Interaktion mit dem Publikum steht bei dieser Vorstellung ganz klar im Vordergrund. Das erfährt man zu Beginn der Vorstellung von »Der ideale Mann« am Badischen Staatstheater Karlsruhe. Leonard Dick glänzt als Mason & Phipps und führt das Publikum im fast bis auf den letzten Platz besetzten Kleinen Haus zum Thema hin. Von JENNIFER WARZECHA
Den Gesichtsausdrücken mancher von Jung bis Alt im Publikum Anwesenden erscheint das manches Mal eher zu abgehoben bzw. zu freizügig zu sein. Eine geschlagene dreiviertel Stunde wartet man gespannt darauf, wann es zum Plot bzw. der Quintessenz des Stückes von Oscar Wilde und Elfriede Jelinek kommt.
Nach den langatmigen 45 Minuten nimmt das Stück Fahrt auf, sorgt für manchen Lacher und zwischenmenschliches Verständnis. Zwei der schönsten Männer aus dem Publikum, die Leonard Dick dafür ausgesucht hat, sitzen am Rande der Bühne im Publikum und nehmen wie ihre Begleitungen das Ganze mit Amüsement auf.
Wie im Programmheft geschrieben steht, setzen sich die Figuren im Sinne der preisgekrönten Autorin Elfriede Jelinek gegenseitig permanent unter Druck. Jede und jeder von ihnen möchte der oder die Größte sein, sich profilieren – wie im echten Leben eben. Wie es Heike M. Goetze, die Kostümbildnerin des Stückes ist, ausdrückt, ist es so: »Wer hat es, mit welchen Mitteln, wie weit gebracht? Da sind wir mittendrin in Wildes Stück. Wenn es um die Karriere geht, steht die Menschlichkeit direkt neben der Unmenschlichkeit. Genau dieser Widerspruch macht eine gute, interessante Geschichte aus. Im besten Falle stellen wir im Theater ja Fragen und geben nicht sofort Antworten. Mich interessiert, dass hier jemand kommt und sagt: ›Schönen guten Tag, ich hab da Informationen über dich und im Gegenzug möchte ich, dass meine Karriere weiter geht.‹ Das ist der Katalysator, der in ›Der ideale Mann‹ alles in ein riesiges Energiefeld bringt.« Dieses Energiefeld wird durch die tolle schauspielerische Leistung klar erfahrbar.
Die Mischung aus Oscar Wildes Vorbild und Elfriede Jelineks Interpretation der Figuren, die teilweise weit weg von ihrer Wahrnehmung von sich selbst sprechen, ist literaturwissenschaftlich interessant. Zugleich erfährt man trotz der zeitweisen Nacktheit der Schauspieler und deren Ausführungen nicht so ganz, worum es eigentlich gehen soll. Das alte Bild der Frau, die nur zur sexuellen Befriedigung des Mannes da sein soll oder einfach nur Objekt ist, der Mann, der sich durch Betrug alles erschleicht – all das wird geboten. Nun kann man moralisch urteilen, zeitgenössisch oder einfach kritisch. Es bleibt leider die Frage offen, was wirklich der ideale Mensch und Mann ist. Oscar Wilde, der schon jung verstorben ist, sagte: »Der Mensch ist am wenigstens er selber, wenn er in seiner eigenen Person spricht. Man gebe ihm eine Maske, und er wird die Wahrheit sagen.« Dies steht für den herrschenden Narzissmus der Zeit, macht die Sache aber nicht einfacher. Manipulation, Unehrlichkeit und Lügen bringen den Menschen im Stück an seine Position, gefolgt von einigen Aussagen, die nicht zu passen scheinen.
Einwände wie »Pommes, Wurst im Schlafrock« etc. können amüsieren, tragen aber auch nicht dazu bei, das Stück letztendlich zu begreifen. Schwierige Umsetzung, starke Schauspielkraft, bleibt da nur zu sagen.
| JENNIFER WARZECHA
| Fotos: FELIX GRÜNSCHLOß
Titelangaben
Badisches Staatstheater Karlsruhe
Der Ideale Mann
von Oscar Wilde / Elfriede Jelinek
nach einer Übersetzung von Karin Rausch
Besetzung
Sir Robert Chiltern, Staatssekretär im Auswärtigen Amt Jannek Petri
Lady Chiltern: Sarah Sandeh
Mabel Chiltern, Sir Robert Chilterns Schwester: Ute Baggeröhr
Mrs. Cheveley: Swana Rode
Lord Caversham: André Wagner
Lord Goring, sein Sohn: Jannik Görger
Mason & Phipps, Butler von Lord Chiltren & Lord Goring: Leonard Dick
Regie, Bühne & Kostüme: Heike M. Goetze
Musik: Fabian Kalker
Licht: Aljoscha Glodde
Dramaturgie: Anna Haas
Es war ein hysterisches, lautes Stück, dass uns, wie vielen anderen Gästen auch, dazu veranlasst hat, das Theater zu verlassen. Diffuse Ansätze in Bezug auf das Thema, konnte man erahnen, wir haben es nicht verstanden. In der Kritik kommt das auch teilweise zum Ausdruck. Sehr schade, wir hatten uns mal wieder nach längerer Zeit dazu entschieden, mal wieder ins Theater zu gehen und dann so was. Die schauspielerische Leistung konnte die dürftig behandelte Thematik nicht wettmachen. Auch das provozierende Verhalten der Schauspieler ‚Sie wollen sicher gleich gehen, das sieht man Ihnen an‘ lässt uns jetzt erst einmal zu dem Entschluss gelangen, tatsächlich erst mal nicht ins Karlsruher Theater zu gehen.