weißer Fleck! Und weg!

Sachbuch | Eleonore Lappin-Eppel: Ungarisch-Jüdische Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen in Österreich 1944/45 In Österreich, diesem vielfach rätselhaften Land, in dem das Verschweigen, Verdrängen und Vergessen schon seit jeher bis in die schwindelnden Höhen der absoluten Perfektion getrieben wurde, haben die Geschichtsbücher, insbesondere die, welche die Geschehnisse des 20. Jahrhunderts darstellen, immer noch ein paar weiße Flecken, wenngleich sich deren Zahl seit den Tagen von Waldheims Pferd deutlich verringert hat. Von MANFRED WIENINGER

Flüchtige Momente des Alltags

Sachbuch | Pia Parolin, Siegfried Hansen: Praxisbuch Streetfotografie

Zwei versierte, erfahrene, professionelle Fotografen, die ein wirklich spannendes Buch gestalten, das genau das wiedergibt, was wir täglich mit eigenen Augen sehen können. Nur: Alltägliches wird uns ja nie so richtig bewusst, erst die Fotografie wird uns klar machen, was wir sehen, welchen Ausschnitt wir auswählen, welchen Moment wir festhalten, wie wir die Szene sehen, oder wie der Fotograf schließlich auf seine künstlerische Art und Weise das Gesamte sieht. Von BARBARA WEGMANN