Was macht mit Frau Spinne mit dem einen ihrer zahlreichen Kinder, das einfach nicht in der Lage ist, ein vernünftiges Netz zustande zu bringen. Frau Wurm hat einen Vorschlag, der gleich in die Tat umgesetzt wird. Von ANDREA WANNER
Ein Gespräch zwischen Müttern, die Probleme mit einem Kind haben, könnte genau so verlaufen. »Ich kenn da jemanden, der Ihnen helfen könnte.« Klingt das nicht toll? Das Problem ganz schnell in die Hand eines anderen zu legen, der zudem noch Fachmann auf diesem Gebiet zu sein scheint? Frau Spinne findet die Idee perfekt und macht sich mit der Spinnentochter auf den Weg zum Skarabäus.
Die kann zwar nicht spinnen, aber sie hat ein waches Auge, staunt auf dem weiten Weg über die Natur, den Wald, die Pflanzen. Sie kann sich nicht sattsehen, stellt neugierig Fragen und ist total fasziniert von allem, was sie erlebt und dabei lernt.
Die neue Umgebung bei dem Mistkäfer stellt sich als weniger attraktiv heraus: Sie kommen auf einer Müllkippe an. Dort haust der Skarabäus mit seinen anderen Schützlingen, die ebenfalls den gesellschaftlichen Normen nicht genügen: Die Fliege, die aufgrund ihrer Zähne »lifpeld«, eine Hummel, die ständig weint, und ein Glühwürmchen, das nur vor sich hin glimmt, statt richtig zu leuchten. Der Unterricht ist weit davon entfernt, den Kleinen etwas beizubringen. Sie müssen nur auf der Müllhalde nach Schätzen für ihren Peiniger suchen, der sie mit Kommentaren wie »Vollkommen unnütz. Dummkopf!« fertigmacht. So sieht der Alltag aus und auch die kleine Spinne wird dort nie lernen, ein richtiges Netz zu spinnen. Woher auch?
Die hat aber auch gar kein Bedürfnis, sich so etwas gefallen zu lassen. Der Wald und seine Geheimnisse locken. Dort gibt es so viel zu entdecken, dass sie die drei anderen überredet, mit ihr gemeinsam abzuhauen. Und das auch noch ausgerechnet bei Anbruch der Dunkelheit. Ob das gutgeht? Wenn alle dazu beitragen und sie als Team agieren, könnte der verwegene Plan klappen.
Marzena Sowa und Dorothée de Monfreid erzählen in ihrem Kindercomic ein packendes Abenteuer mit ungewöhnlichen Helden. Man sieht sie schon auf dem Cover: vier kleine Figuren in einer nachtblauen Landschaft. Vorneweg die mutige kleine Spinne, gefolgt von der Fliege, dem Glühwürmchen und der Hummel. Damit sie sich und den Weg nicht verlieren, folgen sie dem Faden, den die Ich-Erzählerin spinnt. Aber sie ist nicht die Einzige, die ihren Teil beiträgt zu dieser, gar nicht so kleinen, Flucht auf dem Weg in eine bessere Zukunft.
![Abbildungen, auf denen sich mehrere Insekten unterhalten](https://titel-kulturmagazin.net/wp-content/uploads/9783956404115.interior07_1024x1024.jpg)
Da wird es nachts ziemlich gruselig und aufregend, da ist die Rede von Umkehr und Rückkehr zum Skarabäus und es lauern echte, lebensbedrohende Gefahren. Aber da sind auch Entschlossenheit und Mut, die durch diese kluge und amüsante Geschichte tragen. Jede und jeder kann was und sich das bewusst zu machen und umzusetzen, macht auf Dauer glücklich. Man muss sich nur trauen.
Titelangaben
Marzena Sowa und Dorothée de Monfreid: Die kleine Flucht
Aus dem Französischen von Ulrich Pröfrock
Berlin: Reprodukt 2024
40 Seiten, 15 Euro
Kinderbuch ab 6 Jahren