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Atmosphärische Leere

Interview | Axel Breutigam: Facetten eines Campus

Die Wege zum Fotografen sind bisweilen recht verschlungen. So auch im Fall von Axel Breutigam: Nach einer Karriere als Rechtsanwalt und vereidigter Buchprüfer in seiner Heimatstadt Hamburg verkaufte Breutigam seine Kanzlei und zog nach Vancouver in British Columbia, Kanada, um fortan als Fotograf zu wirken. MARC PESCHKE hat mit dem Künstler gesprochen.

Schnell wurde Breutigam als Schwarzweißfotograf erfolgreich, als Schöpfer kraftvoller Serien, die sich vor allem der Architektur und der Natur widmen. Es geht ihm in seinem Werk darum, die Schönheit natürlicher Strukturen und jener vom Menschen geschaffenen Architekturgebilde zu kontrastieren und gänzlich ohne Nebensächlichkeiten, ohne die urbane Unordnung abzubilden.

Ein Gebäudekomplex aus Beton - mit geraden Flächen und scharfen Kanten.

Auffällig sind dabei die Erhabenheit des Gezeigten und auch die besondere Aufmerksamkeit für Details. Er schreibt: »Ein Gebäude aus allen möglichen Blickwinkeln zu erforschen und die Teile der Struktur zu finden, die zu einer weiteren Abstraktionsebene führen, ist das, wonach ich visuell suche. Dazu ist es oft notwendig, Raum zu schaffen und die Dinge in eine reduzierte Perspektive zu rücken. Wenn dies gelingt, kommt eine fast mechanische Energie zum Vorschein, und die Bilder erhalten ein ›skulpturales‹ Gefühl.«

Wir konnten dem Fotografen einige Fragen zu seiner neuen Serie ›UBC CONCRETE‹ stellen, welche die Architektur des Campus der University of British Columbia zeigt …

Lieber Herr Breutigam, Sie haben einmal gesagt, bei Ihrer Fotografie ginge es »immer um Licht«. Was meinen Sie damit? Die starken Kontraste, die markanten Lichtverhältnisse in Ihrem Werk?
Fotografie kann nur dort existieren, wo Licht vorhanden ist. Das ist natürlich eine Binsenweisheit, die jeder Fotograf kennt. Ich gehe allerdings einen Schritt weiter: Meine Fotografien kommen nur durch den starken Kontrast zwischen dominantem Licht und extremen Schatten zum Leben. Gerade in meinen neueren Serien spielen die mittleren Grautöne eine eher untergeordnete Rolle. Durch den Kontrast wird das Auge des Betrachters intuitiv auf das Wesentliche gelenkt.

Ein Klapptisch und ein  Klappstuhl auf einer Betonfläche
 
Sie fotografieren in der Natur und vor allem auch Architektur. Was ist das gemeinsame Band zwischen diesen beiden fotografischen Disziplinen?
Wie der Betrachter meiner Fotografien schnell feststellen wird, gibt es in meinen Fotos nur sehr selten Menschen zu sehen. Und wenn das passiert, sind sie nicht das Subjekt oder Objekt der Szene, sondern eher Beiwerk. Der Mensch erzeugt Unruhe, sowohl im tatsächlichen sozialen und politischen Leben als auch in Abbildungen dieser Realität, in Fotografien.
 
Und Sie lassen die Menschen weg …
Ja, durch das Weglassen entsteht Ruhe und Gelassenheit. Und das ist für mich das verbindende Element meiner Fotografien: sowohl in der Natur als auch in der Architektur. Mein neuestes Buch und Werkgruppe ›UBC CONCRETE – Different Perspectives of a Campus‹ machen dieses ganz besonders deutlich.
 
Warum fotografieren Sie ausschließlich in Schwarzweiß?
Als ich in den Siebzigerjahren angefangen habe, mich ernsthaft mit Fotografie zu befassen, gab es nur Film. Um eine möglichst umfassende Kontrolle über den Prozess der Entstehung des Fotodrucks zu haben – eine Fotografie ohne Druck ist für mich ein unfertiges Produkt – habe ich mir damals ein kleines Fotolabor eingerichtet. Natürlich für Schwarzweißfotos, denn Farbe wäre zu aufwendig und teuer gewesen. Damit war der Weg in die Schwarzweißfotografie vorgegeben. Ich habe in den Achtzigerjahren in Farbe fotografiert, bin aber dann nach meinem Übersiedeln nach Kanada und dem Beginn der professionellen Tätigkeit zu Schwarzweiß zurückgekehrt. Warum? Farbe lenkt ab. Lenkt ab von den wesentlichen Elementen eines Bauwerks, einer Landschaft. Oder selbst von den wesentlichen Formen einer Blume. Für mich ergeben Licht und Schatten die wesentlichen Strukturen. Ich glaube, mein Blick ist eher abstrakt. Ich lasse Dinge – unter anderem die Farbe – weg, um das Auge des Betrachters dorthin zu führen, was ich als Wesentlich empfinde.
 
Ja, das stimmt. Ihre Bilder – etwa auch jene der Serie ›UBC CONCRETE‹ – sind Ausdruck eines deutlichen Minimalismus. Sprechen wir über diese Serie, die auf dem Campus der University of British Columbia (UBC) entstanden ist, die seit 1908 für eine exzellente Lehre steht. Was hat sie an diesem Thema, an diesem Ort gereizt?
Ein Universitätscampus ist ein Ort, der für Menschen geschaffen ist. Menschen, die handeln, interagieren oder einfach unter sich bleiben wollen. Durch das Entfernen dieses menschlichen Elements erscheint der Campus in einem völlig anderen Licht, einer anderen Stimmung und Perspektive. Vorbei ist das hektische Treiben mit Studenten, Professoren, Besuchern, Mitarbeitern, Lieferanten und Bauarbeitern. Auf einmal wirkt alles ruhig, leer und einsam. Das zusätzliche Entfernen von Farbe und das Aufnehmen der Szenen in Schwarzweiß betont diese atmosphärische Leere.
 
Wie haben Sie das Thema technisch realisiert? Sie arbeiten mit der Leica Monochrom, richtig? Warum mit dieser Kamera?
Warum Leica Monochrom ? Die Leica M Kameras sind als Messsucherkameras ohnehin schon sehr traditionell. Sie haben ja lediglich einen Belichtungsmesser, der die Verschlusszeit regelt. Ansonsten funktioniert alles manuell. Ich liebe das. Die Leica Monochrom geht noch einen Schritt weiter: Es gibt auch keine Farbe – ein reiner Monochrom Sensor. Es muss so viel wie möglich »in camera” gemacht werden. Das entspricht meiner Mentalität. Hinzu kommt, dass der gesamte Prozess des Fotografierens verlangsamt wird, was mir ebenfalls sehr gefällt.
 
Wie kamen Sie denn auf den Ort?
Nachdem die Pandemie uns alle Anfang 2020 getroffen hatte, suchte ich nach Orten, an denen ich mit meinem Hund spazieren gehen konnte, ohne anderen Menschen zu nahe zu kommen, also kam mir der UBC-Campus in den Sinn. Da Fakultäten geschlossen und soziale Zusammenkünfte eingeschränkt wurden, war der Campus der perfekte Ort. Ich wählte bewusst Seitenstraßen, Nebenstraßen und versteckte Orte abseits der Hauptorte. Ich war auch ziemlich oft an Wochenenden dort. Technisch habe ich das Thema auf die simpelste Art realisiert, die man sich denken kann: Ich hatte meine Kamera einfach immer dabei, aber jeweils nur mit einem Objektiv. Kein Stativ. Alle Fotos sind mit freier Hand entstanden.
 
Arbeiten Sie auch mit Bildbearbeitungswerkzeugen?
Ich benutze im Wesentlichen Lightroom Classic und Photoshop, selten ergänzend Silver Efex. Lightroom zunächst erst einmal zum Sortieren und Katalogisieren, aber auch um die wesentlichen Bearbeitungen vorzunehmen. Photoshop benutze ich für die wesentliche Bildbearbeitung nur selten, aber immer, um meine Fotografien zu drucken und ihnen dort den letzten Schliff zu geben. Das ginge sicherlich auch mit Lightroom, aber ich bin mit Photoshop besser vertraut.
 
Haben Sie fotografische Vorbilder?
Im Bereich der Landschafts-Fotografie eindeutig Ansel Adams. Ich hatte das Glück, vor rund 10 Jahren an einem Workshop von Alan Ross, einem langjährigen Assistenten von Adams teilzunehmen und im Folgejahr privaten Unterricht bei Mr. Ross zu nehmen. Mein minimalistischer Ansatz ist vorrangig von den Fotos von Michael Kenna geprägt.
 
Betrachtet man ihre Bilder, so fällt es schwer, sie zeitlich einzuordnen. Sie strahlen eine Zeitlosigkeit aus. Das ist Ihnen wichtig, oder?
In der Tat, das ist mir wichtig. Gerade im Zeitalter von Social Media und seiner extremen Kurzlebigkeit ist Zeitlosigkeit hoch anzusiedeln. Ein einziger Kunde, dem eines meiner Fotos gefällt und der es bei sich an die Wand hängt oder aufstellt, ist für mich ein Vielfaches mehr wert als Hunderte von »Likes«. Aber ich muss auch sagen, dass es für mich, jemanden der nicht mit Social Media aufgewachsen ist, immer schwieriger wird, diese Zeitlosigkeit als wichtiges Kriterium zu vermitteln, im Gegensatz zu populären Trends.
 
Was ist ihr Ziel als Fotograf und Fotokünstler?
Da kann ich eigentlich nur auf meine vorherige Antwort verweisen: Mein Ziel und künstlerische Befriedigung ist es, wenn eine Fotografie gedruckt und gerahmt ist und ihren Platz bei einem Liebhaber findet.
 
Kommen wir noch einmal genauer auf Ihre Serie ›UBS CONCRETE‹ zu sprechen. Sie zeigen unter anderem auch Gebäude und Architekturstrukturen aus den 1970er Jahren. Es ist eine rohe, aber überaus sinnliche Architektur aus Sichtbeton, Béton Brut, welche die Spuren des Herstellungsprozesses offen ausstellt. Mit Sichtbeton baut man seit dem frühen 20. Jahrhundert, seine Hochzeit feierte der Brutalismus in den 1950er bis 1970er Jahren mit zum Teil ganz großartigen Schöpfungen der Architektur von etwa Le Corbusier. Was fasziniert sie an dieser Architektur?
Diese Architektur fasziniert mich, weil sie etwas Rohes verkörpert. Das rohe Material, die geometrischen Formen und die monochromatische Farbpalette dieser Strukturen eignen sich ganz besonders als Gegenstand meiner Fotografien.

Orgelpfeifen vor Sitzreihen aus Holz
 
Wird man ihr Werk auch einmal in Deutschland sehen können?
Aus meiner Sicht lieber heute als morgen. Leider hat die Pandemie allerdings dazu geführt, dass meine gestarteten Bemühungen und Kontakte zu Galerien in Deutschland abgebrochen sind, da viele mit erheblichen finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten und die Aufnahme neuer Künstler zurückgestellt werden musste. Auch deshalb bin ich sehr dankbar für Ihren Artikel und das Vorstellen meiner Arbeit im deutschsprachigen Raum. Gerade hierdurch entstehen häufig interessante und vielversprechende Kontakte.
 
| MARC PESCHKE
| Alle Abbildungen: AXEL BREUTIGAM

Kurzbiografie
Axel Breutigam ist ein international preisgekrönter Fotograf, in Deutschland geborener Kanadier, der in Vancouver, BC, lebt. Er studierte unter anderem bei Alan Ross, dem ehemaligen Assistenten von Ansel Adams. Breutigams Werk wird von verschiedenen Galerien in Kanada und den USA vertreten. Er hat mehrere Fotobücher veröffentlicht. Sein Werk wurde vielfach ausgezeichnet und in bedeutenden Magazinen veröffentlicht.

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