Bühne | THIS BOY – Ein Tanzstück von Morgan Nardi (FFT Düsseldorf)
Untersuchte der Choreograph und Performance Artist Morgan Nardi 2012 in seinem Solo 3rd Mythen einer eindeutigen Geschlechtszugehörigkeit, so sind es in seiner aktuellen Performance This Boy diesmal ausschließlich gegenwärtige Bilder von Männlichkeit, die ihn nicht allein, sondern gemeinsam mit Lucas Franken (23, Student der Theaterwissenschaft) im FFT Juta umtreiben: Schwarze Chucks, weißes Shirt, graue Jeans, (Drei-Tage-)Bart, schwarze Locken. Auch wenn die Beiden knapp 30 Jahre trennt – die Boys sehen sich zum Verwechseln ähnlich. Von VERENA MEIS
Dichte Nebelschwaden und elektronische Klänge (Musik: Vlada Divljan) lassen beim Eintritt kurz schwanken: ab auf die Tanzfläche oder lieber doch einen Sitzplatz? Solange sich die beiden Performer als DJ-Kollektiv noch tanzend hinter dem Mischpult aufhalten, hält das Zögern an. Morgan Nardi verweilt in der Position des DJs, lässt im Laufe des Abends die Beastie Boys, Nelly oder John Lennon ertönen, während Lucas mitten in die Black Box tritt und den Daumen hebt: Klappe, die Erste – This Boy begibt sich in Schlafposition. Es ist jedoch nur ein Halbschlaf auf der imaginären Schlafstätte, etwas treibt ihn um, lässt ihn erwachen. Man ahnt Intimes. Nach dem Aufstehen folgt ein intensiver, leicht unbeholfener Blick in den Spiegel: Lieber den scheuen Mittel- oder den akkuraten Seitenscheitel? Vielleicht doch den opponierenden Irokesen? Oder den lässigen Out-of-Bed-Look? Den jungen Mann interessiert jedoch nicht nur die Mähne auf dem Kopf. Folgende Worte könnten ihm auf der Zunge liegen: »Haarsträubend, an welchen Stellen des Körpers sich mit der Zeit Haarwuchs einstellt. Der Bart könnte liebend gern dichter = männlicher sein.« Es sind die feinen Härchen in Nase oder Ohr, die den männlichen Zweibeinern vielleicht die Vierbeiner in Erinnerung rufen. Vom Vier- zum Zweibeiner geht es jedenfalls nach Schlaf- und Aufwachphase in die zweite Szene, in der sich der Halbstarke mit verschränkten Armen in einem Hin und Her durch den Raum nicht nur an den Mauern des FFT, sondern ganz generell, so scheint es, an Grenzen und Regelwerk stößt.
Maschinengewehr versus Smartphone
Klappe, die Dritte: Atempause auf der Lautsprecherbox. Ein glasiger Blick in den Zuschauerraum. Das Maschinengewehr im Anschlag. Stichwort Wehrpflicht? Jungen Männern von heute stellt sich die Frage nach Wehr- oder Zivildienst ja nicht mehr. Der »heikle« Moment wird schnellstens aufgelöst und das heiße Eisen gegen ein smartes mobile phone eingetauscht, das sich ebenso als Lautsprecher eignet: »Musik lässt die Menschen zusammenkommen, yeah!«
Klappe, die Vierte: Die Beastie Boys erklingen – (You gotta) Fight for your right (to party). Die Rebellion, die folgt, scheint jedoch fremdgesteuert. Keine imaginäre Stolperfalle wird ausgelassen. Pantomimischer Slapstick, Stunts und Stürze vom Feinsten! Eine ausgelassene Wolke Deodorant rettet den Übergang in die digitale Szenerie.
Digitaler Rausch
Hegte die Musik soeben noch Hoffnung, zusammenzukommen, so eröffnet die digitale Technik lediglich einen narzisstischen Raum, in dem der Andere gar nicht zu existieren scheint. So sitzen im Laufe des Abends auch beide Boys – in getrennten Szenen – gebannt vor dem Bildschirm: Nur das digitale Flimmern erhellt den Saal, reale und virtuelle Welten vermengen sich. Wir werden einmal Teil eines Videogames à la Assassins Creed, blicken ein weiteres Mal in die stummen Gesichter anonymer Konsumenten, die zu EINEM Gesicht verschmelzen, und erhaschen gelegentlich einen Blick auf die Fehlermeldung einer Webcam: »Die Kamera Ihres Partners ist leider besetzt.« (Video: Marielle Neumann).
Dann lieber doch gemeinsam auf die Tanzfläche: Der Stayin’ alive Remix von Nellys Hot in here vereint Jung und Alt, die beiden Boys liefern sich einen wilden Tanzwettstreit. Gedankenblasen bilden sich: Weshalb wollen heutige Väter eigentlich unbedingt mit ihren Söhnen mithalten, den Altersunterschied leugnen, so frisch und jugendlich wie ihre Söhne sein? Perversion oder Segen für das heutige Verhältnis zwischen den Generationen?
Spiegelstadium
Die Gedankenblase platzt: Lucas verabschiedet sich hinter das Mischpult. Im zweiten Teil der Performance herrscht absolute Stille, keine ausgelassenen Pop- und Rocksongs mehr. Alt spiegelt sich in Jung, Ähnlichkeiten und Unterschiede treten zutage (Dramaturgie: Snežana Golubović). Ob jung oder alt: Schlafen, Träumen, Erwachen zeigen keinerlei Veränderung. Der Blick in den Spiegel ist jedoch ein anderer: Zwar treibt den in die Jahre gekommenen Boy ebenso die Frage nach der Haartracht um, dagegen wird das eigene Spiegelbild reichlich kritischer in Augenschein genommen: Könnte ein Lifting Abhilfe schaffen? Eine neue Gedankenblase verschafft sich Raum: Ewig jung sein, warum überhaupt?
»Singulär plural«, so scheint es, sind beide Boys kurz vor dem Finale: Der eine hat den anderen fest im Blick, wird jedoch von diesem nicht ins Visier genommen. Der eine nähert sich an, der andere wendet sich ab. Wer schaut hier auf wen herab oder herauf? Wer eifert wem hinterher? Am Ende steht eine versöhnende Geste: Beautiful, beautiful, beautiful boy von John Lennon, ob Jung oder Alt. Eine Frage bleibt: Hätte ein Mann anders über This Boy geschrieben?
| VERENA MEIS
Termine
Weitere Vorstellungen: 19.-22. März 2014, Dock 11, Berlin