//

Am Ende

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Am Ende

Die widrigen Abläufe, sagte Termoth, seien so offensichtlich, und weshalb stehe niemand auf, sie innezuhalten.

Wovon rede er, fragte Harmat.

Die Moderne bahne sich an, sagte Thimbleman, sie hinterlasse jetzt schon einer breite Spur der Vernichtung, du siehst es auch daran, daß die anmutigen Windjammer durch stinkende Dampfschiffe ersetzt werden, und das, sage er, sei erst der Anfang.

Die Goldgräberei, sagte Bildoon, entwurzle den Menschen, sie treibe Vagabunden und Glücksritter kreuz und quer über den Planeten, nichts sei wie vorher.

Über undenkbar lange Zeiten, sagte Termoth, habe sich das Leben ausgebreitet, sei gewachsen, habe sich in vielfältigen Formen niedergeschlagen und eine faszinierende Vielfalt entstehen lassen, Lebewesen, Pflanzen, Früchte der Erde, dem Menschen sei eine Sprache zugefallen, so daß er sich verständigen könne, nein, man könne das nicht hoch genug schätzen: der Mensch verständige sich über die zehntausend Dinge, und auch unter den übrigen Geschöpfen hätten sich Gemeinschaften herausgebildet, alles das – wer zur See fuhr, habe sich stets auf die Winde verlassen können – auf dem Fundament einer stabilen, unverbrüchlichen Harmonie der planetarischen Abläufe, das jedoch durch die einsetzende moderne industrielle Produktion existenziell bedroht sei.

Rückschläge, wandte LaBelle ein.

So etwas komme vor, beschwichtigte Rostock.

Nein, widersprach London, Termoth sieht ein Ende der menschlichen Zivilisation, der Mensch werde aussterben.

Crockeye lachte. Das werde dem Wal das Leben retten, sagte er.

Auch den Wal werde es nicht mehr geben, sagte London.

Unmöglich, sagte LaBelle.

Das sei der Fortschritt, sagte Touste.

Eldin legte einen Scheit Holz ins Feuer.

Das Rauschen des Ozeans drang sanft bis in die Ojo de Liebre.

Der Ausguck stand auf und löste sich nach wenigen Schritten in der Dunkelheit auf, sie hörten ihn einen Salto schlagen.

Was der nur mit seinem Salto habe, sagte sich Crockeye, ein Walfänger sei doch kein Zirkus.

Der Planet werde durch die Moderne heruntergewirtschaftet und geplündert werden, und Termoth gehe davon aus, sagte Thimbleman, daß die Balance des Lebendigen durch das sich ungehemmt ausbreitende Maschinenwesen und dessen technologische Revolutionen gestört werde, sie müsse sich von Grund auf neu arrangieren, das werde ein äußerst schmerzhafter Prozeß werden, und nein, fügte Thimbleman hinzu, das werde sich in der Zukunft abspielen, alles in der Zukunft.

Unsere Urenkel, sagte Rostock.

Ur-Urenkel, sagte London.

Da müßten wir wohl von Glück reden, sagte Harmat.

Die Zerstörungen würden gewaltig sein, sagte Gramner, und jenseits aller menschlichen Phantasie: Feuersbrünste, Flutwellen, Vulkanausbrüche, Erdbeben, der Planet schüttele sich, er werde sich neu aufstellen, seine urtümlichen titanischen Kräfte seien aus ihren Ruhezonen zurückgekehrt in die Sphäre des Lebens, es gelte das überhandnehmende Maschinenwesen einzudämmen, mächtige Energieströme zu bändigen, ihnen neue Zügel anzulegen.

Eldin lächelte.

Wie aufregend, sagte Harmat.

Ein Roman, sagte Pirelli.

Fesselnd, sagte Touste und schlug auf seiner Gitarre einige Akkorde an.

Ein geistreiches Narrativ, sagte London.

Musik, Künste, Literatur, sagte Gramner, die süßesten Früchte der Kultur, sie würden einbrechen, eliminiert von heute auf morgen, null, die regelmäßigen Abläufe seien verlagert, das vernichtende Gift des Maschinenwesens müsse neutralisiert werden, die Balance des Lebendigen neu justiert, und kein Raum bleibe für Stille, eine einzigartige Welt gehe zugrunde, die titanischen Kräfte setzten jene Ordnung außer Kraft, aus der der Mensch erwachsen sei.

| WOLF SENFF

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Ein bisschen Hokuspokus

Nächster Artikel

Im weiten, weißen Wald

Weitere Artikel der Kategorie »Kurzprosa«

Flüchtlinge

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Flüchtlinge

Wie es gelinge, eine Wirtschaftsordnung wie die gegenwärtige als positiv darzustellen, das frage er sich seit langem, sagte Farb und tat sich eine Pflaumenschnitte auf.

Tilman reichte ihm die Schale mit Schlagsahne.

Unbegreiflich, sagte Farb und nahm sich einen Löffel Sahne, die er sorgfältig auf dem Stück Kuchen verteilte.

Provinz ist, wo ich bin

Kurzprosa | Wolfgang Pollanz: Die Undankbarkeit der Kinder Altersstarrsinnige Verwandte, Nachbarinnen in Christl-von-der-Postmoderne-Dirndln und nach Argentinien ausgewanderte Wurstwarenfabrikanten bevölkern Wolfgang Pollanz´ Erzählungen. Dabei ist Die Undankbarkeit der Kinder eine geradezu lässliche Begleiterscheinung. INGEBORG JAISER genoss bei einem Glas Schilcher die Lektüre.

Moral

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Moral Der Planet ist im Begriff, dem Menschen die Gastfreundschaft aufzukündigen. Er beträgt sich nicht wie ein Gast, oder? Das wird niemand bestreiten, Tilman.

Rückzug

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Rückzug

Florida aufgeben? Ehrlich – wie stellen wir uns das vor?

Farb lachte. Das sei alternativlos, widersprach er.

Das stiehlt mir die letzte Zuversicht, stöhnte Wette.

Farb tat sich eine Pflaumenschnitte auf.

Tilman reichte ihm einen Löffel Schlagsahne.

Annika warf einen Blick nach dem Gohliser Schlößchen.

Wette schwieg. Er hätte große Lust, Doppelkopf zu spielen, sagte er, niemand könne sich pausenlos den Problemen der Welt aussetzen, wo werde das hinführen.

Nichtstun

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Nichtstun

Ob es Feigheit sei, fragte sich Thimbleman.

Eldin legte einen Scheit Holz nach, die Flammen schlugen hoch.

Der Ausguck tauchte aus der Dunkelheit auf und setzte sich neben Thimbleman.

Crockeye wandte sich entnervt ab. Was hatte der Ausguck immer mit seinem Salto.

Die späte Moderne sieht bedrohliche Zeiten auf sich zu kommen, sagte LaBelle, wer hätte da keine Angst.

Der Panikmodus greift um sich, sagte Rostock.

Nicht unser Problem, sagte Bildoon, unser Thema ist die Verwahrlosung der Stadt San Francisco, die Gesetzlosigkeit, die Flut der Goldgräber.