Bei einem Spaziergang durch die Stadt kommt es zu einem Wettstreit zwischen zwei Freund:innen. Klar geht es mal wieder darum, Superlative zu finden, ein beliebtes Thema in unserer wettbewerbsorientierten Zeit. ANDREA WANNER freut sich über »das beste Tier der Welt«.
Erdmännchen, Pandas, Tiger, Elefanten, oder Delfine: nach Lieblingstieren gefragt, fällt vielen sofort ein exotisches Tier ein. Ein Mädchen findet auf ihrem Weg das Tier, das sie zum schönsten erklärt: Eine Schnecke. Sie geht sehr zärtlich mit dem kleinen, schleimigen Wesen um, lässt es auf sich herumkriechen und stellt selbstbewusst fest: »Mein Tier ist das schnellste der Welt.« Angesichts der sprichwörtlichen Langsamkeit von Schnecken und ihrem Tempo klingt das etwas merkwürdig und der Junge korrigiert auch gleich: »Ja, klar, das schnellste untere den langsamen … Der Wanderfalke ist dagegen so schnell wie ein Zug!«
Was will man dem entgegensetzen? Vielleicht, dass Schnecken sehr stark sind und sogar ihr eigenes Haus mit sich rumtragen? Aber auch da gibt es natürlich ein im Verhältnis noch viel stärkeres Tier, den Nashornkäfer. Und wie sieht es mit Größe, Sprungfähigkeit und Schönheit aus? Die Kleine aber hat sich längst entschieden: Ihre Schnecke ist das beste Tier auf der Welt. Ganz egal, was für exotische Tiere ihr Begleiter anführt, sie bleibt stur. Und liefert am Ende den schlagenden Beweis dafür, dass ihr Tier auf jeden Fall das glücklichste auf der Welt ist.
Was auf den ersten Blick wie eine ganz simple Geschichte wirkt, entpuppt sich auf den zweiten als sehr viel raffinierter als vermutet. Die aus Italien stammende Autorin Arianna Squilloni hat 2008 stammt aus Italien, lebt seit 2002 in Barcelona und hat dort 2008 den ambitionierten Verlag für Kinder- und Jugendliteratur, A buen paso, gegründet. Vordergründig ein amüsanter Wettkampf zwischen zwei Kindern, verbirgt sich dahinter eine viel wichtigere Wahrheit um das, was im Leben wirklich zählt. Mit offenem Blick für die kleinen Dinge wird die Schnecke zu etwas Besonderem, obwohl es ja nun wirklich kein so außergewöhnliches Tier ist. Und die Entscheidung, sie zum glücklichsten Tier zu machen, ist eine unerwartete Pointe, über die man sich einfach freuen kann – so wie die beiden Kinder und die Schnecke es tun.
Die Illustratorin Karina Letelier versteckt die kleine Schnecke bereits auf dem Cover, allerdings so gewitzt, dass sie vermutlich kaum ein*er entdecken wird. Auch auf den fröhlich-bunten Seiten, die von geometrischen Formen dominiert werden, ist die Hauptfigur oft nur winzig zu finden. Mit ihrem roten Haus auf dem himmelblauen Körper braucht man manchmal schon fast eine Lupe, um sie ausfindig zu machen. Was für eine ungewöhnliche Idee, die bestens funktioniert: Mit wachen Augen muss man die Bilder durchforschen – und wird dann dafür belohnt.
Ein ganz besonderes Bilderbuch, das auch Anregungen für den nächsten Spaziergang liefern kann: Das Außergewöhnliche ist oft viel näher als vermutet und das Beste kann sehr viel unspektakulärer sein als gedacht.
Titelangaben
Arianna Squilloni: Das beste Tier der Welt
(La mejor mascota del mundo, 2022). Übersetzt aus dem Spanischen von Melanie Szeifert Illustriert von Karina Letelier
Heidelberg: Carl-Auer Kids 2025
44 Seiten, 19,95 Euro
Bilderbuch ab 4 Jahren
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