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Ankommen

TITEL-Textfeld | Wolf Senff: Ankommen

Nein, sie seien gar nicht angekommen auf diesem Planeten, nie, verstehst du, Farb, dem äußeren Anschein nach angekommen, sicher, jedoch nicht mit der  Absicht, Wurzeln zu schlagen, nicht mit dem Ziel, sich heimisch niederzulassen.

Aber sie hätten viel davon geredet, eine Heimat gefunden zu haben, überlegte Wette, und ob sie sich da etwas vorgemacht hätten.

Ankommen, Tilman, was bedeute das: ankommen, du kannst nicht unvollständig ankommen, etwa ein Bein oder einen halben Fuß draußen lassen, nein, unmöglich, wohin solle das führen.

Farb tat sich eine Pflaumenschnitte auf.

Tilman reichte ihm einen Löffel Schlagsahne.

Annika blätterte in ihrem Reisemagazin.

Nein, sagte sie, der Mensch habe nicht seßhaft werden wollen auf diesem Planeten, nicht ernsthaft, null, er verhalte sich, als wäre er auf Durchreise, ein Zwischenstopp werde eingelegt, der Planet eine Durchgangsstation.

Farb lachte. Mehr noch, sagte er, er führe sich auf wie eine marodierende Horde, wie eine Mörderbande, nein, daß er wie ein Gast auftrete, sich heimisch einzurichten, davon könne nicht die Rede sein, und es müsse erlaubt sein zu fragen, wer ihn eingeladen habe und ob ihn überhaupt jemand eingeladen habe, das sei nun einmal Lage der Dinge, oder ob er sich gar gewalttätig Zutritt verschaffe.

Er sei ein Fremdkörper, sagte Annika.

Er sei unfähig, sagte Farb, sich an die gegebenen Umstände anzupassen, er kenne keine Rücksichtnahme und nutze Vorteile bedenkenlos aus, er kenne allein sich selbst, stets die eigenen Bedürfnisse, die eigene Gier befriedigend, den Planeten plündernd, dessen Schätze ausbeutend, nein, nie und nimmer, wer möchte mit einer solchen Spezies zu tun haben.

Naheliegend sei sogar, sagte Annika, daß man vermute, der Mensch stamme von einem  Planeten, den er abgeerntet habe, und kolonisiere nun die Erde.

Seine Sprache, sagte Tilman, sei außergewöhnlich fein ausgebildet, messe man sie daran, wie sich andere Lebewesen auf diesem Planeten verständigten, die weder Worte kennen würden noch Sätze bildeten, und außer zu konstatieren, daß sie sich evolutionär herausgebildet habe, kenne der Mensch selbst keine Beweise dafür, wie sie entstanden sein könne, nein, es spräche manches dafür, daß der Mensch unvermutet eingetroffen sei, keineswegs friedfertig, keineswegs, um sich in die Verhältnisse, die er vorfinde, zu fügen, sondern um sich diese Welt zu unterwerfen und ihre Ressourcen auszubeuten, das Maß seiner destruktiven Tätigkeit sei unvorstellbar, er führe sogar untereinander vernichtende Kriege und erfinde Waffen, sich gegenseitig zugrunde zu richten, Hagel und Granaten, wer denke sich so etwas aus.

Nein, als Ankommen werde das niemand gelten lassen, sagte Tilman, es handle sich um beispiellos aggressive Gewalt, Mord und Totschlag, er sei ein Eindringling, der keine Rücksicht auf bestehende Strukturen nehme.

Es gebe Widerstand, sagte Annika.

Doch, ja, es gebe immer wieder Widerstand, der jedoch schwach sei und sich nicht durchsetzen könne, sagte Tilman, internen Widerstand gegen die räuberische Plünderung, verbunden mit Initiativen, sich heimisch niederzulassen.

Er sei nicht von Anfang an so aufgetreten, wandte Wette ein, die indigenen Völker und antike Zivilisationen hätten im Einklang mit der Natur zu leben gesucht.

Tilman lächelte. Genaugenommen, sagte er, habe sich der räuberische Charakter mit der Industrialisierung herausgebildet, das sei wenige Jahrhunderte her, seitdem werde der Planet bedenkenlos geplündert, und man könne zurecht sagen, die indigenen Völker und antike Zivilisationen seien auf dem Planeten angekommen gewesen, sie hätten sich zu Hause gefühlt.

Die Zeiten seien vorbei, sagte Wette.

Annika blätterte in ihrem Reisemagazin.

Farb aß von seiner Pflaumenschnitte.

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Tilman nickte.

Annika schlug ihre Reisezeitschrift zu und legte sie beiseite.

Cheyne Beach liegt an der südwestlichen Ecke Australiens, nicht weit von Albany, sagte Tilman, fünfundsechzig Kilometer westlich, und wurde zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts Stützpunkt der Walfänger, dort vor der Küste wurde immer schon dem Wal nachgesetzt, anderthalb Jahrhunderte lang war es eine einträgliche Industrie, und Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts wurde dort eine Station zur Verwertung der Walkadaver eingerichtet, die Cheyne Beach Whaling Company, die allerdings nicht besonders ertragreich war.

Annika lächelte. Das, sagte sie, war schon die Folge der ersten Jahre der weltweiten Proteste gegen den Walfang.

Die Proteste waren höchst wirksam, sagte Tilman, der Einsatz war allerdings lebensgefährlich, den Walfangbooten wurde mit wendigen Schlauchbooten in die Parade gefahren, so daß eine geordnete Jagd kaum möglich war, die Fangquoten gingen zurück, und im November 1978, alles gut, wurde die Walstation aufgelöst.