Kapitalismus für Anfänger*innen

Kinderbuch | Ole Nymoen und Wolfgang W. Schmitt: Die kleinen Holzdiebe und das Rätsel des Juggernaut

Karl und Rosa leben mit ihren Eltern auf einem Hof. Das Leben ist nicht einfach, viel Abwechslung gibt es nicht. Aber es reicht zum Leben, Überschüssiges wird auf dem Markt verkauft und sie sind zufrieden. Es soll nicht so bleiben. Von ANDREA WANNER

Eine tempelähnliche Kutsche aus Holz, davor zwei kleine Kobolde.Ein Schild schreckt die Geschwister auf, als sie wie gewohnt im Wald Brennholz sammeln wollen: »Holzsammeln ab sofort verboten«. Schon bald erfahren sie, was es damit auf sich hat: Der Wald, bisher Gemeineigentum wurde verkauft. Die Königin der Insel Feudalia informiert die Untertanen, dass sie ab sofort die Beziehungen zur Nachbarinsel Capitalia intensivieren werden. Eine Brücke dorthin wird gebaut, es soll eine Eisenbahn geben. Alle Bewohner von Feudalia müssen in die Stadt ziehen und dort zukünftig in Fabriken arbeiten, um dort ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Was unvorstellbar schien, wird schon bald traurige Realität.

Während die Erwachsenen sich widerstandslos in das scheinbar Unvermeidbare fügen, rumort es bei den Kindern. Die Eltern haben auch früher hart gearbeitet, aber jetzt arbeiten sie noch mehr und es geht der Familie schlechter. Der Wohnraum ist knapp, es gibt weniger zu essen, das Brot wird immer teurer. Irgendwie ist das alles ungerecht. Und als dann noch die tägliche Arbeitszeit erhöht werden soll, hat Rosa eine Idee.

Ole Nymoen und Wolfgang W. Schmitt haben einen gemeinsamen wöchentlichen Podcast. Jeden Mittwoch sprechen sie in »Wohlstand für alle« über Geld. Jetzt haben sie ein gemeinsames Kinderbuch zu diesem Thema geschrieben: kein Sachbuch, sondern in einer Abenteuergeschichte versteckte Fakten und Informationen. Das ist eigentlich eine gute Idee, die auch durchaus durchdacht funktioniert, nur eben an manchen Stellen doch ein bisschen sehr das zugrunde liegende Konstrukt durchschimmern lässt. Dass Kapitalismus zu Ungleichheit und Konkurrenzdruck führt, verstehen junge Leserinnen und Leser sicher am Ende der Story. Manches hätte man aber auch ein bisschen mehr im Reich der Geschichten lassen dürfen.

So ist auch das Bild des Juggernaut, von dem Karl im ersten Kapitel des Buches träumt, zwar durchaus passend, aber die die unaufhaltsame Kraft, die alles vernichtet, was ihr im Wege steht, wird zu wenig kindgerecht aufgelöst. Ein bisschen mehr Fantasie hätte dieser Story gutgetan – die Botschaft wäre sicherlich erhalten geblieben. Und über Feudalismus und Kapitalismus und ihre möglichen Alternativen nachzudenken, ist durchaus lohnenswert.

Nick-Martin Sternitzke gibt sein Debüt als Illustrator und seine grob geschnitzt wirkenden Figuren sind eine interessante Ergänzung zu einem Buch, dem man viele Leserinnen und Leser wünscht, weil es trotz aller Mängel ein spannendes Thema beleuchtet, das im Kinderbuch wenig Beachtung findet.

| ANDREA WANNER

Titelangaben
Ole Nymoen und Wolfgang W. Schmitt: Die kleinen Holzdiebe und das Rätsel des Juggernaut
Illustriert von Nick-Martin Sternitzke
Berlin: Insel 2024
268 Seiten, 18 Euro
Kinderbuch ab 10

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Aus

Nächster Artikel

Kampf um eine boomende Stadt

Weitere Artikel der Kategorie »Kinderbuch«

Vom Stottern und dem Fluss

Kinderbuch | Jordan Scott, Sydney Smith: Ich bin wie der Fluss

Was ist das für ein Gefühl, wenn Worte sich zu einem zähen Brei verklumpen, nicht aus dem Mund kommen? Wenn die Mitschüler sich darüber lustig machen und selbst der Lehrer mit dem stotternden Jungen nicht umgehen kann? Jordan Scott und Sydney Smith erzählen das Seelenleben eines Stotterers grandios in Wort und Bild, findet SUSANNE MARSCHALL

Böse Ferien

Kinderbuch | Sabine Ludwig: Schwarze Häuser    In schwarzen Häusern wohnen böse Zauberer – im Märchen. In der Wirklichkeit muss das Haus nicht schwarz sein und seine Bewohner keine magischen Gestalten. Im vorliegenden Fall ist es ein Kinderferienheim und das Übel steckt in denen, die für das Haus und die Kinder zuständig sind. Ihnen bereiten sie böse Ferien. Sabine Ludwig hat für ihr neues Kinderbuch ›Schwarze Häuser‹ keine fantastische Geschichte bemüht, sie erzählt einfach, wie es einmal gewesen ist. Von MAGALI HEISSLER

Wenn ein Buch dreidimensional wird

Kinderbuch | Maike Biederstädt: Das Wetter

Ganz unabhängig vom Inhalt: gute Pop-up-Bücher sind wie kleine Kunstwerke und die, die sie erschaffen, haben oft viel Talent, so wie hier Maike Biederstädt. Die Papieringenieurin und Illustratorin demonstriert und präsentiert auf fünf fantastischen, aufklappbaren Seiten Wettersituationen, erklärt im Text Wetter, Wellen und Wind, Regen und Sturm, Wüste und Trockenheit. Eine prima Grundlage und Hilfe für alle, die beim Stichwort Klimawandel mitreden wollen, meint BARBARA WEGMANN.

Ein Knirps auf dem Vormarsch

Kinderbuch | Janet Foxley: Munkel Trogg Riesen sind – natürlich – riesengroß. Sind sie das nicht, haben sie ein Problem. Davon weiß Munkel Trogg, der kleinste Riese der Welt, ein Lied zu singen. Aber wer zuletzt lacht, lacht bekanntlich am besten. Von ANDREA WANNER

Kampf dem Irrtum und Vorurteil

Kinderbuch | Jon Agee: Auf der anderen Seite der Mauer

Wir stellen uns eine hohe Mauer vor. Und wir wissen, dass auf der anderen Seite etwas ganz Schreckliches ist. Etwas wirklich Ungeheuerliches. ANDREA WANNER blätterte in diesem spannenden Bilderbuch.