Bei lebendigem Leib in Schrift verwandelt

Roman | Wild nach einem wilden Traum

Die 50-jährige Schriftstellerin Julia Schoch hat mit ihrem nun vorliegenden Roman Wild nach einem wilden Traum ihre Trilogie mit dem Untertitel »Biographie einer Frau« zum Abschluss gebracht.  In Das Vorkommnis (2022) begegnete eine Schriftstellerin auf einer Lesung eine ihr unbekannte Halbschwester und in Das Liebespaar des Jahrhunderts steht eine Ehe im Zentrum, die einen emotionalen Zerfall durchläuft. Von PETER MOHR

Im Mittelpunkt des neuen Romans steht eine namenlose Schriftstellerin, die (keinesfalls zufällig) der Autorin Julia Schoch nicht unähnlich ist. Die Liebe und das Schreiben sind die prägenden Sujets des nur schmalen Textes. Im Hier und Jetzt und in den Erinnerungen, die manchmal zentnerschwer und mal federleicht und inspirierend daherkommen.

Die Protagonistin erinnert sich mit wehmütigem Unterton an eine Begegnung in den frühen 2000er Jahren, als sie als Stipendiatin in den USA einen nicht sonderlich attraktiven, aber dennoch reizvollen Mann kennenlernte, der fortan nur der »Katalane« genannt wird. Der Mann mit der auffallenden Zahnlücke hat gerade mit seinem ersten Buch respektablen Erfolg gehabt. Es kommt zu einer kurzen, aber leidenschaftlichen Affäre (»Wir taten es schnell, schnell und gründlich.«) und die Frau aus dem äußersten Nordwesten Deutschlands will (obwohl sich das Paar rasch aus den Augen verliert) so sein wie er, so schreiben wie er – stolz und kompromisslos.

Julia Schoch, die 1974 in Bad Saarow als Tochter eines Offiziers und einer Buchhändlerin geboren wurde und als Übersetzerin reüssierte, lässt ihre Hauptfigur die geplante Unikarriere abbrechen. Es bleiben Erinnerungen an Seminare über Houellebecq, das Absurde Theater, die Postmoderne und ganz viele männliche Studenten. »Mehr als alles andere hat die Liebe dazu geführt, dass ich mein Leben als eine Geschichte wahrnehme.«

Erst durch das Aufschreiben scheint das Leben fassbare Konturen zu bekommen. Das autofiktionale, subjektive Schreiben fungiert als immer neue Form der Ich-Werdung. So erinnert sich die Protagonistin an einen prägenden Satz aus einem Schreibkurs: »Die Wirklichkeit ist nie eine Begründung für die Literatur!«

Die Erzählerin betreibt intensive Selbstreflexion, setzt sich mit der ihr nachgesagten Melancholie auseinander, die möglicherweise ihre Wurzeln in ihrer Sozialisation in einem untergegangenen Staat hat. Sie hat mit eigenen Selbstzweifeln zu kämpfen: »Ich weiß nicht, ob man sich wünschen soll, etwas hätte nicht stattgefunden«. Die Grenzen zwischen der Protagonistin und Autorin Julia Schoch verschwimmen zusehends.

Der prägende Lebensimpuls basiert fraglos auf einer Begegnung in der Kindheit. Sie war im Alter von elf Jahren mit dem Fahrrad nahe der Siedlung am Stettiner Haff unterwegs, in der sie mit ihren Eltern lebte. Dort begegnete sie einem an der polnischen Grenze stationierten jungen Soldaten. War das Mädchen verliebt? Oder imponierte ihr mehr, dass der junge Mann ihr offenbarte, dass er gerne Schriftsteller werden würde. »Man muss wild danach sein. Wild nach einem wilden Traum«, erklärte der Soldat dem faszinierten Mädchen. Was später mit der Protagonistin geschah, ist treffend auf den Punkt gebracht: »Ich habe mich bei lebendigem Leib in Schrift verwandelt.«

Julia Schochs schmaler Roman pendelt zwischen Glück und Schmerz, zwischen Euphorie und Wehmut – ohne den kleinsten Anflug selbstverliebter Nabelschau. Es ist ein stilles, aber faszinierendes Buch, das eine verbindende Klammer zwischen der Liebe und dem Schreiben setzt.
| PETER MOHR

Titelangaben
Julia Schoch: Wild nach einem wilden Traum
München: dtv 2025
174 Seiten, 23 Euro
| Erwerben Sie diesen Band portofrei bei Osiander

Reinschauen
| Leseprobe

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Ein starkes Zeichen gegen Mobbing

Nächster Artikel

The Walking Dead und das Problem grundsätzlicher plot holes

Weitere Artikel der Kategorie »Roman«

Slowaken im Südpazifik

Roman | Michal Hvorecký: Tahiti Utopia

Den slowakischen General Milan R. Štefánik hat es wirklich gegeben. Viele andere der im fünften Roman von Michal Hvorecký auftretenden Personen auch. Was es freilich nicht gab: einen slowakischen Exodus in die Südsee, nach Tahiti. Aber zu verfolgen, wie das kleine, einst zu Österreich-Ungarn gehörende Volk sich quer durch Europa und schließlich zu Schiff über den Atlantik zu neuen Ufern aufmacht, ist hochamüsant und lässt zahlreiche Parallelen zu unserer Gegenwart durchscheinen. Zumal Hvorecký seine genial erfundene Geschichte auch dazu nutzt, mit heute wieder grassierenden nationalistischen Tendenzen in seiner Heimat ins Gericht zu gehen. Von DIETMAR JACOBSEN

Liebeslügen zwischen Leipzig und Lagos

Roman | Martina Hefter: Hey guten Morgen, wie geht es dir? Wenn der Himmel grau über der Stadt hängt und der Tag wenig Verheißungsvolles verspricht, könnte jede am Handy aufploppende Nachricht die Flucht in eine reizvolle Parallelwelt eröffnen. Martina Hefter spielt in ihrem aktuellen Roman Hey guten Morgen, wie geht es dir? verschiedene Lebens- und Realitätsebenen durch. Von INGEBORG JAISER

Die kleinen Monster von der Insel

Roman | Thomas Hettche: Pfaueninsel Thomas Hettches neuer Roman Pfaueninsel steht auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises. PETER MOHR hat ihn gelesen

Zwei feine Herren unter sich

Roman | Martin Suter: Allmen und Herr Weynfeldt

Zum siebten Mal seit 2011 lässt Martin Suter in Allmen und Herr Weynfeldt seinen kultivierten Kunstdetektiv Johann Friedrich von Allmen nach verschwundenen Werken suchen. Diesmal ist es ein umstrittener Picasso, der über Nacht aus dem Besitz des renommierten Kenners Adrian Weynfeldt verschwunden ist. Und ob das Bild mit dem schönen Titel Baigneuses au ballon 4 nun ein echter Picasso ist oder nicht – irgendjemand scheint zu glauben, damit das große Geschäft machen zu können. Von DIETMAR JACOBSEN

Leiden unter dem Glück

Roman | Daniel Glattauer: In einem Zug

Seinen literarischen Durchbruch schaffte der 64-jährige Wiener Daniel Glattauer mit seinem 2006 veröffentlichten Roman Gut gegen Nordwind, einem modernen Briefroman, der ein wenig an den Kinofilm „Email für dich“ mit Tom Hanks und Meg Ryan erinnerte. Im Mai 2009 wurde eine Bühnenfassung in den Wiener Kammerspielen uraufgeführt. 2019 folgte die Verfilmung des Bestsellers mit Nora Tschirner und Alexander Fehling in den Hauptrollen. In den letzten knapp zwanzig Jahren ging es bei Daniel Glattauer, der es schafft, eine wohl austarierte Mischung aus E- und U-Roman zwischen die Buchdeckel zu bringen, steil bergauf. Von PETER MOHR