Seliges Warten

Kinderbuch | Heidi Knoblich, Martina Mair: Alle warten auf das Lebkuchenweiblein

Es gab einmal eine Zeit, da herrschte im Dezember kein »X-mas 24/7«. Weihnachtslieder dröhnten nicht so oft aus jedem Lautsprecher, dass man bereits am Barbaratag genug davon hatte. Von MAGALI HEISSLER

Knoblich, LebkuchenweibleinNiemand hüpfte mit Nikolausmütze und Elchgeweih auf dem Kopf durch die Straßen, die Menschen ächzten nicht unter offiziell verordnetem Konsum und gesellschaftlich anerkannter Hektik. Das Warten auf Weihnachten war ein stilleres, seligeres. Heidi Knoblich und Martina Mair beweisen in ihrem Kinderbuch, dass eine Geschichte aus einer solchen Zeit weder nostalgisch noch gar verstaubt sein muss.

Der Weihnachtsmonat steht vor der Tür und Jakob ist voller Vorfreude. Weihnachten heißt auch Lebkuchen. Die besten werden vom Lebkuchenweiblein gebracht. Wenn es nur schon da wäre!
Auch Ida freut sich. Nicht unbedingt auf die Lebkuchen, die kennt sie zu gut. Sie ist die Enkelin von Pauline, und Pauline ist keine andere als das Lebkuchenweiblein. Jahr für Jahr bringt Großmutter die feinen Todtmooser Lebkuchen zu den Menschen unten am Berg. Dieses Jahr aber soll ein besonderes werden, denn Ida darf ihre Großmutter begleiten.

Zuerst einmal wird nichts daraus, das Wetter spielt ihnen einen Streich. Schnee kommt früh und reichlich. Ida ist fast am Verzweifeln. Jakob, der unten auf seine süßen Kuchen wartet, auch. Endlich können Ida und die Großmutter aufbrechen. Ida lernt schnell, dass Lebkuchen verkaufen nicht nur lustig ist. Großmutters Kundinnen und Kunden haben alle ihre Sorgen und halten die beiden auf. So muss Jakob dieses Mal besonders lange auf das Lebkuchenweiblein warten. Schließlich hält er es nicht mehr aus und macht sich auf den Weg, es zu suchen. Damit fängt sein Abenteuer erst an!

Eine einfache Geschichte

Knoblich erzählt eine einfache Geschichte, auf einfache Art. Die Ruhe, die das Ganze ausstrahlt, ermöglicht es, die Spannung und die Dramatik, die sich im Geschehen entwickelt, besonders zu genießen. Der eigentliche Blick gilt nicht den äußeren Ereignissen. Die Menschen konzentrieren sich aufeinander, wenden sich einander zu.

Dabei geht es nicht darum, nett zu sein oder sentimental verklärte, gute Taten zu tun. Die Zeiten waren härter. Gegen Kälte mussten viele Unterröcke schützen, wenn die Kleider nass wurden oder etwas kaputt ging, hatte das ernste Folgen. Nachrichten brauchten länger, eine Ärztin wohnte nicht um die Ecke, helfen konnte nur, wer gerade des Wegs kam. Der Weg selbst war abhängig von der Wetterlage.

Die vergangene Lebenswelt entsteht unaufdringlich. Knoblich lässt den Kachelofen einfließen und Malzkaffee, schwere körperliche Arbeit, Fuhrwerke, Tragekörbe. Die Selbstverständlichkeit, mit der die Figuren der Geschichte das alles in Kauf nehmen, trägt viel zu Lebendigkeit bei. Es findet kein Erzählmuseum statt, hier wird vom Alltag berichtet, wie er eben einmal war.

Dramatik entsteht, weil die Autorin raffiniert Kapital schlägt aus dem Süßen, das die Geschichte enthält. Lebkuchenduft breitet sich langsam über die Seiten aus. Kein Wunder, wenn mancher träumt, dass er mehr als einen bekommt. Und wer kann einem Schatz widerstehen, der einem sozusagen vor die Füße fährt? Der sich daraus entwickelnde moralische Konfliktist hart und zugleich für Kinder gut zu verstehen. Auch Ältere werden sich dabei nicht langweilen.

Schön, aber alles andere als Rosarot

Die Illustrationen spiegeln die Grundstimmung der Geschichte wider. Das Früher wird nicht rosarot verklärt. Die Stuben wirken karg, die winterweiße Welt bei aller Schönheit doch abweisend. Die Gesichter der Figuren sind nicht puppenhaft oder süß, sondern eher herb, die der Kinder dabei pfiffig, manchmal frech. Vor allem aber ist ihr Ausdruck freundlich und zutraulich, noch in der größten Neugier und Spannung. Die Illustrationen sind ganzseitig, man kann sich völlig hineinbegeben; zu Ida in die Stube, in den Winterwald, in die Bäckerei. Dramatik wird mit wenigen Strichen hervorgerufen: Eine schroffe Bewegung, ein schmerzverzogenes Gesichtchen, die Welt in leichter Schieflage. Immer wieder tauchen die Lebkuchen auf, auch sie sind einfach gehalten. Trotzdem muss man am Ende so einen rechteckigen braunen haben, mit einer halben Mandel in der Mitte. Kein anderer darf es sein!

Sprache und Stil zielen eher auf ein junges Publikum, der Einfluss des mündlichen Erzählens ist deutlich. Die Geschichte eignet sich ausgezeichnet zum Vorlesen. Die große Schrift macht aber ebenso zum Selberlesen für Ungeübte Spaß. Auch wenn die Handlung sich regional genau verorten lässt, ist die Geschichte geeignet, überall gelesen zu werden. Regionale Ausdrücke gibt es nicht, sieht man von wenigen süddeutschen Begriffen ab. Hier hätte man allerdings ruhig mutiger sein können. Der Titel ist leider mehr als sperrig geraten, aber man kann eben nicht alles haben im Leseleben.

Da es eine Weihnachtsgeschichte ist, gibt es selbstverständlich auch ein Wunder. Ganz klar hat es mit Lebkuchen zu tun. Mehr wird aber nicht verraten!

Fazit: Eine sehr gelungene Winter-Weihnachtsgeschichte, ohne Kitsch und künstlichen Glitzerkram. An diesem Buch und den Illustrationen in zartem Aquarell wird man lange Freude haben.

| MAGALI HEISSLER

Titelangaben
Heidi Knoblich, Martina Mair: Alle warten auf das Lebkuchenweiblein
Eine Weihnachtsgeschichte aus dem Schwarzwald. Tübingen/Karlsruhe: Silberburg Verlag 2016.
48 Seiten. 14,90 Euro
Kinderbuch ab 5 Jahren und für alle
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