Am vergangenen Wochenende war Erlangen wieder das Ziel von Comicfans aus dem gesamten deutschsprachigen Raum – und inzwischen auch von Mangafans. Vier Tage lang fand der Internationale Comic Salon statt, das 1984 ins Leben gerufene zweijährige Festival der Künstler, Verlage, Fans und Sammler, das sich seitdem als maßgebliches Event der Szene behauptet. ANDREAS ALT hat sich dort umgesehen.
Auf dem Wochenmarkt unterhalten sich zwei ältere Herren über den Comic Salon. »Comics sind doch nur Zeichnungen«, bemerkt der eine, und der andere nickt zustimmend. Damit geben sich beide als mit dem Medium nicht sehr vertraut zu erkennen. Doch dass die Erlanger überhaupt über das Festival reden, liegt daran, dass das große Messezelt A vor dem Markgräflichen Schloss im Zentrum der Altstadt und direkt gegenüber dem Wochenmarkt aufgebaut ist. Am Zelteingang bildet sich immer wieder eine manchmal mehrere 100 Meter lange Schlange von Menschen, die da hinein wollen. In früheren Jahren, als der Salon hauptsächlich im Kongresszentrum außerhalb der Innenstadt untergebracht war, drängte er sich den Bürgern noch nicht so sehr als Gesprächsthema auf.Was sind Comics? Diese Frage beschäftigt auch den professionellen Salon-Besucher, wenn auch aus einer etwas anderen Perspektive. In den 1970er und 80er Jahren waren sie ein Faktor im Zeitschriftenhandel. Inzwischen haben sie sich – nicht zuletzt durch den nun bereits 40-jährigen Einfluss des Comic Salons und seiner Max-und-Moritz-Preise – einen Platz im Buchmarkt erkämpft. Und doch sind sie offenbar aus ihrer Nische nicht herausgekommen und werden von weiten Teilen der Bevölkerung und auch des Kulturbetriebs nach wie vor wenig beachtet oder als minderwertig eingeschätzt. Ein spezifisch deutsches Phänomen – in anderen europäischen Ländern, den USA und auch in Fernost (Japan, China, Südkorea) sieht das ganz anders aus.
Viele Kleinaussteller sind hinzugekommen
Betritt man das große Messezelt des Salons, dann stößt man sofort auf die voluminösen Stände von Panini, Egmont oder Carlsen. Auf der Frankfurter oder Leipziger Buchmesse wären diese Verlage aber nicht Platzhirsche, sondern eher im Mittelfeld. Und dann gibt es eine Menge von kleineren Ausstellern und Gemeinschaftsständen bis hin zu Messetischen, deren Größe sich in Zentimetern bemisst. Immerhin: In den vergangenen Jahren gab es rund um das Schloss drei Messebereiche (meist große Zelte), in diesem Jahr ist der Redoutensaal des Markgrafentheaters als »Halle D« hinzugekommen. Wie von der Stadt zu erfahren war, ist die Zahl der Kleinaussteller von 116 auf 175 in die Höhe geschnellt. Unter den hinzugekommenen Ausstellern befinden sich etliche, die am Rande der Comicbranche zu verorten sind: Illustratoren, Porträtisten, Spieleentwickler, Hersteller von Schmuck und Figürchen und ähnliche. Doch mit der Zahl der Aussteller ist auch das Publikum angewachsen: »Deutlich mehr als 30 000 Besucher« meldete das Kulturamt am Ende zufrieden. In früheren Jahren konnte die Zahl 25 000 meist nicht überschritten werden.Wer sind die Kleinaussteller? Das ist nicht so einfach zu sagen, denn das ist eine vielfältige Szene, die jedoch in einigen Veranstaltungen des Salons ein wenig sichtbar wurde. Es gibt Kleinverlage, die offenbar ständig ums wirtschaftliche Überleben kämpfen müssen und nach staatlicher Förderung rufen, es gibt Kleinverlage, die nur nebenberuflich betrieben werden und mit dieser Situation ganz zufrieden sind, und es gibt Verleger, die gar nicht hoffen, mit ihren Publikationen in die Gewinnzone zu kommen. Sie alle haben in Erlangen ihren Platz und ihre Daseinsberechtigung und sind im Rahmenprogramm auch zu Wort gekommen.
»Besser aufhören als dahinsiechen«
Schon früh wurde das Thema »Prekäre Existenzen: Artenschutzprogramm für deutschsprachige Comicverlage?« angeschnitten. Unter diesem Titel standen die Edition Moderne, Cross Cult und der nicht mehr aktive Verlag Zwerchfell Rede und Antwort. Julia Marti, Verlegerin der Edition Moderne, und Cross Cult-Geschäftsführer Andreas Mergenthaler waren sich einig, dass ein kleiner Verlag zu sehr mit bürokratischen und steuerlichen Aufgaben belastet ist, um sich ausreichend seiner eigentlichen Arbeit widmen zu können, nämlich Bücher zu entwickeln und zu produzieren. Hinzu komme, so Mergenthaler, dass es immer noch schwierig sei, im Buchhandel geführt zu werden – obwohl Cross Cult auch Romane im Programm hat. Der frühere Zwerchfell-Chef Stefan Dinter räumte unumwunden ein, dass sich seine Comics nicht gut genug verkauft hätten und es besser gewesen sei aufzuhören, als »weiter dahinzusiechen«. Die Edition Moderne hat sich fürs Erste durch Crowdfunding aus dieser Misere befreit. Es sei mehr Geld gesammelt worden als erwartet, aber »wir sind damit nicht für alle Ewigkeit gerettet.«
Es wurde deutlich, dass alle drei Verlage Comics herausbringen, die sie selbst schätzen, und sich weniger darum kümmern, ob sie auch bei den Käufern ankommen. »Müssen Verlage mehr Comics veröffentlichen, die sie nicht mögen?«, fragte der Moderator provokativ. Während Marti das kategorisch ablehnte, zeigten sich Dinter und Mergenthaler dafür offen. Man müsse freilich auch erkennen können, welcher Schund von den Lesern gerade bevorzugt werde, so Dinter. Und Mergenthaler fand, Comiclesen sei vielleicht zu elitär geworden. Es sei eine Aufgabe der Bildungsinstitutionen, Kinder wieder stärker an sie heranzuführen.»Ich will nicht vom Comicmachen leben«
Etwas später wurde ein »Kleinverlagsgipfel« einberufen, diesmal mit den Verlagen Dantes, Thenextart, Weissblech, Delfinium Prints und Gringo. Hier ging es deutlich entspannter zu, und das lag daran, wie sich herausstellte, dass diese Verlage – mit Ausnahme von Weissblech – nebenberuflich betrieben werden. Die Verleger haben jeweils Marktlücken entdeckt und sich darin festgesetzt: Dantes die zuvor eingestellte US-japanische Serie »Usagi Yojimbo«, Weißblech Genre-Horror und –Fantasy, Gringo anfangs Comichefte und dann Arbeiten von Künstlern, die von den größeren Verlagen übersehen oder aussortiert werden. Sie bevorzugten es, ihre Publikationen als Erfolgsgeschichten darzustellen, auch wenn sie häufig mit Auflagen von lediglich um die 1.000 Exemplare operieren. Am Ende räumten sie ein, dass auch sie sich mit zahlreichen Titeln, die sie auf den Markt bringen, verkalkulieren. Aber Sebastian Schwarzbold (Thenextart) sagte: »Ich musste nie vom Comicmachen leben, und ich will nicht davon leben.« »Ich bezuschusse meinen Verlag aus meinem Hauptjob«, fügte Josua Dantes hinzu. Holger Bommer (Gringo Comics) hatte kurz vor Beginn der Corona-Pandemie vor, mit seinem Verlag zu wachsen und in den Buchhandel vorzudringen. »Dann kam Corona, und die Buchläden waren zu. Also musste ich einen Online-Shop eröffnen, was ich nie vorhatte.« Er klang aber nicht so, als ob ihn das sehr getroffen hätte.Wie steht es um die Comicförderung? Seit zehn Jahren vergibt die Stuttgarter Berthold-Leibinger-Stiftung den mit 25.000 Euro dotierten Comicbuchpreis; außerdem haben die Länder Berlin, Hamburg und Bayern, der Bund und die Verwertungsgesellschaft Bildkunst Stipendien für Comickünstler aufgelegt. In der Diskussion ging es vorrangig darum, nach welchen künstlerisch-ästhetischen Gesichtspunkten gefördert werden sollte, und weniger, zu welchem Zweck Künstler und vielleicht auch Verlage eine Förderung erhalten können – um kommerzielle Comics marktgängiger zu machen, oder vielleicht im Gegenteil, um Comics eine Chance zu geben, die sich ohnehin niemals gut verkaufen werden? Stefan Dinter hatte zuvor bereits das Bonmot geprägt: »Wir brauchen Stipendien für Comicleser.«
Der Verlag als Zuschussgeschäft
Es gibt auch Comicverlage, die noch viel kleiner sind. Diese Verlage sind oft mit ihrem Verleger identisch und in vielen Fällen ein reines Zuschussgeschäft. Ein Schlaglicht wurde diesmal auf Joachim Guhde geworfen, der seit 40 Jahren das Comicmagazin »Sprühende Phantasie« veröffentlicht. Als er begann, hatte sich die Drucktechnik eben vom Hektografieren zum Fotokopieren weiterentwickelt. Aber sein Magazin war niemals armselig gedruckt. Die ersten Hefte wurden jeweils in einer anderen Farbe gedruckt; dann kam eine Phase, in der er jedes Cover individuell gestaltete, und bis heute ist der gesamte Textteil jeder Ausgabe liebevoll handgeschrieben. Guhde hat bisher nur 28 Ausgaben fertigstellen können, was darauf zurückzuführen ist, dass er durch persönliche Lebensumstände die Arbeit einmal für drei Jahre, einmal sogar für 14 Jahre unterbrechen musste. »Sprühende Phantasie« ist so eng mit seinem Leben verbunden, wie das bei kaum einem Comicprojekt zu beobachten ist. Das spiegelt sich in seinen ausufernden Vorworten wider, die davon erzählen, was Guhde seit der vorherigen Ausgabe erlebt hat – oder widerfahren ist. Bemerkenswert ist auch, dass er mit fast allen Künstlern, die er in seinem Magazin präsentiert, mehr oder weniger persönlich befreundet ist.Damit ist der Amateur-Bereich des Comicmachens erreicht. Der Begriff »Amateur« hat einen etwas abwertenden Beiklang. Doch er bedeutet »Liebhaber«, und so ist wohl auch zu erklären, dass die Comicverleger ihre Arbeit desto befriedigender empfinden, je weniger sie mit dem Verkaufen zu tun hat. Zu einem Gutteil ist auch der Comic Salon Erlangen ein Treffen von Liebhabern – in der Regel solchen, die an dem festhalten, was sie in ihrer Kindheit und Jugend an Comics faszinierte. Eine Zukunft dürfte das Medium freilich nur dann haben, wenn auch kommende Generationen Comics kaufen, allerdings gleich, ob am Kiosk, im Comicshop, im Buchladen oder online.