Wettkampf

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Wettkampf

Nein, Sport ist nicht meine Sache, jedenfalls nicht organisiert in einem Verein oder in einem Fitneßstudio.

Farb nickte. Fußball auf einer Wiese in einem Stadtpark, sagte er, an freien Nachmittagen und samstags. Die Fachsprache war immer schon präsent, man lief in den freien Raum, das Spiel wurde verlagert, der Torwart positionierte sich manchmal weit vor dem Tor, war alles schon da, der Gegner wurde früh gestört, Umschaltspiel, geflankt wurde von der Grundlinie, Manni Kaltz, Horst Hrubesch, genaugenommen hat sich wenig geändert.

Die Reportagen sind aufgeladen, man muß ihnen gut zuhören, sagte Tilman, den Reportern, wie sie dramatisieren, sie sind hochprofessionell, stimmlich in allen Nuancen geschult, sie flechten Narrative ein, so exzellent, daß man überzeugt ist, die maßgebliche Veränderung habe im medialen Umfeld stattgefunden, dort sei der Sport verankert und elektrisiere den Alltag, die Events werden mit immensem Bohei zelebriert, und es werde wieder davon geredet, sich um eine Olympiade zu bewerben, man ist straff organisiert, die Funktionäre lassen nicht locker.

Während seiner Schulzeit, erinnerte sich Farb, sei Hochsprung einige Jahre lang seine Lieblingsdisziplin gewesen, Leistung im gehobenen Mittelfeld, nein, er sei sportlich kein Überflieger gewesen.

Anne legte ihr Buch beiseite, schenkte Tee ein, Yin Zhen, und nahm einen Keks, nein, das alles war nicht ihr Thema, vor wenigen Wochen gab es viel Gewese um Frauenfußball, meine Güte, was soll das, Sport als Dauerevent, dann war es zum Glück von einem Tag auf den anderen vorbei.

Vor einigen Jahren, sagte Farb, habe er mit einem Freund das Sportabzeichen machen wollen, seine Ergebnisse seien nicht schlecht gewesen, allein im Kurzstreckenlauf sei er unter der Marge geblieben, auch seien Prüfungen, er hätte das wissen müssen, nie seine Sache gewesen, und nein, als einen Sportler würde er sich nicht bezeichnen, ein paarmal hatte er sich mit Joggen anfreunden wollen, das hielt einige Monate lang an, nein, ein Sportler sei er auch da nicht geworden, Freunde gingen regelmäßig in ein Fitneßstudio.

Tilman lächelte, er rückte näher an den Couchtisch und suchte eine schmerzfreie Sitzhaltung einzunehmen.

Farb warf einen verträumten Blick hinüber zum Gohliser Schlößchen.

Er sei vor Jahren einmal in einem Fußballstadion gewesen, sagte Tilman, und habe gestaunt, wie intensiv solch ein Spiel inszeniert werde, die Fangruppen seien reibungslos in die Abläufe integriert, Friede, Freude, Eierkuchen, es herrsche Partystimmung.

Sommermärchen, sagte Farb, das Publikum werde kräftig eingeseift, TV total, die Realität werde verdrängt.

Tilman lachte. Niemand, sagte er, erinnere noch gern an Franz Beckenbauer und dessen finanzielle Verstrickungen, und über Doping werde schon gar nicht geredet.

Soeben wurde das nächste Sommermärchen abgefeiert, European Championships, sagte Farb, neue Helden betreten die Bühne, Konstanze Klosterhalfen, Julian Weber, Gina Lückenkemper und andere, Medaillenrausch ist angesagt, nein, sagte Farb, er wolle das nicht kleinreden, keineswegs, nur welche Rolle spiele diese Art Eventkultur, sie lege sich wie Mehltau auf das öffentliche Leben, Champions League werde ausgelost, Champions, wie erfrischend, überall Champions, gute Laune sei angesagt und Ausnahmen für nichts und niemanden, erbarmungslos gute Laune, die alle unaufschiebbaren Debatten ersticke.

Anne legte ihr Buch beiseite. Wir dürfen gespannt sein, sagte sie, auf Fußball in Katar im November.

Tilman lächelte. Derartige Abläufe überdrehen, sagte er, sie tendieren ins Absurde zu eskalieren, mittlerweile habe sich Sportsucht als ein Krankheitsbild etabliert, wer hätte das gedacht, mit Begleitumständen wie Eßstörungen, aber gewiß, das war zu erwarten, und gegebenenfalls träten Entzugserscheinungen auf, die Dinge präsentierten sich überaus vielschichtig, er nahm einen Keks und schenkte sich Tee nach, Yin Zhen.

| WOLF SENFF

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Renaissance für Kohl, Rübe & Co

Nächster Artikel

Vom Klimawandel, Großeltern, Monstern und Mädchenrechten

Weitere Artikel der Kategorie »TITEL-Textfeld«

Zuversicht

TITEL-Textfeld | Wolf  Senff: Zuversicht

Das selbstschlagende Herz?

Nein, nicht, keine Erfindung des Homo sapiens, nein.

Eine Stimme, die spricht und singt?

Auch nicht, nein, hat er nicht erfunden.

Zwei Augen, mit denen man den Blick auf die zehntausend Dinge werfen kann?

Fehlanzeige.

Lagerkoller

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Lagerkoller

Du glaubst es, oder du glaubst es nicht, sagte Tilman, ein mehrwöchiger Aufenthalt am Salzmeer, sagte er, sei strapaziös, die Temperaturen kletterten im Juni und Juli auf fünfzig Grad, niemand hielte das lange aus, und dennoch, man buche das Salzmeer der Gesundheit wegen, vor allem die erkrankte Haut erhole sich, die Hauptsaison beginne im Herbst und wieder im Frühjahr.

Über Weihnachten?

Ab November stehe die Sonne niedrig über den Hängen und komme selten hinter den Wolken hervor, die Luft sei diesig. Der Schachspieler habe vor Weihnachten einige Wochen im Tsell Harim gebucht, er sei einer der wenigen Gäste gewesen und habe die Stille genossen, sagt er, doch anstrengend sei es gewesen, ohne Frage, täglich im Lager am Salzmeer, er habe jeden Morgen mit den Spatzen Gespräche geführt, das Salzmeer sei ihr Winterquartier, und ihnen vom Frühstück ein Brötchen mitgebracht, sie hätten schon auf ihn gewartet.

Bestimmung

TITEL-Textfels | Ronald Glomb: Gedichte Der Lachs folgt dem Lockruf der Wildnis Er springt dem Gast vom Teller

Hui-neng

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Hui-neng

Diese Dinge liegen uns fern, sagte Termoth, das Reden vom Sechsten Patriarchen klinge wie eine Erzählung aus einer stillstehenden Zeit, habe nicht Gramner ihn kürzlich erwähnt.

Als ob es das gäbe, sagte Harmat, eine stillstehende Zeit.

Kaum zu glauben, sagte Thimbleman.

Auch hier in der Ojo de Liebre, versicherte dagegen Bildoon, stehe die Zeit still

Ins All

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Ins All

Die zehntausend Dinge, bei Lichte betrachtet, erweisen sich als relativ unkompliziert.

Wie du meinst. Susanne war nicht besonders auf Gespräch geeicht an diesem trüben Novembernachmittag. Sie hatte für Tee aufgedeckt, Yin Zhen, und las in einem Roman.

Wer kontrollieren will, ist mißtrauisch, oder?

Sie blätterte um und nickte zustimmend.