Kinderbuch | Martin Klein: Medusien
Manchmal erwarten einen Überraschungen im Leben. Veränderungen, von denen man zunächst nicht weiß, was man von ihnen zu halten hat. So eine Überraschung ist der Umzug der Familie Wunderlich nach Medusien. ANDREA WANNER hat sie an den fremden Ort begleitet.
Eigentlich ist Medusien ein Glücksfall in wirtschaftlich schwierigen Zeiten für die Familie. Der Vater trägt mit Einradfahren und Jonglieren nicht besonders viel zum Leben bei, diese Aufgabe liegt bei der Mutter. Sie hat einen guten Job: Fahrradmechanikerin – spezialisiert auf Einräder. Und deshalb will man sie in Medusien haben, denn Einradball ist in Medusien Nationalsport und sie soll die Räder des 1. KK Finsterrode betreuen. Aber irgendwie ist alles merkwürdig. Man erzählt sich seltsame Dinge über Medusien, wo angeblich Ungeheuer leben. Und der mitgeschickte stinkende Käse als Vorgeschmack wirkt auch alles andere als einladend. Mutter Johanna reist schon mal voraus, Vater Oskar, der 11jährige Nick und die kleine Mia kommen hinterher – und wissen sofort, dass sie es dort nie aushalten werden.
Fehlstart
Es geht schief, was schiefgehen kann. Nick legt sich in der neuen Schule sofort mit drei Typen an, einer davon sieht aus wie ein Alligator, die beiden anderen gleichen einem Bär und einem Büffel. Er wird ausgelacht und als »Konti«, einer vom Kontinent, beschimpft. Dem Vater misslingt das Mittagessen, weil er für die Spaghettisauce Ketchup mit ungenießbarem Wunderwürzwurz verwendet und Mia kommt heulend aus dem Kindergarten, weil die anderen ihr buntes Bild blöd fanden – Farben in Medusien sind verpönt. Ein winziger Lichtblick scheint die Einradballmannschaft der Schule zu sein, in der Nick sein Können unter Beweis stellen kann. Aber auch das finden nicht alle gut – es ist ausgerechnet Johanna, wegen der man ja eigentlich in das fremde Land gezogen ist, die vorschlägt, dass Experiment abzurechen. Aber so leicht will dann doch keiner aufgeben.
Interkulturelles
Martin Klein zeichnet eine fremde Welt voller merkwürdiger Wesen. Nichts ist vertraut, geltende Regeln sind außer Kraft gesetzt. Alles, was man sagt und tut, kann falsch sein, verletzen oder einen der Lächerlichkeit preisgeben. Schritt für Schritt muss die Familie sich an das herantasten, was in Medusien »normal« ist. Die Unterschiede werden bewusst überspitzt, gängige Normen ins Gegenteil verkehrt.
Das ist raffiniert gemacht und amüsant zu lesen, wenn z.B. die Schüler in Medusien am Lesen gehindert und zum Computerspielen gezwungen werden müssen. Übertrieben wird es an Stellen, wo Religion ins Spiel kommt, die zur Mythologie wird und Figuren wie Ttog, Mada, Ave, und Haon auftreten.
Wie viele junge Leserinnen und Leser das verstehen, die Namen umdrehen und dann noch einen Sinn dahinter erkennen, sei dahingestellt. Dafür hat der Gedanke, dass das Verhältnis zwischen den Bewohnern vom Kontinent und den Medusiens durch einen zurückliegenden Krieg nachhaltig gestört wurde, durchaus etwas Logisches und gibt der Geschichte Tiefe.
Langsam und mühsam findet eine Annäherung statt. Kleine Schritte sind Erfolge und Klein verzichtet auch bewusst auf ein grandioses Finale.
Überzeugend schildert er, wie sich die Familie durch ihr neues Leben tastet, Empathie und Verständnis entwickelt für das, was sie zu Beginn einfach ablehnten. Jeder auf seine Art.
Am Ende sieht Nick seine neue Heimat mit anderen Augen und zwischen dem Geröll und den Kakteen Medusiens blühen die ersten Blumen aus den mitgebrachten Samen.
Martin Klein: Medusien
Berlin: Tulipan 2014
192 Seiten, 12,95 Euro
Kinderbuch ab 10 Jahren