Bühne | Bertolt Brechts ›Mutter Courage und ihre Kinder‹
Krieg und Gewalt sind Themen, die nicht nur stets die Gesellschaften bewegen, wie aktuell die Flüchtlingskrise oder die Anschläge in Paris. Krieg und was sie daraus macht, was sie moralisch bewegt und wie das die Leichen ihrer Kinder übersteigt, sind Themen, die auch Anna Fierling, genannt ›Mutter Courage‹, beschäftigen. Habgier versus Mutterliebe, Profit auf Kosten aller und besonders der Familie – Bertolt Brechts Werk ›Mutter Courage und ihre Kinder‹ (Uraufführung als ›Chronik aus dem Dreißigjährigen Krieg‹ im Jahre 1941 am Zürcher Schauspielhaus, mit späterer Nachbearbeitung) feierte in einer Koproduktion mit den Pfalzbau Bühnen Ludwigshafen Premiere in Pforzheim und überzeugte – wenn auch gerade nicht durch die Hauptrolle. Von JENNIFER WARZECHA

»Demonstration« ist ein gutes Stichwort, denn entgegen den Erwartungen ist es nicht die ›Mutter Courage‹ (in ihrer Rolle überzeugend, aufs ganze Stück bezogen aber lückenhaft, weil nicht über ihre Rolle hinausdeutend: Joanne Gläsel), die bezogen auf die Botschaft des Stückes überzeugt. Es ist ihre stumme Tochter Kattrin (vollauf überzeugend und durch ihre Tugendhaftigkeit sympathisch: Konstanze Fischer), die einerseits die Brechtschen Normen erfüllt, aber auch gerade durch ihre Tugendhaftigkeit überzeugt. Dabei spricht die Überlegenheit des Krieges zunächst einmal Bände. Mutter Courage betont im Gespräch mit dem Feldwebel (witzig und dennoch ernst zu nehmen: Tobias Bode) oder dem Feldprediger (dogmatisch und überzeugend: Hanns Jörg Krumpholz) immer wieder, wie viel ihr der Krieg einbrächte dank der Ware in ihrem Wagen – es sind vor allem bunte Pullover, die immer wieder den Bühnenboden säumen. Gerade diese nimmt Kattrin wie als Zeichen des Appells und der Anklage immer wieder an sich. Einmal zieht sie mehrere bunte Pullover übereinander an. Es scheint, als vermöge sie sich ein dickeres Fell zu verschaffen.
Die stumme Kattrin wird zur eigentlichen Heldin des Stückes
Eines, mithilfe dessen sie besser die aktuelle Situation, den Krieg, überstehen, ja geradezu ertragen, kann. Eine Situation, aufgrund derer Kattrin überhaupt erst stumm geworden ist, wie es die Sekundärliteratur andeutet.

Überzeugende Botschaft: Krieg ist kein Normalzustand und nicht gut für jedermann
Dem Koch, der ihrer Mutter gegenüber Anstalten macht, sagt sie genauso ihre Meinung und hält demonstrativ das Plakat mit dem Wort »Arschloch« mit entsprechendem Pfeil, hin zur Person, hoch. Dieser verweisende Charakter passt in Brechts episches und multimedial verweisendes Theaterkonzept. Zum moralischen und zugleich aktuellen Appell wird auch das nächste Plakat mit dem Satz »Im Boot ist noch Platz.« Nicht nur dieser nimmt Bezug zur aktuellen Flüchtlingskrise. Auch Mutter Courage selbst kommentiert sie und bemerkt, dass Bundeskanzlerin Merkel diese ja auch nicht allein in den Händen habe

Sympathisch und genauso ins Brechtsche Konzept passend ist der Einbezug des Publikums, der auch bei diesem selbst gut ankommt. Dann, wenn die Courage einen Herrn im Publikum anspricht, ihm einen Gutschein zeigt und ihm anbietet, sich bei ihr bessere Kleidung zu kaufen. Dann, wenn sie entsprechende Gutscheine verteilt oder dann, wenn Kattrin ins Publikum geht und Vorräte verteilt, die ihre Mutter anschließend gleich wieder einsammelt.
Wie aktuell aber ist Brecht heute? Der sich für die Inszenierung und für den Pfalzbau Bühnen Ludwigshafen verantwortlich zeichnende Tilman Gersch (unter Mitarbeit seiner Referentin Barbara Wendland) betont vorab, dass nicht der geschichtliche Hintergrund des Dreißigjährigen Krieges und der Krieg an sich im Vordergrund stehen, sondern die Differenz zwischen moralischem Ansinnen und tatsächlichem Tun.

Man darf auf weitere Produktionen des Stadttheaters Pforzheims und der des Pfalzbaus Bühnen Ludwigshafen, wie sie angedacht sind, gespannt sein.
Titelangaben
Bertolt Brechts ›Mutter Courage und ihre Kinder‹; Stadttheater Pforzheim
Inszenierung — Tilman Gersch
Musikalische Leitung — Frank Rosenberger
Bühnenbild und Kostüme — Andreas Auerbach
Dramaturgie — Peter Oppermann / Barbara Wendland
Besetzung:
Mutter Courage — Joanne Gläsel
Kattrin, ihre stumme Tochter — Konstanze Fischer
Eilif, der ältere Sohn — Sergej Gößner
Termine
Donnerstag, 19.11.2015, Beginn: 20:00
Dienstag, 24.11.2015, Beginn: 20:00
Mittwoch, 25.11.2015, Beginn: 20:00
Donnerstag, 03.12.2015, Beginn: 20:00
Samstag, 19.12.2015, Beginn: 19:30
Mittwoch, 30.12.2015, Beginn: 20:00
Dienstag, 05.01.2016, Beginn: 20:00
Sonntag, 10.01.2016, Beginn: 19:00
Freitag, 15.01.2016, Beginn: 19:30
Samstag, 13.02.2016, Beginn: 19:30
Freitag, 26.02.2016, Beginn: 19:30