/

Ohnmacht

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Ohnmacht

Nein, da könne der Mensch nicht mithalten.

Farb tat sich eine Pflaumenschnitte auf.

Annika reichte ihm die Schale mit Sahne.

Wir seien machtlos, sagte sie, der Mensch sei schwach, aber scheue nicht zurück vor großen Worten, er plustere sich auf, er tue sich wichtig, im Parlament verweise er stolz auf seinen milliardenschweren Etat, der jedoch nicht ausreichen werde, wenigstens die drängendsten Infrastrukturmaßnahmen einzuleiten.

Das sei die Lage der Dinge. Tilman lächelte, er halte Sonntagsreden, betreibe eine Schönwetterpolitik.

Vor den Problemen des Klimawandels verschließe er sich, stecke den Kopf in den Sand, ignoriere sie, allenfalls daß er davonlaufe, sei nicht gerade in Queensland der Strom ausgefallen für über zehntausend Haushalte, und Tausende seien evakuiert worden, sie hätten die Flucht ergriffen, um nicht von den Fluten mitgerissen zu werden.

Das bleibe ihm übrig, sagte Tilman, er laufe davon, er suche das Weite.

Auch auf Island sei evakuiert worden, viertausend Bewohner des Örtchens Grindavik schon seit November, dort sei die Lava diesmal nicht aus einem einzelnen Vulkankegel hervorgebrochen, sondern die Erde habe sich in einem kilometerlangen Spalt geöffnet, und nein, da bleibe ihm wieder nichts übrig, als daß er davonlaufe, sich in Sicherheit bringe und von fürsorglichen Behörden aufgenommen werde, Island, wie es heißt, habe Erfahrungen mit solchen Situationen, anderes könne man nicht tun, man warte voller Zuversicht, Schaulustige genössen derweil ein mitreißendes Schauspiel der Natur, das, heiße es neuerdings, über Wochen, gar über Monate anhalten könne, und nein, beruhigend klinge das nicht.

Annika lächelte und schenkte Tee nach, Yin Zhen.

Man könne nichts tun, sagte sie, doch der Mensch tue sich hervor, als ob er Herr der Lage wäre, alles im Griff, er scheine nicht gern über seine Ohnmacht zu reden, obwohl es Not täte, sich darüber zu verständigen, ihr versteht, die Nähe seiner Mitbürger zu suchen, Gemeinschaft zu pflegen.

Farb aß ein Stück von seiner Pflaumenschnitte.

Ob es daran liege, daß Politik jeweils nur für eine Legislaturperiode geplant werde, sagte sie, das wisse sie nicht, aber mit den grundlegenden klimatischen Veränderungen bahnten sich Verwerfungen an, über deren politische Konsequenzen gar nicht geredet werde, auch die Medien würden sich vornehm in Schweigen hüllen.

Die Situationen in Queensland und die in Island seien ja mehr oder weniger organisierbar, seien vorläufig in geregelten Bahnen, sagte Tilman, wenngleich in Queensland Zehntausende Menschen betroffen seien, weite Teile seien isoliert aufgrund des Stromausfalls, auch die Nachrichtenverbindungen seien unterbrochen, wie gehe man damit um, welche Vorsorge könne getroffen werden, und sei überhaupt eine Planung für diese extremen Notfälle verfügbar, nein, es werde nicht einmal darüber geredet.

Bei schweren Hurrikans in Florida werde regelmäßig Evakuierung angeordnet, sagte Farb, ebenso bei den Großfeuern in Kalifornien, doch wie solle das ablaufen, Hunderttausende Menschen zu evakuieren, wie absurd sei das denn, nein, der Erfolg sei nicht kontrolliert worden, wie denn auch, es gäbe keine Pläne, genug, man sei voll des Lobes über die Arbeit der Feuerwehren, ein großer Haufen leerer Worte, und Erfahrungen mit den Maßnahmen würden nicht ausgewertet.

Der Mensch tue sich gern hervor, als ob er Herr der Lage wäre, wiederholte Annika, und müsse doch einsehen, daß er machtlos sei, aber es werde ihm schwerfallen, sich einzugestehen, daß nicht einmal seine bei jeder Gelegenheit hochgelobte Technologie Mittel verfügbar mache, sich vor entfesselten Naturgewalten zu schützen, mehr noch, ein schlichter Stromausfall bringe seine Hochleistungssysteme mir nichts, dir nichts zum Absturz, er fällt auf die Füße, ratzfatz, das wär’s dann.

Evakuieren, sagte Farb, das koste nichts und könne angeordnet werden, rette sich wer kann, doch mehr sei nicht möglich, und das einzusehen und gar darüber zu reden, falle offenbar schwer.

Annika lächelte und schenkte Tee nach, Yin Zhen.

Der Mensch sei schwach, sagte Farb, doch er spucke gewaltig große Töne, er habe, brüste er sich, den Planeten erobert, er habe die vorgefundene Wildnis kolonisiert.

Tilman rückte ein Stück hin zum Couchtisch und nahm eine schmerzfreie Sitzhaltung ein.

Man müsse miteinander darüber sprechen, sagte er, auf Augenhöhe, sagte er, doch die Eliten der Industriegesellschaft positionierten sich unerreichbar auf hohen Rossen, das seien wenig verheißungsvolle Voraussetzungen.

| WOLF SENFF

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Rekordverdächtig!

Nächster Artikel

Wunschtraum

Weitere Artikel der Kategorie »Kurzprosa«

Im Überfluss

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Im Überfluß

Ob es Feigheit sei, fragte sich Thimbleman.

Eldin legte einen Scheit Holz nach, die Flammen schlugen hoch.

Der Ausguck schälte sich aus der Dunkelheit und setzte sich neben Thimbleman.

Die späte Moderne sieht bedrohlichen Zeiten entgegen, sagte Crockeye, wer hätte da keine Angst.

Der Panikmodus greift um sich, sagte Rostock.

Tambora

Textfeld | Wolf Senff: Tambora Nein, nicht ich, sagte der Ausguck, ich war nicht dabei. Thimbleman lachte. Du warst noch gar nicht auf der Welt, stimmt’s? Meine Eltern erzählten davon. Sie sagen, es sei schrecklich gewesen. Ich weiß, Gramner erwähnte den Ausbruch. Das Ende der Welt, sagt Gramner. Der Tambora befindet sich auf Sumbawa, einer Insel des Sundabogens östlich von Java. Weit, weit weg von unserer idyllischen Lagune, sagte der Ausguck Endlos weit. Und dennoch – ein nie dagewesener Ausbruch zu Beginn unseres Jahrhunderts, sagt er, folgenschwer wie der des Krakatau, als schon das Jahrhundert zu Ende ging, Jahrzehnte nach

Umstände

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Umstände

Das werde sich wie von selbst erledigen, sagte Tilman, kein Grund sich aufzuregen, eine monströse Blase sei im Begriff zu platzen, im günstigsten Fall halbwegs geräuschlos zu platzen, seht hin, und mir nichts, dir nichts sei die Luft heraus, so etwas gehe schnell heutzutage.

Meine Güte, sagte Farb und tat sich eine Pflaumenschnitte auf.

›Follower‹ nennen sie sich und ›Influencer‹, spottete Annika, und ob sie ›Follower‹ hätten, fragte sie Tilman und Farb, nein, woher denn, sie wisse das nicht, außerdem seien diese Zeiten längst wieder vorbei, fügte sie hinzu, der Wind habe gedreht, nur daß die es gar nicht gemerkt hätten, sie hielten fest an ihrer Spaßgesellschaft, ich will immer auf dich warten.

Farb lachte. Die Zeiten seien halt schnellebig, sagte er, die Trends würden gewechselt wie die Socken, sagte er, jeder Weg hat mal ein Ende, eben noch waren die Trends medial aufgeblasen und seien doch aus der Welt gefallen, ehe man sich’s versah, ein Wimpernschlag, seien rückstandsfrei zurück geblieben, verloren, als ob es sie nie gegeben hätte, und täglich werde eine neue Sau durchs Dorf getrieben.

Desillusioniert, nicht verbittert

Kurzprosa | Helga Schütz: Die Kirschendiebin Helga Schütz, die Anfang Oktober ihren 80. Geburtstag feierte, hat sich seit Jahr und Tag als poetische Dokumentaristin des ostdeutschen Alltags einen Namen gemacht. Äußerst subtil hat sie in ihren Romanen (angefangen mit ›In Annas Namen‹, 1986) darüber hinaus ihre eigene Biografie eingeflochten. An dieser bewährten Konzeption hat die in Niederschlesien geborene und später in der DDR lebende Autorin auch in ihrem aktuellen Erzählwerk ›Die Kirschendiebin‹ festgehalten. Von PETER MOHR

Kein Bedarf

TITEL-Textfeld |Wolf Senff: Kein Bedarf

Das läßt sich nicht abstreiten, sagte Tilman, sie finden uns einfach nur langweilig.

Sicher?

Tilman nickte, stand auf und schenkte Tee nach.

Sterbenslangweilig, bekräftigte er, und sie haben ja recht, niemanden drängt es nach dieser Spezies.

Aber unser Planet, wandte Anne ein, unser Planet ist ein Paradies.

Tilman lachte. Dieser Planet war einmal ein Paradies, sagte er, der Mensch ist für ihn eine Heimsuchung. Wir leben in den Tagen der Vertreibung, spottete er, und haben das selbst zu verantworten.

Der Mensch will das Leben genießen.