In dem Buch »Deutschland unter Strom« des Wissenschaftsjournalisten Christoph Podewils geht es auf ziemlich genau 220 Seiten um Zukunft und Zukunftssicherheit. In Deutschland, aber auch für alle Menschen. Es geht darum, was alles im Bereich von Wärme- und Energiewende schon möglich ist und warum das Potential noch nicht abgerufen wird. Es ist ein kämpferisches, kluges Buch, dem man sich nicht verschließen sollte. Von BASTIAN BUCHTALECK
Klimagerechtigkeit gibt es nicht umsonst
Dazu gehört endlich anzuerkennen, dass die Klimawende nicht billig zu haben ist und schon gar nicht zum Nulltarif. Während bei Öl, Kohle und Gas bislang die Umwelt die Zeche gezahlt hat (wir haben sozusagen einen Kredit bei der Natur aufgenommen), haben wir Menschen ausschließlich davon profitiert. Allerdings machen die zunehmende Umweltverschmutzung nebst dem Klimawandel sowie die zunehmend schwindenden fossilen Ressourcen unmissverständlich klar, dass der Kredit nahezu aufgebraucht ist.
Die Forderung nach einer stärkeren Nutzung von Sonnenenergie ist dabei nicht einmal eine überraschende, neue Sache: »Ich würde mein Geld auf die Sonne und die Solarenergie setzen. Was für eine Energiequelle! Ich hoffe, wir müssen nicht erst die Erschöpfung von Erdöl und Kohle abwarten, bevor wir das angehen.« Diese Aussage ist nicht 5, 10 oder 30 Jahre alt. Der Erfinder Thomas Edison hat sie schon vor mehr als 100 Jahren gemacht.
Warum die Sonnenenergie so wichtig ist? Der Körper eines durchschnittlichen Menschen erzeugt eine Dauerleistung von 60 bis 100 Watt, für sehr kurze Zeit auch das zehnfache davon. Um unseren aktuellen Lebensstandard zu gewährleisten, benötigen wir allerdings das rund 50- bis 150-fache dieser Energie. Das können wir offensichtlich aus eigener Kraft nicht leisten. Wir sind für unseren Lebensstil abhängig von externer Energie, die aktuell zu einem Teil noch aus endlichen, fossilen Rohstoffen gewonnen wird.
Energiesklaven anerkennen
Für die Lücke zwischen dem, was wir leisten und dem, was wir konsumieren, hat Richard Buckminster Fuller vor mehr als 80 Jahren den Begriff des »Energiesklaven« erfunden und Christoph Podewils nutzt ihn in seinem Buch, um die Abhängigkeit des modernen Menschen von Energie offenbar zu machen.
In Deutschland lassen wir uns vom Energiesklaven gerne bedienen: bei der Mobilität, beim Essen, beim Heizen und so weiter. Dabei übersahen wir, dass auch der Energiesklave einen Preis hat, selbst wenn er bislang in Euro oder D-Mark vergleichbar gering war. Indem wir fossile Brennstoffe in Energie umwandeln, feuern wir auch den CO2-Ausstoß an. In Deutschland z.B. überschreiten wir, wie Podewills darstellt, den uns zustehenden CO2-Fußabdruck leicht – und zwar um den Faktor 4.
Den eigenen Fußabdruck verkleinern
Das Buch zeigt verschiedene Ansätze, wie wir unseren Fußabdruck verkleinern können. Weniger Auto, kaum noch Fleisch und von allem ein wenig weniger. Möglichst auch weniger, auf jeden Fall klüger heizen. Meist erfordern die vorgestellten Ansätze auch eine Veränderung des Lebensstils.
In diesen Veränderungen liegt nicht nur eine Notwendigkeit, sondern auch eine Erleichterung: Wer kein eigenes Auto mehr hat, muss sich nicht ständig darum kümmern und muss nicht ständig einen Parkplatz suchen. Wer kein Fleisch isst, isst sicher gesünder (für die Umwelt und sich selber). Auch das heißt den Klimawandel anerkennen: Manchmal ist weniger einfach mehr.
Andere Möglichkeiten erschließen
Dabei sind alle Lösungen schon vorhanden, schreibt Podewills. Die Sonne ist die nachhaltigste Energieerzeugerin, die wir kennen. Ein Prozent der Energie, die die Erde trifft, verwandelt sich in Wind, 43 Prozent werden wieder zurück ins All reflektiert. Vieles wird von Pflanzen mittels Photosynthese in Biomasse verarbeitet oder bleibt schlicht als Wärme in der Atmosphäre. Wenn man es recht bedenkt, sind selbst Kohle und Öl als Überreste von pflanzlichen Stoffen im Prinzip über Jahrmillion gespeicherte Sonnenenergie, selbst die Windkraft ist eine Folge von Sonnenenergie.
Sachlich argumentiert Podewils wie Solaranlagen, Stromspeicher, E-Autos, das EEG und weitere Bausteine zusammengenommen die wichtige Energie- und Wärmewende leisten können. Laut dem Wissenschaftsjournalisten bleibt als letzter Hemmschuh die schwache Rolle der Politik auf allen Ebenen. Denn die für den Wandel notwendigen Lösungen sind zwar schon da, aber sie müssen zuerst entschieden und dann noch bezahlt werden. Das ist von Teilen der Politik aktuell leider nicht zu erwarten.
Hemmschuh Politik
Warum tun sich Teile von Politik und Gesellschaft so schwer, intensiv am notwendigen Wandel zu arbeiten? Podewills zeigt überzeugend, dass es zu einem guten Teil am »Kapitalstock« liegt. Damit sind Kraftwerke, deren Entstehungskosten abgeschrieben sind wie Kohle-, Gas- und Atomkraftwerke gemeint. Es sind aber auch erlernte Fähigkeiten wie die von Automechanikern, die erst neue, teure Schulungen bräuchten, um Elektroautos reparieren zu können oder Heizungsbauer, die an Gas- und Ölheizungen geschult sind. Das Kapital ist seit längerem in Technologien oder technologischem Wissen angelegt und bringt dann die höchste Rendite, wenn sich nichts ändert.
Wenn sich Politik und Gesellschaft also daran orientieren, dass sich jede Investion »rechnen« muss und sie damit das Geld und nicht das Klima und die Umwelt meinen, dann haben es die Umwelt und das Klima schwer, solange die natürlichen Ressourcen für umsonst ausgebeutet werden dürfen.
Fazit
Wenn nur die Hälfte von dem stimmt, was Christoph Podewils in seinem Buch »Deutschland unter Strom« schreibt, dann haben wir in Deutschland sowohl die Energie- als auch die Wärmewende und somit unseren Anteil an der Vermeidung der Klimakatastrophe selbst in der Hand. Wir müssen nur wollen. Ein guter Schritt ist, dieses Buch zu lesen: »Wir müssen nicht darauf warten, dass irgendjemand eine Wundermaschine erfindet, um den Klimawandel zu bekämpfen. Mit Solarenergie, Windkraftanlagen, leistungsfähigen Übertragungsleitungen und verschiedenen Stromspeichern haben wir alle Technologien, die wir brauchen, um Deutschland in ein klimafreundliches Industrieland umzubauen.«
Titelangaben
Christoph Podewills: Deutschland unter Strom
Unsere Antwort auf die Klimakrise
München: C.H. Beck 2021
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