Sprechen wir ihnen etwa ab, daß sie das Leben genießen?
Sie genießen nicht, Bildoon, das täuscht, die Moderne ist ein Zeitalter im Irrtum.
Wie solle sie im Irrtum sein, widersprach der Zwilling, sie handle nicht anders als wir, unsere 49er beuten die Goldminen aus und feiern ihren Reichtum, was solle daran falsch sein, gut, sie trinken und schlagen über die Stränge, wir tun das doch auch.
Nicht auf Scammons Walfänger, konstatierte Eldin trotzig und legte einen Scheit Holz ins Feuer.
Es gebe rote Linien, bekräftigte LaBelle.
Sanctus nickte.
Sie hörten angestrengtes Atmen und sahen den Ausguck aus der Dunkelheit auftauchen.
Was hatte der nur andauernd mit seinem Salto, fragte sich Crockeye.
Setzt euch in die Spelunken am Hafen und seht zu, wie die Menschen feiern, riet der Zwilling, das werde ihnen niemand austreiben, und ob nicht die Moderne ihre peinlichen Erfahrungen damit gemacht habe, den Alkohol zu verbieten.
Gramner lachte. Die Prohibition, sagte er, zwanziger und frühe dreißiger Jahre, die Zeit von Meyer-Lansky und Al Capone.
Moralapostel, lästerte der Rotschopf.
Gramner legte die Stirn in Falten.
Die Flammen schlugen hoch.
Der Ausguck starrte ins Feuer.
Das tagelange Nichtstun drückte auf die Gemüter, es roch nach Streit.
Eldin lächelte, die Schulter hatte sich gut erholt, und wenngleich die Stimmung explosiv war, sah er keinen Grund, sich hängen zu lassen, sie würden in den nächsten Tagen die Jagd auf den Grauwal wieder aufnehmen, das würde die Lage entspannen.
Irgendwann müsse der Irrweg unverblümt zutage treten, erklärte Gramner und nahm den Faden wieder auf, weshalb also nicht bei den Goldgräbern und ihrer grenzenlosen Gier, ihrer elenden Sauferei, ihrem verdammten Glücksspiel.
Dagegen komme keiner an, sagte Pirelli, auch in der Moderne werden sie Unheil stiften.
Die Prohibition, sagte Gramner und lachte, sei das Resultat einer massiven religiösen Kampagne.
Der Pfaffe und sein verzweifelter Kampf für das Gute, spottete der Rotschopf.
Aber das Verbot sei von der Cosa Nostra unterlaufen und im Alltag weitgehend ignoriert worden, sagte Gramner.
Schmuggel und Schwarzmarkt, sagte der Zwilling.
Das seien wohl eher Nebenschauplätze gewesen, sagte Gramner, maßgeblich sei, wann der Leistungszwang eingesetzt habe, er habe mit einer atemraubenden Dynamik Wettbewerb und Konkurrenz etabliert, verschärft und etwaige andere Abläufe gar nicht aufkommen lassen.
Der Alkoholkonsum sei ein Vehikel, dem Alltag zu entfliehen und bereits ein Resultat des Hochleistungswahns, protestierte der Rotschopf, das wisse doch jeder.
Unverwechselbar, kommentierte LaBelle trocken, ein Symptom totalitärer Herrschaft.
Die Leistungserwartungen wurden forciert, sagte Gramner, und höchste Ansprüche an effektive Abläufe gestellt, engmaschige globale Lieferketten wurden etabliert, Hierarchien verschlankt, individuelle Selbstoptimierung wurde zum Standard.
Wir reden über den Neoliberalismus im ausgehenden zwanzigsten Jahrhundert, erklärte Pirelli.
Absolut tödlich, sagte der Zwilling.
Der Mensch der Moderne werde, sich dem zu entziehen, sich neu erfinden müssen, sagte Gramner, er werde unter Krankheiten leiden, die ihm die Industrialisierung und der Neoliberalismus hinterließen.
Nebenwirkungen, spottete Thimbleman.
Begleiterscheinungen, höhnte Bildoon: Kollateralschaden.
Krankheiten, wiederholte LaBelle und lachte verächtlich, ein beispielloses Elend werde schöngeredet, es gehe längst nicht mehr um Krankheiten, sondern um die Havarie einer Zivilisation.
Touste schlug Akkorde auf seiner Gitarre an und summte eine Melodie.
Der Mensch sei ausgebrannt, sagte Gramner, der Planet sei heruntergewirtschaftet, die Moderne trudele in den Bankrott, da seien Zweifel angebracht, daß das Leben neu erfunden werde.
All das ereigne sich zum Glück in weiter Ferne, sagte sich Bildoon und lächelte.
Eldin legte einen Scheit Holz ins Feuer.
Der Ausguck stand auf, ging einige Schritte und tauchte ab in die Dunkelheit.
Was hatte der nur mit seinem Salto, fragte sich Crockeye gereizt.
Der Planet, konstatierte Thimbleman, der Planet sei es, der sich neu erfinden werde.