Vor ganz, ganz vielen Jahren, als ich bei einer Zeitung arbeitete, warteten wir an einem Sonntag vergebens auf den Wetterbericht für die Montagsausgabe; dieser erreichte uns eigentlich stets über Fernschreiber. Was tun? Wir machten das Fenster auf, sahen eine Weile in den Himmel und schrieben einen tollen Wetterbericht. Lange her, aber auch Menschen auf See oder Landwirte, sie wissen eine ganze Menge mehr über das Wetter als wir. Und mit diesem Blick gen Himmel beschäftigt sich auf sehr spannende Weise dieses Buch. BARBARA WEGMANN.
»Wieder einmal erweist sich, dass man nirgends so sehr Anlass hat, sich mit dem Wetter zu beschäftigen, wie auf einem Segelschiff. Motorschiffe sind nicht auf den Wind angewiesen, um dorthin zu kommen, wo sie hinwollen.«
Der, der das sagt, hat seit 30 Jahren Erfahrungen mit der Segelschifffahrt auf allen Weltmeeren gesammelt. Kapitän war Elliot Rappaport, Professor für Nautik in Massachusetts. Rappaport bietet Bachelor-Studiengänge in Meereskunde an Bord von Segelschiffen an, »bereitet Kadetten auf eine berufliche Laufbahn auf See vor«. Fundament für all sein umfassendes Wissen: sein Studium der Geowissenschaften mit Schwerpunkt Meteorologie. Und genau das ist es, womit sich das 400 Seiten starke Buch beschäftigt.
»Wir segeln vor der Küste Neuseelands, wo man alle vier Jahreszeiten binnen einer Stunde erleben kann.« Ein tropisches Tiefdrucksystem, so beschreibt Rappaport die Fahrt, führe von Nordost zwei Meter hohe, gleichmäßig geformte Wellenberge heran. »Wenn sie das Schiff erreichen, heben sie das Deck an, als führe es auf eine Rampe. Die Bewegung lässt die Takelage erzittern und setzt manchem unter Deck so zu, dass er weder lesen noch arbeiten kann.« Oh wie gut kann ich das verstehen.
Das Wetter, das was da ist, und das, was kommen wird, das lesen versierte Segler aus Wellen, Wind und Himmel ab, da kräuselt es sich plötzlich an der Wasseroberfläche, Wolken gleichen »langen, schlauchförmigen Schwaden, die eine Schleppe aus Regen hinter sich herziehen.« Es wird plötzlich kälter, zwei Luftschichten treffen aufeinander. Zusätzlich zur althergebrachten professionellen Beobachtung kommen natürlich auch alle modernen Geräte und Aufzeichnungsmöglichkeiten zum Einsatz.
Alle Daten sind festzuhalten: Uhrzeit, Wind, Wellen, Luftdruck, Temperatur, Bewölkung. Segler tragen geradezu zwanghaft Informationen zusammen und halten sie fest, schreibt Rappaport. Nur eine so genaue und detaillierte Beobachtung, so der Wetter- und Segelprofi, ermögliche eine Einschätzung der aktuellen Wetterlage und ermögliche es, einzuschätzen, wie sich alles weiterhin entwickelt.
Rappaport nimmt mit auf Segeltouren über die Meere dieser Erde, erzählt eine Menge von Unwettern, Hurrikans, El Niño-Phänomen, von Eisbildung, Stürmen und extremen Wettern auf hoher See.
Obwohl seine Texte oft wie vom Sturm durcheinandergewirbelt erscheinen, folgt man gern seinen Erlebnissen, lernt eine ganze Menge auch als Landratte. Schade, dass kein einziges Bild auf den 400 Seiten den langen Text etwas auflockert, ein wenig das Visuelle bietet, das der Text doch so eindrucksvoll beschreibt und verspricht.
Viele Einzelbeispiele sind es aus dem spannenden Bereich der Meteorologie, die letztlich auch ganz generell die Klimaentwicklung verdeutlichen. So wird das Buch nicht nur zu einem geradezu abenteuerlichen Seefahrtsbuch, einer geschichtlichen Betrachtung der Entwicklung von Seefahrt und Wetterkunde, sondern lässt auch wissenschaftlichen Hintergründen Platz.
Und manchmal darf man auch hautnah die Segeltour miterleben. »Wärst du einverstanden, wenn wir das Essen heute in der Kombüse lassen …? Ich kann natürlich auch Tabletts ausgeben, aber ich fürchte, sie bleiben nicht lange genug auf dem Tisch, um die Teller leer zu essen.«
Titelangaben
Captain Elliot Rappaport: Das Wetter lesen
Wie Wolken, Wind und Wellen unser Leben bestimmen
Aus dem Englischen von Rudolf Mast
Hamburg: Mare Verlag 2024
28 Euro, 400 Seiten