//

Betriebsam

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Betriebsam

Ob sie noch schreibe, wollte Farb wissen.

Anne zögerte zu antworten und griff nach einem Keks.

Oder sei das zu persönlich gefragt.

Keineswegs, nein, wehrte sie ab, im Gegenteil, das sei ein Thema, das sie sehr beschäftige.

Tilman blickte auf.

Farb schenkte Tee nach.

Es war später Nachmittag, Regen schlug gegen die Scheiben.

Im Kamin flackerte künstliches Feuer.

Gewiß, sagte sie, sie schreibe nach wie vor, nur seien die Umstände schwierig, der literarische Markt rotiere mit atemberaubendem Tempo, vergeblich suche man schrittzuhalten, wöchentlich würden neueste Hitlisten präsentiert.

Farb lachte amüsiert. Die Dinge drehen sich nur um sich selbst, sagte er, und außer daß die gewohnten Abläufe gefüttert würden, ereigne sich nichts, nada, null.

Ihr Ziel sei nicht, sagte sie, Teil dieses Marktes zu werden, gegenwärtig sei Belletristik ein Sektor im Kulturbetrieb, in derselben Schublade mit Film, Theater, Kunst, Musik, Sport, auch im Fußball würden Popstars jeglicher Couleur gepflegt, die Frauen verlangten ihren Anteil, Fußball sei ein Vorbild, nach dem alle strebten, die Dinge liefen nach bewährten Mustern, shooting stars, Fallhöhen, human interest, tiefe Abstürze, Abhängigkeiten und erbitterte Intrigen um jede Sprosse der Leiter, selbstverständlich bei stets breitem Lächeln und bester Laune, unter viel Aufwand, viel Lärm, viel Gewese.

Aber sie habe zwei Erzählungen publiziert, wandte Farb ein, und das nicht ohne Erfolg, sie könne zurecht von sich sagen, sie sei etabliert.

Facettenreich, erklärte Anne, die Dinge seien facettenreich, denn betriebswirtschaftlich betrachtet sei sie eine Neugründung, ein Start-up, das sich vorfinanzieren müsse, und das in nicht unerheblichem Umfang, als angehende Autorin müsse sie das im Blick haben, sie schreibe längst keine schwarzen Zahlen.

Tilman lächelte gönnerhaft und griff nach einem Kipferl.

Die finanzielle Seite müsse ihre Sorge nicht sein, sagte Farb.

Zum Glück, sagte Anne.

Tilman rückte ein Stück näher zum Couchtisch und suchte eine schmerzfreie Sitzhaltung einzunehmen.

Die weitaus meisten Autoren, sagte Farb, würden sich aus diversen Quellen finanzieren, überwiegend legal, beispielsweise aus einer Erbschaft, einem Lottogewinn, einem wohlhabenden Elternhaus oder Zuwendungen anderer Art, darüber existierten leider keine Daten, man sollte die entsprechenden Klassen an den Hochschulen und Instituten aufsuchen und würde dort auf viel verwöhnten Nachwuchs stoßen, dauerhaft im Wartestand auf den heißblütig herbeigesehnten Absprung.

Tilman lachte und nahm noch einen Keks.

Ob das nicht Schwarzmalerei sei, fragte er, und außerdem, ergänzte er, gingen sie oft einem Brotberuf nach.

Anne widersprach. Es gäbe viele, sagte sie, die an ihren eigenen Erwartungen scheitern und, empfindliche Seelchen, sich enttäuscht, ja beleidigt abwenden würden, sogar wenn ihnen angeboten würde, im Autorenteam einer Telenovela mitzuarbeiten.

Harte Arbeit, sagte Farb.

Man dürfe sich nicht täuschen lassen, sagte Tilman, man habe kaum eine Chance, das sei ein Knochenjob, eine Sackgasse.

Muße, sagte Anne, es gehe ihr um Muße, um Zeit, und unter ihren eigenen, komfortablen Arbeitsbedingungen tue sie sich schwer mit der Entscheidung, weiter zu schreiben, wobei es gar nicht darum gehe, ob sie denn entscheide, sondern um ihre Haltung, die an der Arbeit innerlich reife und sich mit einer Erzählung bestätige.

Wovon das abhänge, insistierte Farb.

Schwierig, sagte Anne, daß sie schreibe, sei immer auch der Ausdruck der Hoffnung, einen Beitrag für die Gemeinschaft zu leisten, einen Blick auf die Zukunft zu wagen, Licht auf Probleme zu werfen, jedenfalls verstehe sie ihre Arbeit so.

Farb schenkte Tee nach.

Tilman war sonst zurückhaltend mit süßem Gebäck, doch diese Kekse schienen ihm zu schmecken, er griff zu.

Hinzu komme, sagte Anne, daß der Markt massiv mit Publikationen versorgt werde, multimedial und mit einer Schwemme von Texten, als gäbe es kein Morgen, mit den Autoren sei es nicht anders, Autoren würden zu den Buchmessen aus allen Erdteilen und Himmelsrichtungen herbeischwirren, als ginge es um eine gigantische letzte Party, ultimo, vertraute Gesichter, man feiere sich selbst, oder etwa nicht, doch, ja, das sei üblich geworden, man habe viel Spaß, noch einmal werde präsentiert und eifrig alles aufgetischt, als werde das so erschreckend fragile Konstrukt im nächsten Augenblick unter seiner Last einstürzen, unmöglich, sagte sie, wie könne jemand unter diesen Umständen schreiben.

| WOLF SENFF

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Poesie und Krabbencocktail

Nächster Artikel

Troja am Atlantik

Weitere Artikel der Kategorie »Kurzprosa«

Walfang

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Walfang

Wir kennen überzeugende Beispiele für erfolgreichen Rückbau.

Das wäre?

Die Historie des industriellen Walfangs.

Du redest nicht über Scammons Walfänger in der Ojo de Liebre?

Nein, Susanne, sie sitzen in ihrer Lagune, zeitlich und örtlich in weiter Ferne, es fällt ihnen leicht, über unsere Gegenwart zu reden, sie sind nicht in das aktuelle Geschehen verstrickt, ihre Existenz ist nicht durch die klimatischen Veränderungen gefährdet, und ihre Erzählung klingt, wie wenn wir über Vergangenheit reden.

Der jugendliche Camus

Menschen | Abel Paul Pitous: Mon cher Albert Wird Albert Camus noch gelesen? Die Pest? Camus stand stets im Schatten von Jean Paul Sartre. Oh, sie begründeten die Tradition der schwarzen Rollkragenpullover, dafür sei beiden gedankt, Camus kam leider früh zu Tode. Der hier veröffentlichte Brief fand sich im Nachlass des 2005 verstorbenen Abel Paul Pitou, eines Jugendfreundes von Camus, und wurde 2013 von dessen Sohn zur Veröffentlichung gegeben – die unscheinbarsten Manuskripte erreichen die Welt auf den kompliziertesten Pfaden. Pitous und Camus spielten in diversen Schulmannschaften gemeinsam Fußball, das verleiht dem Text spezielle Würze in diesem Jahr der Fußball-Weltmeisterschaft.

Maschinen-Wesen

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Maschinenwesen

Wir müssen noch viel lernen, damit wir die Dinge verstehen können, Tilman.

Nein, sie liegen nicht einfach. Bereits der Übergang zur Dampfschiffahrt, so heiße es zurecht, sei ein verhängnisvoller Schritt gewesen, das sähen die Männer auf dem Walfänger genauso, man habe lange nichts von ihnen gehört.

Das Maschinenwesen greife nach der Macht?

Ob sich das so beschreiben lasse, Anne? Maschinenwesen? Vielleicht, daß es vor aller Augen als eine Abfolge technologischer Revolutionen stattfinde und dem Menschen jedesmal mit einer kurzfristigen Erleichterung des Alltags den Schneid abkaufe.

Berlin

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Berlin

Berlin, erinnerte sich Rostock, Berlin liege gar nicht weit entfernt von seiner Heimatstadt, er habe von Bremerhaven aus den Atlantik überquert und in Nantucket ausgemustert.

So sei es vielen ergangen, sagte London, die Überfahrt war strapaziös, und an der Ostküste habe man in Nantucket gleich anheuern können, denn die Jahrzehnte des amerikanischen Walfangs brachen an.

Was es auf sich habe mit Berlin, fragte Bildoon, weshalb, die Stadt liege auf der anderen Seite des Planeten, was kümmere ihn das.

Es sei eine andere Zeit, sagte Pirelli, von Walfang sei dort keine Rede mehr.

Irrfahrt mit dem Navigator

Kurzprosa | Hartmut Lange: Der Lichthof

»Es gibt kein Problem, das man nicht aus der Welt schaffen kann. Man muss nur verstehen, worum es geht«, lässt der inzwischen 83-jährige Hartmut Lange eine seiner Figuren, den Politologen Ronnefelder gleich zweimal sagen. Das klingt Lange-untypisch, fast simpel, beinahe wie ein Kalenderspruch aus einem philosophischen Ratgeber. Vom Berliner Novellisten ist man anderes gewohnt: jede Menge Düsternis, Rätselhaftigkeiten, tiefe seelische Abgründe und bisweilen schaurige Naturbeschreibungen, die er zumeist an einsamen Ufern der vielen Seen im Berliner Umland angesiedelt hat. PETER MOHR hat den neuen Novellenband von Hartmut Lange Der Lichthof gelesen.