/

Zur rechten Zeit

Gesellschaft | Thilo Bode: TTIP. Die Freihandelslüge

Zum ›Transatlantic Trade and Investment Partnership‹ TTIP gibt es zuallererst anzumerken, dass es auf einer bislang nicht da gewesenen Verflechtung von Wirtschaft und Politik beruht. Das Wort »Filz« ist aus der Mode gekommen, doch an den Realitäten hat sich nichts geändert, wir befinden uns mitten in einem Staatsstreich der Konzerne, der durch die Regelungen des TTIP auf ein unverrückbares Fundament gestellt werden soll. Von WOLF SENFF

Die Freihandelsluege von Thilo BodeThilo Bode beschreibt den Kontext, d. h. die Aushebelung parlamentarischer Meinungsbildung, die Verhandlungsführung durch Lobbyisten und die Absicht, eine Paralleljustiz für Investoren zu etablieren. Das TTIP setze die neoliberale Politik unbeirrt fort, die Deregulierung/Privatisierung drohe sich auf gewachsene kommunale Dienstleistungen wie Wasserversorgung, öffentlichen Personennahverkehr, soziale Dienste und Krankenhäuser zu erstrecken – Prozesse, die teilweise bereits umgesetzt werden.

Handlanger von Konzerninteressen

Vermeintlich zuverlässige Aussagen über positive Wirkungen eines solchen Abkommens werden reichhaltig gestreut, sie beziehen sich erwartungsgemäß auf Zunahme von Arbeitsplätzen, auf ökonomisches Wachstum etc. pp. Bode zitiert Wolfgang Münchau von der ›Financial Times‹: »Die Modelle, welche den Prognosen zugrunde liegen, funktionieren nicht mehr. Aber die Ökonomen wollen das nicht wahrhaben«. Und im Gegenteil, viele Ökonomen, darunter Joseph Stiglitz, halten steigende Arbeitslosigkeit für wahrscheinlicher.

Real gehe es darum, die bestehenden Umwelt-, Sozial-, Verbraucher- und Tierschutzstandards zu reduzieren oder einzufrieren, um den Konzernen Ausgaben zu ersparen. Politik degradiere sich zum Handlanger von Konzerninteressen und unterstütze einen Marktradikalismus ohne Beispiel nach dem Motto: ›Je weniger Vorschriften es gibt, desto mehr blüht der Handel‹. Das ist die Realität eines Staatsstreichs.

Vorsorge vs. Nachsorge

Bode weist darauf hin, dass Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel besonders die positiven Aussichten für kleine und mittlere Firmen rühme. Doch Mario Ohoven, Präsident des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft, kritisiere das Abkommen. Man darf sich fragen, wie das zusammenpassen soll.

Als einen wesentlichen inhaltlichen Punkt nennt Thilo Bode das Vorsorgeprinzip. Es handelt sich dabei um ein europäisches Rechtsprinzip, das im Umweltschutz, in der Agrarpolitik, im Lebensmittelrecht und im Gesundheitsschutz maßgeblich ist. Es besagt, dass ein Unternehmen die Unschädlichkeit eines Produkts nachzuweisen hat, bevor es dieses Produkt auf den Markt bringt; in den USA gelte das Gegenteil, dort folge man einem »Nachsorgeprinzip«. D.h. dass man nach eingetretenem Schaden die ursächliche Schädlichkeit des Produkts nachweisen muss. Na dann viel Glück für den, der bei diesen Positionen einen Kompromiss finden muss.

»Ich hab‘ viel erlebt«

Als zweiten hoch problematischen Bereich sieht Thilo Bode den Umgang mit Chemikalien, der in den USA weitaus hemdsärmeliger als in Europa verläuft. Bode nennt eine Fülle von Beispielen und hebt hervor, dass die europäische Chemikalienverordnung REACH auch von amerikanischen Experten als absolut vorbildlich gelobt werde. Wie soll man sich hier ein »Verhandlungs«-Ergebnis, einen Kompromiss vorstellen? Das dürfte für TTIP sehr glattes Parkett sein. Es sei denn wie gehabt, und Politik kuscht vor den Herren der Konzerne. Wir stecken tief drin mitten im Staatsstreich.

Bode führt ausführlich weitere Beispiele zur Situation in der Ernährung und in der Landwirtschaft an. Als besonders bedrohlich, ja erschreckend erscheint aber ein Vergleich der Arbeitsbedingungen. Lothar Schröder, ein Gewerkschafter, der im Sommer 2012 einen Arbeitskampf bei T-mobile USA, einer Tochter der Telekom, besuchte, war fassungslos: »Ich hab‘ viel erlebt, aber so etwas Unanständiges, Menschenunwürdiges im Umgang mit Personal war noch nicht dabei«.

Einige Monate bleiben uns noch

Tatsächlich könnten, so Thilo Bode, die USA im europäischen Streikrecht einen Verstoß gegen die, sind sie erst einmal gültig, Bestimmungen von TTIP sehen. Auch das Recht, Betriebsräte zu wählen, könnten sie als einen Verstoß gegen TTIP betrachten und vor einem der erwähnten nichtstaatlichen Gerichte dagegen klagen, sodass der Staat, sprich: der Steuerzahler, für den entstandenen Schaden zu zahlen hätte.

Es bleiben einige Monate Zeit, sich ausführlich zu informieren und den Widerstand gegen TTIP nach Kräften zu unterstützen. Das Buch von Thilo Bode kommt da gerade noch rechtzeitig.

| WOLF SENFF

Titelangaben
Thilo Bode: TTIP. Die Freihandelslüge. Warum TTIP nur den Konzernen nützt – und uns allen schadet
München: DVA 2015
230 Seiten. 14,99 Euro

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Vom Kampf um die Finanzen

Nächster Artikel

Sinneseindrücke

Weitere Artikel der Kategorie »Gesellschaft«

Gefährlich leben

Menschen | Hans Neuenfels: Das Bastardbuch Künstler sind immer besonders, aber Hans Neuenfels ist – ohne Zweifel – besonders besonders. Als Schauspiel- und Opernregisseur polarisierte der heute Siebzigjährige Publikum und Fachwelt. Indem er seinen Lebenserinnerungen den Titel Bastardbuch gab, verlieh er sich das Prädikat eines Nichtangepassten, eines Unzugehörigen, gar eines Ungehörigen, gleich selbst. Sicher ist auch ein wenig Theaterpose dabei. Doch hinter der Selbststilisierung steckt der unerbittliche Ernst einer beispiellosen Kunstbesessenheit. Eine (existentialistische) Haltung, die das Leben prägt. Ein »gefährliches« Leben jedenfalls, nach der Formel Nietzsches. Da kann der Anschein bürgerlicher Geordnetheit täuschen. Von HANS-KLAUS JUNGHEINRICH

Gegen die Wand

Gesellschaft | Fabian Scheidler: Das Ende der Megamaschine   Der Beginn der Abweichung, des Irrwegs, findet sich verschieden datiert bei so unterschiedlichen Koryphäen wie Martin Heidegger, Lewis Mumford, Hanspeter Padrutt, die Reihe ließe sich fortsetzen. Doch wichtiger wäre zurzeit eine Antwort auf die Frage, weshalb niemand auf sie gehört und ihre Überlegungen in politische Praxis umgesetzt hätte. Von WOLF SENFF

Die Herren der Welt

Sachbuch | Aram Mattioli: Verlorene Welten. Eine Geschichte der Indianer Nordamerikas 1700 – 1910 Einsicht, hieß es einst, sei ein Weg zur Besserung. Ohne Einsicht in eigenes Fehlverhalten sei keine Reue möglich und schon gar keine aufrichtige Entschuldigung. Einsicht betreffe das Verständnis für die Tragweite eigenen Fehlverhaltens. Die Lektüre von Aram Mattioli, ›Verlorene Welten‹, der uns die Wirklichkeit der Ereignisse im Nordamerika jener Tage in ein neues Licht stellt, verleiht massiv Gelegenheit zur Einsicht. Von WOLF SENFF

Instabil

Gesellschaft | Ansgar Graw: Trump verrückt die Welt. Wie der US-Präsident sein Land und die Geopolitik verändert Ein Versuch, den derzeitigen Präsidenten der USA politisch einzuschätzen, ist ein waghalsiges Unterfangen. Wer ihn einen Rassisten nennt oder frauenfeindlich, wird spontan Zustimmung finden, doch diese Vorwürfe sind weder besonders originell noch treffen sie den Kern einer, zurückhaltend formuliert, ungewöhnlichen Präsidentschaft. Von WOLF SENFF

Liebesgeschichte der besonderen Art

Gesellschaft | Karin Kneissl: Mein Naher Osten Wenn deutsche Auslandskorrespondenten, besonders solche mit Standort Nahost, anfangen, ihre privaten Befindlichkeiten auszupacken, ist meist Vorsicht geboten. Allzu oft dienen Reisestrapazen oder Hotelprobleme dazu, komplexere Sachverhalte zu überdecken. Ganz anders in Karin Kneissls ›Mein Naher Osten‹, obwohl es sich auch hier um eine sehr persönliche Beziehung zu einer ganzen Region handelt. Von PETER BLASTENBREI