Indiebookday 2015 | Kinderbuch | K.Koch, I.Wolfermann: Tilda und der Duft der Welt
Sehr junge Kinder nehmen von dem, was vorgeht, vieles wahr, auch in vielen Facetten. Noch fehlen aber die Wörter, das alles passend auszudrücken. Karin Koch lässt ihre kindliche Hauptfigur Tilda dieses Problem auf eine ganz besondere Art bewältigen, die Sinneseindrücke stehen im Vordergrund. Iris Wolfermann hat die gelungene Geschichte in passende Bilder umgesetzt. Von MAGALI HEISSLER
Tilda ist schon alt genug, um in die Schule zu gehen, aber wenn es darum geht, die Welt zu entdecken, verlässt sie sich am liebsten auf ihre Nase. Alles hat einen Duft, sogar Steine. Das kann sie beweisen!
Düfte sind aber nicht immer gut, es gibt unangenehme, schlechte und manchmal stinkt es sogar. Bei Papa zum Beispiel. Er lüftet nämlich seine Wohnung nicht richtig, nicht einmal, wenn Tilda und ihr kleiner Bruder ihn besuchen. Aber dem kann man abhelfen, das muss Tilda sowieso, denn gleich, wie oft sie Papa bittet, für frische Luft zu sorgen, er vergisst es. Er vergisst auch Marmelade fürs Frühstück zu kaufen, von Obst gar nicht anzufangen. Aber das ist alles nicht schlimm, Hauptsache, Tilda darf Papa besuchen.
Mama ist anderer Meinung. Sie findet, dass Papa nicht gut für die Kinder sorgt. Deswegen sollen sie Papa auch nicht mehr besuchen. Papa greift zur Selbsthilfe, aber das macht alles nur viel schlimmer. Dagegen kann der kleine Bruder, der sich tolle Maschinen ausdenken kann, keine Maschine erfinden.
Trennungsschmerz
Koch lässt die kleine Tilda die Geschichte erzählen und wie viele Kinder erzählt Tilda nicht direkt, vor allem nicht, wenn es um etwas geht, das wehtut. Sie beginnt mit dem, was gut ist, Düfte nämlich. Von Anfang an steht der Sinneseindruck im Mittelpunkt. Vom Positiven geht es zum weniger Guten. Tilda gibt nur kleine Hinweise, schnell lenkt sie ab, wenn das, was die Kinder quält, zu schmerzlich wird. Die Leserinnen lernen den kleinen quirligen Bruder kenn, der ein einzigartiger Erfinder und Maschinenbauer ist. Inzwischen hat er zwei Werkzeugbeutel, einen bei Mama, einen bei Papa. Und schon wieder ist Tilda beim Thema. Sie erzählt eine Geschichte von getrennten Eltern, vor allem aber beschreibt sie den Trennungsschmerz.
Was für Kinder lebendig, unmittelbar und leicht zu erfassen ist, ist für Erwachsene faszinierende Lektüre. Koch lässt das eigentliche Thema sehr geschickt in Tildas Schilderung wachsen, so, wie das Problem in Tildas Gefühlswelt wuchert. Deutlich wird auch die Zerrissenheit, beide Kinder spüren, dass es etwas grundfalsch ist. Die Spannung zwischen den Eltern bedrückt sie. Trotzdem genießen sie z.B. die fast ungezügelte Freiheit bei Papa, Fernsehen, Pfannkuchen und heimlich Cola trinken für Tilda. Das Umsorgtsein bei Mama aber ist ebenso schön.
Im Krieg und in der Liebe …
Koch erzählt eine recht differenzierte Geschichte dieser Trennung. Die Eltern stehen in Konkurrenz um die Zuneigung der Kinder, beide scheuen sich nicht, Tilda und den kleinen Bruder gegen Partnerin/Partner auszuspielen. Es gibt Bestechungsgeschenke und Abenteuerreisen. Mutter wie Vater wollen schließlich nur noch siegen, egal, wie sich die Kinder fühlen. Tilda leidet eher still, Hans setzt sich lautstark zur Wehr und er ist es, der am Ende direkt eingreift, als die Wut der Kinder zu groß wird. In Krieg und Liebe ist alles erlaubt. Hier führt es zu Einsicht bei den Erwachsenen, Tildas Welt duftet wieder gut, auch in Papas Wohnung. Die Kinder dürfen ihn wieder besuchen. Tildas Überlegungen am Ende sind etwas sentimental, das hätte die ansonsten perfekt erzählte Geschichte nicht gebraucht.
Illustriert ist das Geschehen ebenso liebevoll und genau. Iris Wolfermanns Buntstifte und Wasserfarbenpinsel zeichnen vorgeblich kindlich, recht farbig, Flächen sind mit feinsten Strichen gefüllt. Die zugrunde liegende Exaktheit aber macht das Gestrichel erst möglich, tatsächlich sitzt jede Linie, gleich, ob es sich um Mienenspiel, Hans’ verrückte Maschinen oder ein Kabelgewirr handelt. Die Bilderwelt ist ebenso lebendig und lebensecht. Sie illustriert vor allem das Geschehen im Text, kleine Details in den Bildern verstärken die Atmosphäre aber noch. Fallende Blütenblätter etwa Bedrückung, ein umgekipptes Spielzeugboot das Ende eines kurzen Abenteuers, Mutters angezogene Beine hoch in der Luft über dem Trampolin einen Augenblick schwereloser Freude mitten im Unglück. Wie die Nase beim Lesen sind auch die Augen gefordert und schließlich die Ohren für die Töne und Zwischentöne.
Ein Buch für die Sinne, eine originelle Umsetzung eines schwierigen und schmerzlichen Themas.
Titelangaben
Karin Koch, Iris Wolfermann: Tilda und der Duft der Welt
Wuppertal: Peter Hammer Verlag 2015
48 S. 9,90 Euro
Kinderbuch ab 7 Jahren
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