Bühne | Nora, Hedda und ihre Schwestern
300 Jahre Badisches Staatstheater, 200 Jahre Badische Verfassung, 100 Jahre Frauenwahlrecht. Die Aufführung ›Nora, Hedda und ihre Schwestern‹ setzt unter der Regie von Anna Bergmann, mit der Dramaturgie von Marlies Kink mehrere Akzente. Von JENNIFER WARZECHA
Zerrissene Seelen, angstverzerrte Gesichter in den Video-Projektionen (Video: Sebastian Pircher, Tina Wilke und Sophie Lux), mehrfache Abbildungen der Frau als Braut und andere diverse Video-Einspielungen, samt zahlreicher Nebenhandlungen, umrahmen den bühnenhaft gestalteten und nachempfundenen Zusammenfluss dreier Werke Henrik Ibsens (20. März 1828 – 23. Mai 1906). Diese sind, in der Bearbeitung von Ulrike Syha, ›Nora oder Ein Puppenheim‹, ›Hedda Gabler‹ und ›Die Frau vom Meer‹.
Um die Geschichte und die Erlebnisse der drei Protagonistinnen Nora, Hedda und Ellida, die sprichwörtliche ›Frau aus dem Meer‹ also, drehen sich die dramaturgische Vorlage und das Werk in seiner Aufführung. Nicht nur das: Sie zeigen emotionale und zwischenmenschliche Entwicklungen, Eindrücke und Hinterlassenschaften, welche zum Beispiel die Frauenbewegung mit sich bringt.
Zugleich ist die Aufführung ein Abbild der gesellschaftlichen Realität in Form dessen, dass sie durch den gleichzeitigen Ablauf des Bühnenspiels der Figuren innerhalb der drei Stücke, der Videoprojektionen und gleichzeitig ablaufenden Parallelszenen ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Realität darstellt. Diese Realität ist eine, die von Menschen dominiert wird, welche teilweise permanent am Smartphone sitzen bzw. kleben und die sich so den parallelen Eindrücken der realen und medienwirksamen Welt wohl schwerlich entziehen können – oder wollen. Ungefähr so ist teilweise auch das Geschlechterverhältnis der Frauen und Männer in den Stücken untereinander.
Um die drei Stoffe sinnvoll zu kombinieren und nicht nur nebeneinander herlaufen zu lassen, werden folglich thematische Schwerpunkte gesetzt, die zentralen Frauenfiguren miteinander verknüpft sowie Eingriffe direkt in die Handlung getan, welche dadurch einen schlüssigen Gesamtbogen entstehen lassen sollen. Dies schildert die Autorin Ulrike Syha im Gespräch mit der Dramaturgin Marlies Kink schon vorab im Interview, welches im Programmheft abgedruckt ist. Auch Verwandtschaftsverhältnisse zwischen den in den drei Stücken auftretenden Figuren werden erfunden, die die Originalvorlage so nicht liefert.
Nicht nur Ehefrau und Mutter, sondern Frau und Mensch
Nora wird so zum Beispiel zur »Stammmutter« eines ganzen Ibsen-Clans und als Zuschauerin und Zuschauer erhält man bei der Betrachtung des Theaterstückes den Eindruck, dass scheinbar jede was mit jedem im Stück hat. Dies führt teilweise zu Verwirrungen, gepaart mit Videoprojektionen, die den emotionalen Anteil am Stück zwar hervorheben, mitunter aber von der eigentlichen Rahmenhandlung in der als Puppenhaus gestalteten Bühne (Bühne: Katharina Faltner) ablenken bzw. sie nicht wirkungsvoll, wie es wohl gewollt ist, unterstreichen. Wie aus dem Vorgespräch zum Stück hervorgeht, ist diese Verwirrung laut dem Theaterpädagogen Benedict Kömpf durchaus gewollt, um dem Zuschauer unterschiedliche Deutungshorizonte zu ermöglichen, gemäß dem Motto »Im Theater gibt es kein richtig oder falsch.«
Dennoch wäre es für die eine oder andere Zuschauerin bzw. den Zuschauer mitunter angemessener gewesen, sich auf die Rahmenhandlungen der drei Ibsen-Stücke und die Präsenz der Frauenfiguren zu beschränken, anstatt immer wiederkehrende Impulse der Gleichzeitigkeit zu setzen. Diese sind es, die das Kraftvolle und die inhaltliche Tiefe des Stückes dennoch ausmachen. Nora (ausdrucksstark in ihrer Rolle und Mimik innerhalb der Videoprojektionen: Bea Brocks und Kim Schnitzer) ist es, die sich ihre Freiheit als Frau und Mensch dadurch erkämpft, dass sie ihren Mann und ihre zwei Kinder am Ende verlässt, gerade nachdem ihr Mann Torvald Helmer (souverän und ausdrucksstark: Malte Sundermann und Sven Daniel Bühler) sie blutig geschlagen hat. Dies, nachdem herausgekommen war, dass sie eine Unterschrift für einen Schuldschein zur Finanzierung des Italienaufenthalts ihres Mannes während einer schweren Krankheit gefälscht hatte.
Paradestück weiblicher Emanzipation
Hier wird einer der Konflikte im Stück zwischen Mann und Frau offensichtlich: Torvald ist in seinem Ego gekränkt, weil seine Frau, im vermeintlich schwachen Geschlecht, die Situation rettet und steuert. Erst kurz bevor Nora ihn verlässt, erkennt er aber, welches gute Werk seine Frau ihm da eigentlich getan hat. Nora, welche in den 1850er Jahren lebt, gilt nicht umsonst als Paradestück weiblicher Emanzipation. Diese zeigt sich auch im Stück in der Szene, als Nora ihren Gatten mit wutverzerrtem Gesichtsausdruck im rosa-femininen Kleid mit folgender Aussage konfrontiert: »Wir sind jetzt acht Jahre verheiratet. Fällt es Dir nicht auf, daß wir – Du und ich, Mann und Frau – heute zum ersten Male ein ernstes Gespräch miteinander führen?« Der letzte Satz der nach Ausflüchten ringenden Antwort ihres Gatten lautet bezeichnendermaßen: »Aber liebste Nora, das wäre doch nichts für Dich gewesen.«
Selbstbewusste Frau des Fin de Siècle
Auch Hedda Gabler ist stellvertretend für die das Stück kennzeichnende Epoche des Fin de Siècle der 1880er Jahre. Sina Kiessling ist mit ihrer femininen Attitude, ihrem dominanten Gesichtsausdruck sowie ihrem selbstbewussten Umgang mit den Männern im Stück die Frauenfigur in ›Nora, Hedda und ihre Schwestern‹, die am meisten überzeugt und für das Selbstbewusstsein der modernen Frau steht. Zugleich ist in ihr aber auch die tragischste aller Dramenfiguren angelegt.
Während der gesamten Spieldauer hantiert sie immer wieder mit einer Pistole in der Hand herum, mit der sie sich auch immer wieder in den Glaskasten an der rechten oberen Bühne zurückzieht, der damit immer wieder zum Schaukasten ihrer Gefühle wird. Passend dazu ist der rote Schriftzug »Anerkennung«. Heddas Weg im Bühnenverlauf wird so zu dem einer Selbstmörderin. Kurz zuvor taucht sie im lila Mickey-Mouse-Kleid auf der Bühne auf und assoziiert damit ihren in den Szenen zuvor geschilderten Kindesmissbrauch durch ihren Vater. Schließlich liegt sie tot im in der Mitte der Bühne aufgestellten Becken. Sie hat sich selbst mit ihrer eigenen Pistole erschossen.
Kampf um Selbstbestimmtheit und Emanzipation
Vergleichsweise schwach kommt Ellida (schauspielerisch gut, durch den gekürzten Text mit trotzdem schwacher Ausdruckskraft: Anna Gesa-Raija Lappe), ›Die Frau vom Meer‹, daher. Teilweise wirkt sie mit ihrem langen blonden Haar und dem weißen Kleid wie ein Unschuldsengel, der nur während einzelner rockiger Gesangsszenen aus sich herausgeht oder als sie ihren Mann Dr. Wangel (charmant und ausdrucksstark: Sts. Timo Tank) einmal anbrüllt, um ihm ihre Bedürfnisse kundzutun. Trotz ihres ehemaligen Verlobten, dem »Fremden« (männlich-dominant und ausdrucksstark: Thomas Schumacher), dem sie gedanklich immer wieder verfällt, bleibt sie am Ende bei ihrem Gatten, dankbar um der Entscheidungsfreiheit, bei ihm zu bleiben oder nicht, die ihr dieser mitgegeben hat.
So gibt die Inszenierung, samt ihrer Figuren, dem Bühnenbild und der Musik, zusammengestellt von Heiko Schnurpel, nicht nur einen großen Überblick über die am meisten verbreiteten Probleme in Paarbeziehungen, sondern zeigt vor allem, welche Ziele rund um die Selbstbestimmtheit der Frau die Geschichte der Frauenbewegung schon erreicht hat, dass die inneren und gesellschaftlichen Konflikte aber immer noch nicht aufgehoben sind.
| JENNIFER WARZECHA
| FOTOS: FELIX GRÜNSCHLOSS
Titelangaben
Nora, Hedda und ihre Schwestern
nach Henrik Ibsen
in einer Bearbeitung von Ulrike Syha
Badisches Staatstheater Karlsruhe
Weitere Termine
Do., 21.02., 19:30; So., 10.03., 19:00; Mi., 13.03., 19:30;
So., 31.03., 19:00; Fr., 05.04. 19:30; Di., 18.06., 19:30