Der Comic-Künstler Ed Piskor entwirft mit »Red Room« ein beinhartes Near-Future-Szenario: Er erzählt von Snuff-Filmen, die im Darknet kursieren – mit brutalen Bildern, die einem keine Details ersparen. Der erste Sammelband der Reihe erschien in deutscher Übersetzung beim neu gegründeten Schweizer Verlag Skinless Crow. CHRISTIAN NEUBERT nahm sich den abgründigen Stoff vor.
Snuff, ja, das kennt man, da hat man von gehört. Von Filmen, die reale Folterungen und Tötungen zeigen. Sie stoßen ab und regen auf, wecken Neugier und beflügeln Fantasien – und existieren wohl nicht wirklich. Snuff-Filme sind ein moderner Mythos, gewachsen in den schlecht ausgeleuchteten Ecken längst geschlossener Videotheken. Sie bezeichnen ein Genre, das keinen einzigen Vertreter kennt. Interessant!
Nun belegen allerdings viel zu viele Beispiele, dass es durchaus Filmaufnahmen von schlimmen Verbrechen gibt, die online verfügbar gemacht werden. Gerne würde man deren Existenz erfolgreicher verdrängen. Oder Comics darüber lesen? Ja. Jene von Ed Piskor, der als Rap-Chronist mit ›Hip Hop Family Tree‹ bekannt wurde, daraufhin mit ›X-Men: Grand Design‹ für Marvel im Mainstream ankam – und sich nun in die Schmuddelecke begibt: Sein neuer Comic ›Red Room‹ handelt von Snuff. Von spekulativem Snuff, der im Darknet verbreitet wird, in den namensgebenden Red Rooms, quasi virtuellen Peepshows für krasse Gewalt. Wer über die nötigen Bitcoins verfügt, kann sich einkaufen, kann live dabei sein, kann zusehen, kommentieren, Fan werden. Social Media am Abgrund also – beziehungsweise »the antisocial network«, analog zum Untertitel der Comicreihe. Und das Geschäft floriert. Es ist derart lukrativ, dass sich die konkurrierenden »Studios« immer neue, immer krassere Exzesse einfallen lassen, um am Markt bestehen zu können.
Gewalt als Verkaufsargument
Piskor hält auf den Gräueltaten ebenso drauf wie die Kamera – mit feinem, auf Detailfülle bedachtem Strich auf beigefarbenem Grund. Weiß gibt es nur in den Sprechblasen und spärlich eingesetzt als Schmuckfarbe. Seine Figuren wirken mitunter recht cartoonhaft, teils auch aufgrund sehr eigenwilliger Physiognomien. Piskor zeigt das schauderhafte Gemetzel, die ›Gesichter des Todes‹ – und gleichzeitig, wie der Torture Porn konsumiert wird.
Man sieht die Gewalt sozusagen als Bildschirmfoto, oder direkt als offenes Browserfenster, inklusive Donate Button und Kommentarspalte. Die Täter in den Videos sind fantasievoll maskiert, sie tragen Kostüme und Namen wie Wrestler, die direkt der Attitude Era der WWF entsprungen sein könnten – oder eben wie »Machine«, der Snuff-Killer in Joel Schuhmachers Film ›8mm‹. Nur dass ›Red Room‹ sehr viel härter Mark und Bein durchfährt und rein gar nichts der Fantasie überlässt.
Lukratives Geschäftsmodell
Der Comic bietet allerdings mehr als repetitive Gewaltexzesse. Der episodische Aufbau der lose verknüpften Kapitel beleuchtet das abgründige Thema von allen Seiten – aus Tätersicht, Opfersicht, Konsumentensicht, Ermittlersicht. Ein Kapitel beginnt beispielsweise damit, wie Mitglieder eines »Streaming-Dienstleisters« an ihre unfreiwilligen Main Characters kommen: Sie geben sich als Bergungseinheit aus und »retten« per Helikopter einen Hilfesuchenden vom Hausdach, auf dem dieser vor der Flut Zuflucht sucht – was einen an die Nachrichtenbilder erinnert, die über den Bildschirm flimmerten, als Hurrikan Katrina den Süden der USA unter Wasser setzte.
Derart in der realen Lebenswirklichkeit verankert, liest sich ›Red Room‹ durchaus wie ein grimmiger, zynischer Kommentar auf Hate Speech, auf die Abgründe der anonymen Netzkultur und auf den zügellosen Kapitalismus der globalisierten Welt. So kann der Comic auch über den ersten Sammelband hinaus fesseln, sodass die dreibändige Reihe auch eine Leserschaft anspricht, die sich nicht ausschließlich aus abgedroschenen Gorehounds rekrutiert. Die warten sicher eh schon auf den zweiten Band – und freuen sich, dass er bei Skinless Crow schon in den Startlöchern steht.
Titelangaben
Ed Piskor: Red Room – The Antisocial Network Bd. 1
Zeichnungen: Ed Piskor
Aus dem Amerikanischen von Jaqueline Stumpf
Niederwangen: Skinless Crow 2022
160 Seiten, 37,50 CHF
Limitiert auf 666 Exemplare