Wie in eine andere Zeit hinein versetzt fühlt man sich an diesem Theaterabend. Das Bühnenbild besteht aus einer schlichten Empore, umrahmt quasi von einem Bodenbelag, der wirkt als handele es sich um Goldplättchen. Auch Iphigenie, die Hauptperson in Johann Wolfgang von Goethes Drama »Iphigenie auf Tauris« (emotional-ausdrucksstark, edel und selbstbewusst: Nika Wanderer), kommt bei ihrem Auftritt im Stadttheater Pforzheim in einem goldenen Kleid (sorgten für eine wohlbedachte und angemessene Kleidung der Künstler und zeigten sich für die Kostüme zuständig: Gera Graf, Annegret Ritzel; Umsetzung Bühnenbild: Sebastian Dierer, Melanie Kalkofen, Frank Gutekunst) daher. Das Gold steht auch für »Goethes sprachschönes Bekenntnis zu Aufklärung und Humanismus«, wie es der Programmflyer ausdrückt. Von JENNIFER WARZECHA
Wie fühlt man sich, wenn man einem Geschlecht entstammt, das erblich bedingt mit einem Götterfluch belegt ist und deshalb durch Gewalt und innerfamiliären Mord geprägt? Das fragt sich Iphigenie in dem Stück auch, ist es beim Geschlecht des Tantalus doch genauso. Die Göttin Diana rettete sie vor dem Opfertod und sendete sie nach Tauris. Hier arbeitet sie im Dienst einer Priesterin, möchte jedoch unbedingt zurück in ihre Heimat gehen. Deshalb verzichtet sie darauf, Thoas (redegewandt, überzeugend und manchmal herrisch: Peter Donath), den König auf Tauris, zu heiraten. Um all ihre Werte zu betonen, spricht Iphigenie vor dem Publikum über Dankbarkeit und Undankbarkeit. Sie entkleidet sich und erinnert sich ihrer Ahnen und Urväter. Mit dem König streitet sie sich darum, dass »auch ein Weib soviel taugt wie ein Mann« und man keineswegs das weibliche Geschlecht verhöhnen und ablehnen sollte. Der König schreit sie an. Er möchte sich in seiner Verletzung aufgrund des abgelehnten Heiratsantrags an ihr rächen und droht ihr, die von Iphigenie abgeschafften Menschenopfer wiedereinzuführen.
Schuldbeladen
Auch das Geschwisterpaar, Iphigenie und Orest (energiegeladen, zornig, manchmal verzweifelt: Daniel Kozian), trifft in einer Szene aufeinander. Schuldbeladen windet er sich auf der Bühne und hält ein Messer in der Hand. Iphigenie beruhigt ihn und spielt noch dazu auf dem Klavier. Aus dem Off erklingt vor der Pause des Dramas mit zwei Stunden Aufführungsdauer der Satz »Brudermord ist althergebrachte Sitte in diesem Stamm«.
Charakter entfalten
Im ganzen Drama verfolgen die Anwesenden aller Altersgruppen im Großen Haus des Stadttheaters Pforzheim auch das, wie sich vor ihren Augen und in ihrem Beisein Iphigenies Charakter entfaltet. Immer wieder verbirgt sie ihr Gesicht mitsamt ihrer Emotionen hinter einem goldenen Kreis, der wie ein Gong wirkt. Dabei philosophiert sie laut darüber, wie sorgsam sie in ihrem ganzen Leben doch schon immer jemandem gefolgt sei, »erst den Eltern, dann einer Gottheit.«
Dennoch betont sie »Ich bin so frei geboren wie ein Mann« und fragt »Muss sich ein Weib anders wie ein Mann rechtfertigen?« Weiter sinniert sie »(…) Auf und ab entsteigt der Brust ein zartes Unternehmen. (…) Sie sind hinweg und fahren der Ältesten harte Ufer auf. Es ist ein hartes Los, mein Bruder Orest (…), das Mutterblut, der Schuldigen Befreiung. (…) Wie kann ich dem entgehen, dass ich meinen Bruder ermorden werde? / Mein Bruder fiel durch meine Schuld allein (…) Lass‘ mich mit reinem Herzen meiner Schuld entgehen (…), lass‘ die Gnade nicht durch Lobgesang, durch Heil und Dank lodern.« Der König erwidert »Wie oft besänftigte mich diese Stille.«
Im Zeichen der Freundschaft
Iphigenie verabschiedet sich von ihm mit diesen Worten »Leb‘ wohl und reiche mir zum Zeichen der Freundschaft Deine Rechte.« Der König tut’s und sagt ihr abschließend »Leb‘ wohl!« Ein begeistertes Publikum quittiert dies abschließend mit genauso wohlwollendem und begeistertem Applaus. Souverän und einfach klasse!
| JENNIFER WARZECHA
| Fotos: SABINE HAYMANN
Titelangaben
Iphigenie auf Tauris
Drama von Johann Wolfgang von Goethe
Theater Pforzheim (Podium)
Besetzung:
Iphigenie – Nika Wanderer, Thoas – Peter Donath
Orest – Daniel Kozian, Pylades – Timon Schleheck
Arkas – Fredi Noël
Inszenierung – Annegret Ritzel
Bühnenbild – Annegret Ritzel (Idee), Sebastian Dierer (Ausführung);
Melanie Kalkofen (künstlerische und technische Beratung)
Kostüme – Gera Graf, Annegret Ritzel
Dramaturgie – Peter Oppermann
Dauer: ca. 2h 15 Min, Pause nach ca. 70 Min
Weitere Termine:
Fr. 08.10.2021, Beginn: 20 Uhr; Sa. 09.10.2021, Beginn: 20 Uhr; Sa. 23.10.2021, Beginn: 20 Uhr; So. 24.10.2021, Beginn: 20 Uhr