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PETM

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Auch der Einbruch der Eiszeit habe die Anzahl der Lebewesen drastisch reduziert, sagte Anne, immer wieder gebe es Brüche, die die Dinge durcheinanderwerfen, daß man nichts wiedererkenne.

Das Paläozän/Eozän-Temperaturmaximum müsse ein extrem tiefgreifender Bruch gewesen sein, sagte Tilman, es werde von der Forschung auf etwa 55,8 Millionen Jahre vor unserer Zeit datiert, habe sich über rund zweihunderttausend Jahre hingezogen und sei, gemessen an der Erdgeschichte, dennoch eine flüchtige Phase gewesen, die man ignorieren könnte, wären ihre Auswirkungen nicht so verheerend gewesen.

Für den Menschen sind zweihunderttausend Jahre eine endlos lange Zeit, sagte Anne und lächelte. Sie legte sich eine Pflaumenschnitte auf und schenkte Tee nach.

Tilman nahm einen Löffel Schlagsahne, es war ein angenehmer Sommmertag.

Die Temperatur, sagte er, stieg während des erstaunlich kurzen Zeitraums von viertausend Jahren um 6 °C von etwa 18 °C im späten Paläozän auf mindestens 24 °C am Beginn des Eozäns.

Eine lange Strecke, scherzte Anne entspannt, sie war für ein ernsthaftes Thema nicht aufgelegt.

Neuere Forschungen kommen sogar zu erheblich höheren Werten, sagte Tilman. Die Temperatur sei global gestiegen, das alles in dem sowieso schon herrschenden Warmklima, der Anteil von Treibhausgasen in der Atmosphäre und in den Ozeanen habe rapide zugenommen.

Es müsse drunter und drüber gegangen sein, sagte Tilman und legte sich  ein zweites Stück von der Pflaumenschnitte auf, beispiellos, sagte er, das Oberste, sagte er, wurde zu unterst gekehrt, so viel läßt sich mit Gewißheit sagen, er tat sich einen Löffel Schlagsahne auf, entsetzliche Zeiten, wir können uns das kaum vorstellen, sagte er, das Leben war außer Rand und Band.

Sofern es denn noch existierte.

Tilman trank einen Schluck Tee. Die Tasse war zierlich, doch was fand Anne nur an dem Drachendesign.

Wir wissen es nicht, sagte er. Der Planet tobte sich aus, das wird es gewesen sein, ein Übermut des Lebens, gut möglich, der Planet veranstaltete eine stürmische Party mitsamt grandiosem Feuerwerk und nie dagewesenen Wasserspielen.

Also doch, sagte Anne: Extrem lebhaft, aber für die Lebensform des Menschen gänzlich ungeeignet.

Die gegenwärtig in den USA, Rußland und am Mittelmeer lodernden Feuerwalzen, die Überflutungen in China und Mitteleuropa, so verheerend sie sein mögen, auch die Flammenhölle Australiens, sie sind eine Miniatur, ein Kleinformat, Anne, unvorstellbar, nein, Ruhe wird es nicht geben, extreme Wetterlagen nehmen zu, vor gewaltigen Erdbeben wird gewarnt, der Mensch kann einiges vorhersagen und alles nachträglich mit vielen Worten erklären und weiß doch weder ein noch aus.

Der Mensch kann es nachträglich erklären, präzisierte Anne, sofern er die Party denn überlebt hat.

Tilman tat sich noch einen Löffel Schlagsahne auf.

Das Paläozän/Eozän-Temperaturmaximum, sagte er, war die schnellste natürliche Erwärmungsphase während der letzten 66 Millionen Jahre, das ist unwidersprochen. Die Treibhausgas-Konzentration stieg massiv, und in der Literatur werden Parallelen zur globalen Erwärmung der Gegenwart gezogen. Diese Veränderungen, die letztlich auch die Biosphäre schädigen können, können eine Formierung des globalen Klimas bewirken, für die in der bekannten Erdgeschichte kein Beispiel existiert.

Das ist diplomatisch formuliert, Tilman, niemand möchte die Leute erschrecken und gar eine Panik provozieren. Wir befinden uns am Vorabend einer ultimativen Katastrophe, das Klima fällt aus dem Rahmen, und der Mensch weiß nicht damit umzugehen – weshalb hält man mit der Wahrheit hinter dem Berg? Angst, daß Panik ausbricht?

Die Symptome sind unübersehbar, erinnere dich an den absonderlichen Vorgänger des amerikanischen Präsidenten, wie kann das möglich sein. Oder sieh auf das Chaos um den Austritt Großbritanniens aus der EU, sieh auf die Unterminierung staatlicher Strukturen, die destruktiven Eingriffe in digitale Abläufe, die groß angelegten digitalen Erpressungsversuche, die Vernachlässigung von Infrastruktur, die Destabilisierung gewachsener Verhältnisse – Risse und Brüche, wohin dein Blick fällt.

| WOLF SENFF

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Miami, USA, wir waren in Miami, wann war das. Tilman erinnerte sich. Das dürfte drei, auch vier Jahrzehnte her sein, sagte er, Rucksacktouristen, sagte er, die Zeiten waren anders, wir waren zu viert, irrten ziellos vom Flughafen in Richtung Stadt, es wurde Nacht und wir rollten Schlafsäcke auf einem weitläufigen Rasen aus, Gelände noch des Flughafens, weit waren wir nicht gelangt zu Fuß, wir schliefen drei, vier Stunden, bis wir vom grellen Scheinwerfer einer Polizeipatrouille geweckt wurden, freundlich aber bestimmt, dies sei kein Platz zum Übernachten, außerdem lebten hier Schlangen, das sei nicht ungefährlich, und wir sollten zusehen, in die Stadt zu kommen.

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Wie er sich das vorstellen müsse, fragte Farb.

Die Industriegesellschaft sei am Ende, sagte Tilman, aus, vorbei, unübersehbar am Ende, das Klima kollabiere, wohin man sehe, die vertrauten Abläufe brächen ein, Wassermassen überfluteten Wohngebiete, Feuersbrünste legten Wälder und Siedlungen in Schutt und Asche, und daß der Mensch die Natur beherrsche, sei durch die realen Abläufe widerlegt, für jedermann einsehbar widerlegt, und habe sich als fataler Irrglaube erwiesen.

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Der Bruder sei leicht abgehoben, charakterlich, ja, sagte Setzweyn und unterdrückte ein Lächeln, er fliege, er fliege leidenschaftlich gern in der Welt umher, habe jedoch null Interesse an Reisezielen, nein, touristisch auf gar keinen Fall, er besitze eine Cessna, ein bequemes kleines Gerät, mit dem er vorzugsweise abseits der großen Pisten starte und lande, er genieße das als ein Abenteuer, denn es sei ein großartiges Gefühl, vom Erdboden abzuheben, himmelwärts, sagte Setzweyn, da könne er ihn verstehen.

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TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Betriebsam

Ob sie noch schreibe, wollte Farb wissen.

Anne zögerte zu antworten und griff nach einem Keks.

Oder sei das zu persönlich gefragt.

Keineswegs, nein, wehrte sie ab, im Gegenteil, das sei ein Thema, das sie sehr beschäftige.

Tilman blickte auf.

Farb schenkte Tee nach.

Es war später Nachmittag, Regen schlug gegen die Scheiben.

Im Kamin flackerte künstliches Feuer.

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