Bühne | William Shakespeare: Der Sturm; Staatstheater Darmstadt
Das Staatstheater Darmstadt hat sich zum Spielzeitauftakt gleich einer großen Herausforderung gestellt: Regisseure Christian Weise hat William Shakespeares ›Der Sturm‹ auf die Bühne gebracht und als farbig sowie musikalisch buntes Stück inszeniert, wobei einige Schauspieler mehrere Rollen übernehmen und auch mit den Geschlechterbildern – was sowohl typisch für gegenwärtige Shakespeare-Aufführungen als auch für das Darmstädter Theater ist – ironisch spielen. PHILIP J. DINGELDEY hat sich die Premiere im Kleinen Haus am 17. September des Stücks über Rache, Zorn und Machtstrukturen belustigt, aber auch leicht enttäuscht angesehen.
Vor zwölf Jahren war Prospero der Herzog von Mailand, bis er von seinem intriganten Bruder Antonio weggeputscht und mit seiner Tochter Miranda auf hoher See ausgesetzt wurde. Mithilfe des neapolitanischen Hofphilosophen Gonzales konnten die beiden sich auf eine Insel retten, wo Prospero seitdem als Magier herrscht, etwa über den Windgeist Ariel oder Caliban, den missgestalteten Sohn der Hexe Sycorax, die der Zauberer bezwang. Als Monarch der Insel schwört er Rache und wartet über eine Dekade, bis ein Sturm Ariels die schiffbrüchigen Antonio sowie Alonso, den König von Neapel, inklusive Gefolge an die Insel spült. Jetzt sieht der Magier seine Zeit der Rache gekommen, lässt sie via Ariel in den Fieberwahn setzen, kontrolliert sie und verkuppelt Ferdinand, den Prinzen von Neapel mit seiner Tochter Miranda. Daneben muss Prospero auch noch einen Putschversuch Calibans verhindern, der die beiden versoffenen Diener Neapels Trinculo und Stephano für Götter hält und um Hilfe bittet. Doch im köstlichsten Moment der Rache beschließt der Zauberer schließlich, Gnade vor Recht ergehen zu lassen, schenkt den einstigen Usurpatoren sowie den Inselwesen die Freiheit und gibt seine magischen Fähigkeiten preis.Dummheit und Macht
Weise hat aus dem Stück eine mal tiefgründige, mal banale Parodie gemacht: So sind alle Figuren bis auf Prospero (dargestellt von Bernd Grawert, der auch noch Antonio und Stephano spielt) in dieser Inszenierung dumm oder naiv. Der gesamte Hofstaat wirkt clownesk, was auch durch deren kindliche, aufgeblasene Clownkostüme und der Verwendung von Luftballonschwertern unterstrichen wird. Und Christoph Bornmüller personifiziert neben dem Höfling Sebastian und Trinculo auch noch Miranda, die gekonnt mit kindlich-femininen Fragen Prosperos Rachenarration unter- und durchbricht. Gerade durch die Darstellung der Tochter durch Bornmüller, der überspitzt die minder intelligente, »wunderschöne« Tochter spielt und durch seine/ihre Liebesszenen mit Sebastian wird ein Teil der Handlung so aufgeweicht und humoristisch ins Groteske verfremdet.Am auffälligsten verkörpert aber Caterine Stoyan den Luftgeist Ariel: Klein und dünn, mit einer dicken blonden und struppigen Perücke sowie bunten Kleidern, wirkt sie mit einer krächzenden hohen Stimme, kindlichen Spielen und wildem Umherspringen, fast wie ein Minion aus dem Disney-Universum, was sie für das begeisterte Publikum zum heimlichen Star des Abends machte.
Während diese Art des Schauspiels zwar humorvoll ist, aber die Handlung eher simplifiziert und durch das Spiel der Dummheit eher entwertet, sind zahlreiche andere Stilmittel sehr erfrischend und heben vor allem die Interdependenzen und Hierarchien hervor. Denn zunächst unterlag Prospero zwar dem Putsch, aber nun ist er der Herr der Insel. Ariel wiederum wird Herr über den schiffbrüchigen Hofstaat, und Caliban ist unfähig zur Revolte, ohne sich zuvor neue Unterdrücker zu suchen, den hier (passenderweise) bayerisch-fränkisch sprechenden und Flüchtlingswitze reißenden Trinculo und den kölnisch redenden Stephano.
Utopie ist Wahnsinn
Etwa wird immer wieder atonale Musik verwendet – generiert mit exotischen, einfachen Instrumenten, wie einer Holzorgel, einem Daxophon, einer Bass-Kalimba, einem Federblitz oder auch einer einfachen Badewanne –, um die Dramaturgie zu unterstreichen oder auch zu durchbrechen und die mystischen Klänge der Insel zu vertonen. Auch lässt Weise oft die Protagonisten in einem Spiel im Spiel agieren: Der Hofstaat wird etwa am Marionettenfäden aufgehängt, und mit Rasseln und Geschrei lässt Ariel diese Puppen tanzen. Ebenso zeigt der Geist Miranda und Ferdinand ein Papierpuppentheater, indem allerlei vermeintliche Utopiker, wie Shakespeare, Karl Marx, Mahatma Gandhi, John Lennon oder Ché Guevara auftreten.Die Utopie Shakespeares besteht im ›Sturm‹ in der humanistischen Hoffnung, dass Vergebung und Gnade über Rache und Zorn obsiegen, ergo der Zirkel oder die Spirale der Gewalt überwunden wird, was einem extremen Bruch im Stück generiert. Weise erscheint dies unrealistisch, weshalb er am Schluss zahlreiche Verfremdungseffekte rekurriert und so seiner ansonsten eher mediokren Inszenierung eine intelligente Wende verschafft: So lässt er Prospero mit seinen Dienern über den genialen Text Shakespeares diskutieren und ob man das denn so auch einfach spielen könne. Des Weiteren vergibt Prospero am Ende nur noch den an Seilen aufgehängten Kostümen des Hofstaates in einem langen Monolog, in dem Grawert auch alle anderen Sprechrollen übernimmt – fraglich bleibt so, ob Prospero an der Rache nicht einfach zerbrochen ist, selbst dem Wahnsinn, der Schizophrenie anheimfiel und nur leeren Hüllen aufrichtig vergeben kann. Bedingungslose Vergebung im Spiel von Gewalt und Macht ist nur schwer denkbar.
| PHILIP J. DINGELDEY
| Fotos: SANDRA THEN
Titelangaben
William Shakespeare: Der Sturm
Staatstheater Darmstadt, Kleines Haus
Regie: Christian Weise
Prospero/ Antonio/ Stephano: Bernd Grawert
Ariel: Caterine Stoyan
Miranda/ Sebastian/ Gonzalo: Christoph Bornmüller
Caliban/ Ferdinand/ Gonzalo: Stefan Schuster
Termine
Freitag, 02.10.2015, 19.30 Uhr
Sonntag, 25.10.2015, 19.30 Uhr
Samstag, 07.11.2015, 19.30 Uhr
Donnerstag, 12.11.2015, 19.30 Uhr
Freitag, 20.11.2015, 19.30 Uhr
Freitag, 04.12.2015, 19.30 Uhr
Freitag, 18.12.2015, 19.30 Uhr
Samstag, 26.12.2015, 19.30 Uhr