Es sollen seine letzten Bücher werden. Mit der Trilogie über eine irische Mafia-Gang in den USA der 1980er Jahre, deren erster Band, City on Fire, nun auf Deutsch vorliegt, will sich Don Winslow von seinen Lesern verabschieden. Nicht in den Ruhestand, wohlgemerkt, sondern in den Kampf gegen die weltweit spürbare existentielle Krise der Demokratie, die in seiner Heimat, wie er fürchtet, erneut in einer Präsidentschaftskandidatur von Donald Trump kulminieren könnte. Dass sich dieser Kampf besser mit Argumenten, wie Winslow sie zum Beispiel auf seinem Twitter-Kanal oder in kurzen YouTube-Filmen an Millionen von Followern versendet, ausfechten lässt statt mit Romanen, ist dabei die feste Überzeugung des Erfolgsautors. Von DIETMAR JACOBSEN
In Providence/Rhode Island haben sich zwei Gangster-Clans miteinander arrangiert. Die italienischstämmige Mafia-Familie Moretti und die aus Irland vor Generationen eingewanderten Murphys haben die Geschäfte unter sich aufgeteilt. Das funktioniert nicht zuletzt halbwegs reibungslos, weil man sich kennt, gemeinsame Feste feiert und die Patriarchen beider Familien ein wachsames Auge auf den heißblütigen Nachwuchs haben. Bis eines Tages die Immobilienmaklerin Pamela am Arm eines der Morettis auftaucht und in einer alkoholschwangeren Partynacht von Liam Murphy belästigt wird. Von da an entwickeln sich die Dinge in eine fatale Richtung. Und am Ende können nicht einmal mehr die kompromissbereitesten Männer in beiden Lagern den Ausbruch eines blutigen Bandenkriegs verhindern. Troja am Atlantik.
»Am Ende wollen die Morettis immer Geld«
Don Winslow (Jahrgang1953) bezieht sich in seinem nach eigener Aussage drittletzten Thriller, dem Auftakt zu einer Trilogie, nach der sich der US-amerikanische Bestseller-Autor aus dem Schriftstellerleben zurückziehen will, um seine Stimme fortan als kritischer Kommentator für den Erhalt der Demokratie in seinem Land einzusetzen, auf Homers Vers-Epos Ilias. Wie in dem berühmten antiken Text über den 10 Jahre andauernden Krieg um Troja wird auch der blutige Aufeinanderprall zweier Familienclans in Providence durch eine begehrenswerte Frau ausgelöst. Für Danny Ryan, Winslows zentrale Figur des Romans, verheiratet mit einer Murphy-Tochter, verkörpert die dem Atlantik entsteigende Pam dabei von Anfang an nichts Gutes: »Danny Ryan sieht die Frau […], sie taucht auf wie ein Bild aus einem Traum vom Meer, wie eine Vision. Nur dass sie real ist und es wegen ihr Ärger geben wird. Wie meistens mit schönen Frauen.«
Und natürlich behält der Mann Recht. Denn nachdem es zunächst so aussieht, als könnten die Patriarchen beider Familien, die einst die Geschäfte unter sich aufteilten und dafür sorgten, dass man bis in die Gegenwart in Frieden und gegenseitigem Respekt miteinander lebt, einen offen ausbrechenden Konflikt zwischen den Italienern und den Iren noch einmal abwenden, braucht es letzten Endes nur diesen kleinen Funken, diese eine, unbedachte Tat eines der Murphys, damit Blut fließt und Gewalt mit Gewalt beantwortet wird.
Dogtown gegen Federal Hill
City on Fire spielt in den Jahren 1986 bis 1988 an der US-amerikanischen Ostküste. Südlich von Boston und nördlich von New York liegt hier die zum Zeitpunkt der Handlung ungefähr 150.000 Einwohner zählende Stadt Providence, administratives Zentrum des kleinsten Bundesstaates der USA, Rhode Island. Hier hat die Familie Murphy das Sagen in dem Dogtown genannten Teil der Stadt, die Italiener tätigen ihre Geschäfte von Federal Hill aus. Jeder kennt jeden und einmal im Sommer trifft man sich zu einem Grillfest am Strand. Italiener und Iren üben sich, wie es scheint, in friedlicher Koexistenz.
Aber die Geschäfte laufen nicht mehr so richtig. Reich werden weder die einen mit Drogenhandel, Prostitution und Glücksspiel noch die anderen, die die Gewerkschaften und den Hafen kontrollieren. Also schielt man schon einmal hinüber zu den Nachbarn und rechnet sich aus, um wie viel besser man dastünde, bekäme man deren Einnahmen dazu. Aber wie das anstellen, ohne die Patriarchen der Familien allzu sehr gegen sich aufzubringen? Da kommt das kleine Techtelmechtel eines der Murphy-Söhne mit der schönen Pamela als Streitanlass gerade recht. Und als der hitzköpfige Liam sich nicht nur nicht an den Rat seiner Umgebung hält, die Hände von der Frau eines Konkurrenten zu lassen, sondern Pamela sogar noch heiratet und böse Gerüchte über ihren ersten Lover zu kursieren beginnen, gibt es schon bald kein Halten mehr auf beiden Seiten.
Vom Niedergang zweier Gangsterclans
Don Winslows große Kunst bestand schon immer darin, in einem äußerst verknappten Stil und mit kurzen, filmreifen Kapiteln – eines seiner besten Bücher, Zeit des Zorns (2011), untergliedert seine knapp 330 Seiten in sage und schreibe 290 Abschnitte, von denen der erste und kürzeste gerade einmal aus zwei Worten besteht –, jeder Menge Action und nicht übermäßig viel, aber mit deutlichem Vokabular beschriebenem Sex seine Leser zu fesseln. Nebenbei konnte, wer wollte, auch noch eine Menge bei ihm lernen: über den 1972 von Richard Nixon so bezeichneten »War on Drugs«, das Verhältnis der USA zu seinen südlichen Nachbarn, die Waffen- und Gewaltvernarrtheit vieler Amerikaner und schließlich und endlich über das Ende des amerikanischen Traums und die zunehmende Gefährdung der Demokratie in Winslows Heimatland.
Auch dem in klassischer Dreiteilung daherkommenden aktuellen Roman – gewidmet im Übrigen der Todesopfern der Corona-Pandemie – ist das Bemühen abzulesen, neben unterhaltsamer Action und einer sich bis zum Ende hin steigernden Dramatik auch einen Blick in die US-Geschichte zu wagen. Und weil die weiteren Teile der Trilogie offensichtlich bereits fertig geschrieben sind, spendiert Don Winslows deutscher Verlag seinen Lesern am Ende von City on Fire noch einen gut 20-seitigen Vorgeschmack auf City of Dreams, den für das nächste Jahr angekündigten ersten Fortsetzungsband. Darin wird Danny Ryan einen Neuanfang in Kalifornien wagen. Doch seiner Vergangenheit zu entkommen, dürfte nicht so leicht sein.
Titelangaben
Don Winslow: City on Fire
Aus dem amerikanischen Englisch von Conny Lösch
Hamburg: HarperCollins 2022
398 Seiten. 22 Euro
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