/

Ich bin in der Bouillabaisse geboren

Kulturbuch | Denis Scheck: Schecks kulinarischer Kompass

Denis Scheck ist bekannt für seine Top-oder-Flop Methode: Der resolute Literaturkritiker haut ungeliebte Werke schon mal in die Tonne oder lässt sie in Flammen aufgehen. Auch als Gourmet und leidenschaftlicher Koch ist er ein Freund der klaren Worte. Sein eben erschienener ›Kulinarischer Kompass‹ räumt auf mit Küchenmythen, zweifelhaften Geheimtipps und vermeintlichen Aversionen gegenüber Lauch. INGEBORG JAISER ist auf den Geschmack gekommen.

Der Literaturkritiker Denis Scheck beugt sich über einen großen Kochtopf. Er trägt eine Küchenschürze über der Kleidung. Rechts und links von ihm sind Bücher und Nahrungsmittel aufgestapelt.Wie kann einen gerade ein Lacanche-Herd – der snobistische Inbegriff einer protzigen Kochstelle mit Gasbrenner und Edelstahlgrillplatte – zum zeitweisen Rohköstler werden lassen? Indem ein Kurzschluss der Herrlichkeit ein Ende setzt und der Kundendienst ein Vierteljahr auf sich warten lässt. Die Stationen des Leidens und der zwangsläufigen Neuorientierung vermag wohl niemand so bildhaft zu beschreiben wie Denis Scheck. Denn hinter dem bekannten Literaturkritiker, Übersetzer und Herausgeber steckt auch ein veritabler Koch und leidenschaftlicher Gourmet. Der übrigens durchaus bereit ist, seine überholten Ansichten humorvoll zu revidieren: »Lange habe ich Gurken für den vierten Aggregatzustand von Wasser gehalten.«

Das älteste Narrativ der Welt

Liegt nicht die Verwandtschaft von Literatur und Kulinarik auf der Hand? Denn: »Der Weg vom Rohen zum Gekochten ist das älteste Narrativ der Welt. Kochen ist eine Art, eine Geschichte zu erzählen. Man kann auch den Teller lesen.« So wie schon sein Kanon der Weltliteratur nicht unbedingt als unumstößliches Regelwerk zu verstehen ist, so vereint auch Schecks kulinarischer Kompass eher eine lose Abfolge von wegweisenden und appetitanregenden Texten: Anekdoten, Restaurantempfehlungen, gastrosophische Miniaturen, Speisekartenprosa, zuweilen sogar die vage Andeutung eines Rezeptes, einer Zubereitungsart.

Gehörig gewürzt mit literarischen Anleihen von Jane Austen, Hölderlin und Fontane, aber auch modernen Zeitgenossen wie Robert Gernhardt, Doris Dörrie, Sven Regener oder Tocotronic. Mit den eingestreuten Referenzen zeigt sich Denis Scheck nicht nur höchst belesener Literaturkritiker, sondern auch als weltoffener Kulturkenner.

Kulinarische Ansichten eines Dandys

Charmant und weltgewandt, mit unverwechselbar dandyhaftem Unterton (den man mögen muss), lässt uns Denis Scheck teilhaben an der Leidensgeschichte des Lebkuchens, dem Geschmack eines Seeigels, der Funktionsweise einer Kolbenkanne. Er lüftet das Geheimnis einer idealen Hotellobby und der Zubereitung von Oeufs en meurette, lobt und lästert in gewohnter Manier, mit hämischen Seitenhieben auf seine Geburtsstadt (»Stuttgart, das sich durch seinen Versuch, einen neuen Hauptbahnhof zu bauen, gerade ein zweites Mal das Leben nimmt, ist ein Metzingen in XXL«) und seine Wahlheimat Köln.
Und changiert als polyglotter Kosmopolit zwischen allen Idiomen: vom unverhohlenen Urteil über einen Krimischriftsteller (»Wat ´ne fiese Möpp!«) bis zum Spätzlerezept seiner Großmutter (12 Eigelb auf 250 Gramm Mehl – »so, wie sich´s ghörd«).

Ein Tisch für sich allein

Dass Denis Scheck als halbwüchsiger 13-Jähriger bereits als Literaturagent tätig war, scheint fest in seiner Vita eingeschrieben zu sein. Doch wer konnte ahnen, dass er im gleichen jugendlichen Alter als frühreifer Selfmademan bereits einen Tisch für sich allein in einem Sternelokal reserviert hat? Vermutlich konnte sein Lieblingsfrühstück (aus einem weichen Ei und einem gebutterten Sesamknäckebrot bestehend) nicht über den ganzen Tag sättigen. So viele Einblicke ins Private schüren die Legendenbildung ungemein.

Man kann ›Schecks kulinarischen Kompass‹ Seite für Seite chronologisch angehen oder die überschaubaren Kapitel häppchenweise goutieren, in einer entspannten Kaffeepause oder während man darauf wartet, dass das Nudelwasser kocht. Eine gleichermaßen hilfreiche wie humorvolle Zugabe stellt das ausführliche 18-seitige Register dar (von A wie Aachener Printen bis Z wie Zwiebelsoße), deren Stichwörter im Text in frischem Petersiliengrün herausgehoben sind. Ein appetitanregender Lesegenuss für alle Gourmets und Gourmands, für alle lernbegierigen Hobbyköche und eingefleischten Kulinariker: mal süffig wie ein Trollingerschorle, mal herb wie ein Birnenmost.

| INGEBORG JAISER

Titelangaben
Denis Scheck: Schecks kulinarischer Kompass
Köstliches und Kurioses aus meiner Küche und aller Welt
Mit 17 Schwarz-Weiß-Abbildungen von Torben Kuhlmann
München: Piper 2022
295 Seiten, 26 Euro
| Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Klare fotografische Ansagen

Nächster Artikel

Lesestoff

Weitere Artikel der Kategorie »Kulturbuch«

Im Rausch(en) der Geschwindigkeit

Ausstellung | Kulturbuch | Christoph Naumann: ›Rauschen‹ in Würzburg (BBK Galerie) Fußgänger und Autobahn. Zwei Formen der Bewegung prallen in der Arbeit des Würzburger Fotografen Christoph Naumann aufeinander. Großformatige Landschaftsbilder zeigen Räume und Orte, denen normalerweise keine Beachtung geschenkt wird. Weil wir sie im Temporausch übersehen – oder zu Fuß nie besuchen würden.

Bilder aus einem fernen Land

Kulturbuch | Graetz / Teubert: Stadt, Land, Leben. Fotografien aus der DDR 1967-1992 »Land der Knipser« hat man die DDR manchmal genannt. Das ist richtig, wenn man die Verbreitung des Hobbys Fotografie anschaut. Ganz anders als in der BRD – die ja nicht weniger ein »Land der Knipser« war – scheint sich aber sogar die vergangene ostdeutsche Realität überhaupt erst aus privaten Schnappschüssen zu erschließen, fernab von langweiligen, inszenierten offiziellen Aufnahmen. Jürgen Graetz, dessen Bildern Stadt, Land, Leben gewidmet ist, ist ein besonderer Fall, ein offizieller Fotograf auf Abwegen. Von PETER BLASTENBREI

Small Talk der Selbstgefälligen

Kulturbuch | Francois Garde, Das Lachen der Wale. Eine ozeanische Reise Spurensuche, ja, das ist bekannt, das ist ein kriminalistisches Verfahren auf der Suche nach einem Täter. Ins Allgemeine erweitert bezeichnet es eine Methode, Erkenntnisse zu gewinnen. Spontan drängen sich da die ›Stolpersteine‹ in den Sinn, das mittlerweile europäische Kunstprojekt, das, die Spuren von Opfern des Nationalsozialismus sichernd, uns gleichsam stolpernd auf deren Spuren bringt, damit wir nicht nur nicht vergessen, sondern uns Erinnerung aneignen und daraus für die Zukunft lernen. Von WOLF SENFF

Abfahrt Leben, Gleis 1

Kulturbuch | Juliane Zimmermann: Der Teufel steckt im ICE Sie tragen schmucke dunkelblaue Uniformen mit roten Farbakzenten, kennen fast jeden Bahnhof in Deutschland (wenngleich eher selten alle Städte dahinter) und sind geschult im Krisenmanagement: die Zugbegleiter der Deutschen Bahn. Juliane Zimmermann ist eine davon. Was sie während ihrer Fahrten alles erlebt hat, hat sie in einem Buch veröffentlicht. INGEBORG JAISER über das Leben auf der Schiene.

Ein Monument für Mordechai

Kulturbuch | Uwe von Seltmann:Es brennt Mit ›Es brennt‹ würdigt Uwe von Seltmann den bekannten jüdischen Dichter und Liedermacher Mordechai Gebirtig und dessen Lebenswerk, etwa 120 bis heute gesungene jiddische Volkslieder. Von FLORIAN BIRNMEYER