Wie schön: Das Buch basiert auf persönlicher Erfahrung des Autors, es wurde 2018 von der niederländischen Alzheimer-Stiftung ausgezeichnet und: 2015 entstand aus dem Text sogar ein »anrührendes Bühnenstück«. Und tatsächlich: Es ist ein wunderbares Buch für einen so ganz besonderen Abschnitt im Leben. Von BARBARA WEGMANN
Josie ist sechs Jahre alt und wie die meisten Mädchen hat Josie eine Puppe, die sie natürlich überall mit hinnimmt. Auch zu Oma. Oma »wohnt in einem Haus mit mehreren Wohnungen. Da wohnen viele Opas und Omas. Manche Omas wohnen allein oder mit einem anderen Opa oder einer anderen Oma zusammen. Andre mit einem Wellensittich oder einem Fisch.«
Einen Opa hat Josie nicht mehr. Er steht aber im Bilderrahmen bei Oma auf der Kommode. Oma braucht einen Stock, ihre Zähne schlafen nachts alle in einem Glas, Omas Haut ist »verschrumpelt« und Oma vergisst vieles. Und Oma hört auch nicht mehr gut. »In ihrem Zimmer ist es schön warm und es riecht genauso wie bei uns auf dem Dachboden.« Es kommt der Tag, an dem Oma umziehen muss, in »ein Haus für vergessliche Omas und Opas.« Josies Oma hat einen Wunsch, sie möchte die Puppe des kleinen Mädchens mitnehmen. »Meinetwegen ja«, sagte Josie, die natürlich ihre Oma sehr lieb hat. »Für eine Nacht. Nicht länger«. Ob es dabei bleibt?
Was für eine anrührende Geschichte, die sich der niederländische Schriftsteller, Schauspieler und Theatermacher ausgedacht hat: frech, offenherzig, Dinge beim Namen nennend, aber nie verletzend oder herabwürdigend, menschelnd und warmherzig, gefühl- und sehr verständnisvoll. So ist das eben oft im Alter: Man erkennt Angehörige nicht mehr, man weiß nicht mehr, wo man ist, verliert Orientierung und Erinnerungen. »Oma vergisst jetzt richtig viel, sie hat sogar vergessen, dass sie kein Kind mehr ist.« Josie ist hin- und hergerissen: eigentlich ist es doch ihre Puppe, aber Oma scheint die Puppe so lieb gewonnen zu haben, sie nimmt sie mit ins Bett – und weil Josie Oma so mag, überlässt sie ihr die geliebte Puppe. »Na gut. Eine Nacht noch!«
Aber dann ist die Puppe plötzlich weg und Josie verzweifelt.
Eine bessere Kooperation zwischen Text und Illustration könnte es sicher nicht geben. Marius van Dokkum greift absolut gekonnt mit wunderbarem, zartem Humor die textlichen Vorgaben auf, erschafft eine Oma, die exakt der Beschreibung des Textes entspricht, zeichnet voller Dynamik, die von Trauer bis größter Freude reicht, die kleine Josie und ihre Stimmungslagen, zeichnet fantastisch die noch so lebendige Großmutter, aktiv, voller Bewegung, selbst wenn sie alles vergisst. Er lässt an keiner Stelle, Schwermut oder Traurigkeit die Oberhand gewinnen, sondern unterspült die Probleme und Krankheiten des Alterns mit einnehmendem Humor, mit Feinfühligkeit, ohne, ebenso wie der Text, Problematiken unerwähnt zu lassen. Eben nur auf eine ganz eigene Art und Weise.
Das Buch ist ein wunderbares und exzellentes Beispiel dafür, dass man auch ernstere, kompliziertere und vielleicht auf den ersten Blick gar nicht so kindgeeignete Themen für kleine Leser hinreißend aufbereiten und darstellen kann. Mit viel Liebe, Verstehen und Charme eben. Und das hält Generationen zusammen. »Weißt du, was komisch ist? Oma weiß nicht mehr, wann sie pullern muss. Deswegen hat sie jetzt eine Windel um. Ich trage keine Windel mehr. Nur Babys tragen Windeln. Und Omas.«
Ein absolut empfehlenswertes Buch ganz generell, aber speziell auch gerade in jener Zeit, wenn kleine Mädchen ihre heiß geliebte Puppe in Liebe der Oma leihen, der Oma, die beginnt, alles aus ihrem Leben zu vergessen. »Für eine Nacht. Nicht länger«.
Titelanagben
Mark Haayema: Oma, du darfst meine Puppe haben
Wenn Oma plötzlich anders wird
(Oma, mag ik mijn pop terug?, 2022)
Illustriert von Marius van Dokkum
München: mvg Verlag
48 Seiten, 14 Euro
Bilderbuch ab 4 Jahren
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So schön das Mark Haayema in Deutsch übersetzt ist er schreibt so liebe schöne Bücher