Nena Knight arbeitet als Vollstreckerin. Ihr Auftraggeber: eine geheime afrikanische Organisation namens »The Tribe«. Von deren Vertretern bekommt die in Ghana Geborene jene Ziele genannt, die sie ausschalten soll. Und Nena, die sich als Elite-Killerin Echo nennt, ist absolut zuverlässig und hundertprozentig tödlich. Bis sie statt eines Bundesanwaltes, den sie in Miami ausschalten soll, den Mann tötet, den ihr Attentat eigentlich vor der Verurteilung durch diesen Anwalt retten sollte. Denn sie kennt den sich jetzt Smith nennenden Delinquenten aus ihrer Vergangenheit. Und da haben er und der Geschäftsmann, der vom Rat des »Tribe« die Eliminierung jenes Anwalts als Vertrauensbeweis verlangt hat, ehe er ein lukratives Handelsabkommen an die Organisation vermittelt, eine fatale Rolle gespielt. Von DIETMAR JACOBSEN
Als Kind hieß Nena Knight Aninyeh Asym und lebte mit ihrem Vater und drei Brüdern in dem ghanaischen Dorf N’nkakuwe. Als Stammesältester genoss ihr Vater hohes Ansehen, weil er keine Unterschiede zwischen den Menschen machte und sich bei all seinen Entscheidungen um Gerechtigkeit bemühte. Das hilft ihm und den Seinen freilich wenig, als er sich nicht dazu bereit findet, eine paramilitärisch organisierte Bande bei ihren verbrecherischen Aktionen zu unterstützen. Sein Dorf wird überfallen, die Behausungen niedergebrannt, die meisten Männer getötet, die jungen Mädchen entführt und als Sklavinnen verkauft.
Für Aninyeh beginnt anschließend ein langer Leidensweg. Er führt das junge Mädchen über ein Lager, in dem man ihren Willen mit brutalsten Methoden zu brechen sucht, schließlich in das Haus eines reichen Pariser Psychopathen, der glaubt, weil er für sie bezahlt hat, alles mit ihr anstellen zu können. Erst nach Monaten der Erniedrigung gelingt Aninyeh die Flucht. Ihr Peiniger ist der erste Mensch, den sie tötet.
Lebensweg einer Vollstreckerin
Noble Knight, dem Ratsvorsitzenden des »Tribe«, einer geheimen Organisation, die sich die wirtschaftliche Stärkung aller afrikanischen Länder aufs Panier geschrieben hat, begegnet die sich fortan Nena Nennende, nachdem sie – noch in Paris – dessen Frau spontan das Leben gerettet hat. Sofort von dem Mädchen angetan, nimmt Delphine Knight sie mit nach London, von wo aus die Knights ihre Organisation »The Tribe« steuern. Von da an wächst Nena nicht nur in ihre zweite Familie, zu der noch die leibliche Tochter der Knights, Elin, gehört, hinein, sondern auch in die Geschäfte und Operationen des »Tribe«. Und während Elin sich hauptsächlich um organisatorische Fragen kümmert, ihr Reich der Schreibtisch ist, hat Noble schnell erkannt, dass seine neue Tochter andere Eigenschaften besitzt und lässt sie zur Vollstreckerin, die sich den Kampfnamen Echo gibt, ausbilden.
Als solche lernen die Leser die Frau gleich auf den ersten Seiten von Yasmin Angoes Debütroman kennen. Die Amerikanerin der ersten Generation aus Ghana hat, bevor sie begann, Bücher zu schreiben, fast 20 Jahre lang als Lehrerin und Lektorin gearbeitet. Für ihr außerordentlich spannendes und gut geschriebenes Debüt bekam sie nicht nur jede Menge Lob von gestandenen Autoren und Autorinnen der Branche, sondern auch Preise und Nominierungen von renommierten Organisationen und Buchklubs. Inzwischen liegen von Yasmin Angoe im englischen Sprachraum zwei weitere Romane um die Heldin ihres Debüts vor.
Die »Reiter der Apokalypse«
Es ist eine folgenschwere Begegnung, die Nena Knight alias Echo aus einer alle ihr erteilten Aufträge unwidersprochen ausführenden, eiskalten Killermaschine in eine Rachegöttin verwandelt, die immer mehr ihre eigenen Ziele verfolgt. Denn gerade als sie den amerikanischen Bundesanwalt Cortland Baxter ins Visier nimmt, um ihn im Auftrag des »Tribe« zu töten, erkennt sie in dem ihn begleitenden Mann, der durch den Tod seines Anklägers vor dem Gefängnis bewahrt werden soll, einen jener Männer, die verantwortlich waren für den Tod ihres Vaters und ihrer Brüder. Und kurzerhand erschießt sie nicht den Vertreter des Gesetzes, sondern jenen verhassten Mörder, der eigentlich schon längst für seine Taten bestraft sein sollte.
Was folgt ist eine wilde Jagd auf die anderen Anführer des Gemetzels, das Nenas Kindheit und Jugend so abrupt beendete. Sie hat sie die »Reiter der Apokalypse« getauft – Männer, die den Schrecken in ihr junges Leben brachten. Eigentlich sollten sie längst tot sein, gejagt von Männern des »Tribe« auf Befehl von Nenas Ziehvater Noble Knight. Doch sie haben nur die Füße still gehalten und die Jagd im Verborgenen überlebt. Nun sind sie wieder da und fest entschlossen, über den »Tribe« neuen Einfluss zu gewinnen. Und Nena hat inzwischen nicht nur Verantwortung für sich und ihre Familie, sondern auch für Baxter, den Bundesanwalt, den sie erst verschont hat, bevor sie sich in ihn verliebte und von dessen Tochter Georgia als eine Art Ersatzmutter angesehen wurde.
Rachegeschichte und Befreiungsutopie
Echo der Gewalt bezieht seine Spannung nicht zuletzt aus der geschickten Form, die Angoe für ihr Debüt gewählt hat. Denn die alles in allem 82 Romankapitel sind bis auf eine Ausnahme, das den Roman beschließende Kapitel nämlich, unterteilt in Abschnitte, die mit Davor und solche, die mit Danach überschrieben sind. Erzählen Erstere in der Ich-Form die Vorgeschichte der Profikillerin Nena und verfolgen ihren Lebensweg aus Ghana über Frankreich und England bis in die Gegenwart, in der sie sich in Miami niedergelassen hat, spielen die Danach-Kapitel – in denen das Erzählen in der ersten Person durch eine neutrale Außenperspektive ersetzt wurde – in der Gegenwart. Einer Gegenwart freilich, die mehr und mehr von den Schatten der Vergangenheit überlagert wird und in der sich Angoes Heldin am Ende nicht nur den Mördern ihrer Stammesbrüder und -schwestern zu stellen hat, sondern noch mit einer ganz persönlichen tragischen Erfahrung fertig werden muss.
Mit Echo der Gewalt ist Yasmin Angoe gleich mit ihrem ersten Thriller ein Buch gelungen, das nicht nur spannend und actionreich von der ersten bis zur letzten Seite ist, sondern seine gut erfundene Geschichte auch vor dem Hintergrund der mannigfaltigen Probleme auf dem afrikanischen Kontinent erzählt. Menschenhandel, die Akzeptanz von Gewalt als Konfliktlösungsmittel, die untergeordnete Stellung von Frauen in der Gesellschaft und das langsame Erwachen eines neuen Selbstbewusstseins – das alles wird thematisiert, letztlich freilich auf einer Ebene verhandelt, die mehr mit einem Quentin-Tarantino-Film zu tun hat als mit der heutigen Wirklichkeit zwischen dem Kap der Guten Hoffnung und der Straße von Gibraltar, Dakar und dem Golf von Aden. Auf den ersten Blick ist es eine Rachegeschichte, die im Mittelpunkt des Romans steht: Die (scheinbar) einzige Überlebende eines verheerenden Massakers begegnet Jahre später den Verantwortlichen von damals wieder und nimmt sich einen nach dem anderen von ihnen vor. Über die Organisation des »Tribe« und seines die über die ganze Welt verstreute Organisation führenden Rates, der sich ein vereintes Afrika zum Ziel gesetzt hat – »Wird einer satt, werden wir alle satt.« –, verleiht sie aber auch der Sehnsucht des Kontinents ihrer Vorfahren nach Selbstbestimmung und wirtschaftlicher Unabhängigkeit Ausdruck.
Titelangaben
Yasmin Angoe: Echo der Gewalt
Aus dem amerikanischen Englisch von Karin Diemerling
Berlin: Suhrkamp Verlag 2023
422 Seiten, 18 Euro
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