Lyrik gehört nicht unbedingt zu der Sorte Literatur, die besonders viel gelesen wird. Schade, findet ANDREA WANNER und legt allen Teenagern und Junggebliebenen den Gedichtband ›Was keiner kapiert‹ ans Herz.
Ein bisschen klingt der Titel wie eine Warnung. ›Was keiner kapiert‹ – lässt man da –nicht besser die Finger davon? Oder versucht man es vielleicht so zu verstehen, dass hier einer Worte findet für Dinge, die schwer in Worte zu fassen sind.
Erwachsenwerden. Sich fehl am Platz fühlen. Sich verlieben. Liebeskummer haben. Sich dazugehörig fühlen wollen. Sich einsam fühlen. Wünsche, Träume, Sehnsüchte, Ängste. So deutlich spürbar, so diffus und verworren. Genau das Richtige für Lyrik.
Michael Hammerschmids Texte haben ihren eigenen Rhythmus, auf den man sich einlassen muss. Wenig und oft sehr einfache Worte, keine Satzzeichen bis auf den Punkt am Ende, kein Verlass auf Verse, sondern ein Ineinanderfließen von Gedanken, die einen Takt brauchen, den man ihnen beim – am besten laut – Lesen gibt. Die Titel sind kleine Orientierungshilfen wie »singlesong«. Da entsteht sofort ein Bild von jemandem, der oder die allein ist. Und es auch sein will, an diesem Tag. Denn es gäbe durchaus Alternativen:
»mein handy ist ein
bienenstock für heute
lass ihn sein«
Der lockende Kontakt zu anderen zieht nicht: Jemand, ein »ich«, hat sich entschlossen, an diesem heute allein zu sein und zu bleiben. Solche Tage gibt es, alle kennen sie. Und Hammerschmid findet den Zugang zu dieser Form des »alleinallein«.
Wunderbare neue Wortkreationen finden sich in seinen Gedichten wie die die Trauer über ein »ganz unzuzweit«. Es gibt Krieg und Streit, Partys und die Stimme eines Du. Man lässt sich in den Sog dieser Fragen und Andeutungen, Skizzen und Beschreibungen, Fantasiegebilde und Nachdenklichkeiten ziehen.
Weiß und Azurblau lacht einen dieses schmale Bändchen an. Illustriert hat es Barbara Hoffmann, von der auch das herrliche Bilderbuch ›Alles gesagt werden muss‹, in dem ihre Bilder auch so viel über Gefühle und Emotionen erzählen. Zauberhaft, wie sie »die nacht ist hell geworden« inszeniert, was ihr zum »rätselraten« einfällt und wie sie mit dem ihr zur Verfügung stehenden Blau alle Farben der Texte zum Leuchten bringt.
Gedichte lesen muss man üben, sich einlassen, Zeit nehmen, die Fantasie anregen lassen. Wem das gelingt, der wird an diesem Buch viel und lange Freude haben.
| ANDREA WANNER
Titelangaben
Michael Hammerschmid: Was keiner kapiert
Illustriert von Barbara Hoffmann
Wien: Jungbrunnen 2024
112 Seiten, 15 Euro
Jugendbuch ab 13 Jahren