Es ist Weihnachtszeit, früh wird es jetzt dunkel und die Fenster auf der Straße leuchten hell und gemütlich wie Türchen im Adventskalender. Irgendwo dort, hinter den Fensterscheiben träumt ein kleines Mädchen. BARBARA WEGMANN erzählt von diesem Traum.
Von Schnee träumt das Mädchen, von Kerzen und Sternen, von Musik und Geschenken, eigentlich doch wie alle kleinen Kinder zu dieser festlichen Weihnachtszeit. Nur: bei Sofie ist es so still zu Hause, der Vater ist mit so vielem beschäftigt, hat keine Zeit, das macht Sofie traurig. Das kleine Mädchen nimmt sich seinen Mantel und »stapft hinaus in den kalten Wintermorgen.« Etwas »Schönes« will sie finden hier draußen, »etwas Magisches. Etwas Fröhliches. Etwas Besonderes«. Da ist nur ein Traum. Wohin sie geht, weiß sie nicht, die Schneeflocken werden größer, der Sturm nimmt an Fahrt auf.
Richtig verloren wirkt das kleine Mädchen auf den großen Hochformatseiten, eingetaucht in ein Meer aus frostigen Blautönen, auf denen weiße Schneeflocken aller Größe tanzen, schemenhaft werden die Hochhäuser, je weiter Sofie sich von Zuhause entfernt. Ein großer Elch mit »freundlichen Augen« begegnet ihr und nimmt sie mit auf seinem Rücken, wo es »wollig- warm und sicher« ist.
Linde Faas, niederländische Künstlerin und Illustratorin hat ein märchenhaftes Buch geschaffen, die raumgreifenden Bilder, die von den Motiven her übersichtlich und zurückhaltend sind, lassen viel, viel Platz für die wunderbar, weihnachtliche weiß-blaue Schnee- und Winterpracht. Jede Seite steckt voller Atmosphäre und winterlicher Stimmung. Der Text ist sparsam, aber sehr hübsch geschrieben. Ein wenig erinnert die Geschichte, wenn ich so überlege, an Märchen von Andersen, unter anderem ›Das Mädchen mit den Schwefelhölzern‹, auch hier ein trauriges Mädchen in einer Winternacht und an das Märchen ›Der Tannenbaum‹: Jener kleine Tannenbaum, der auch einmal so groß werden möchte, wie die um ihn herumstehenden großen Tannen – und das erleben möchte, was man so erzählt, er möchte auch geschmückt und bewundert werden, im Licht stehen.
Genau so einem kleinen Baum begegnen Sofie und der Elch. »Am Ufer eines kleinen knackenden blauen Sees steht ein kleiner Baum, zu einer Seite etwas krumm. Ohne Schmuck und ohne Kerzen. Ganz allein.« Der kleine Tannenbaum erobert im Nu das Herz des kleinen Mädchens und Sofie hat spontan auch einen Plan. Er solle Geschenke bekommen, der kleine Baum: Schließlich: »Verdienen nicht alle, die allein sind, etwas Schönes?« Was für eine anrührende Empathie.
Was dann passiert gehört nun wahrlich in die Welt der Märchen und ist wunderschön und in zarten Bildern dargestellt. Sofie mobilisiert alle Waldbewohner, alle bringen Geschenke und natürlich wird es ein großartiges Weihnachtsfest, allerdings: Da ist so eine Traurigkeit in Sofies Herz. »Doch warum, das weiß sie nicht.« Könnte es sein, dass sie jemanden vermisst? Eine zauberhafte Wintergeschichte.
Titelangaben
Linde Faas: Irgendwo im Schnee
(Ergens in de sneeuw, 2022). Aus dem Niederländischen von Kristina Kreuzer
Hamburg: von Hacht 2023
32 Seiten, 16 Euro
Bilderbuch ab 4 Jahren