Soziale Netzwerke, Influencer und Shitstorms, ständig klingelndes Smartphone, Wischen, Streamen und Gamen: Die Digitalisierung bestimmt heute das Leben der meisten Leute so sehr, dass es schwerfällt, sich an Zeiten ohne das alles zu erinnern. Dabei war es ein weiter Weg vom ersten C 64 bis zur AI. Die Comiczeichnerin Seda Demiriz betrachtet in ihrem episodischen Werk ›Life in Pixels‹ den Übergang vom Homecomputer zum Internetzeitalter und zeigt halb autobiografisch, dass sich die Dinge nicht plötzlich verändert haben. ANDREAS ALT hat den Band gelesen.
Vier Schulfreunde, schätzungsweise um die 15 Jahre alt, erleben die Jahrtausendwende. Theo ist der Computercrack unter ihnen, obwohl seine Eltern ihn relativ selten an den PC lassen. Theo kann als einziger erklären, was das Internet eigentlich ist. Amir bekommt von seinen Eltern viel größere Freiräume, und sie haben ihm eben sein erstes Handy geschenkt. Er kennt sich aber viel weniger aus und ist zunächst mal von dem relativ simplen Spiel ›Snake‹ fasziniert. Sophie und Leyla sind »beste Freundinnen« und nutzen PC und Handy eher pragmatisch. Sophie macht alles, was ihr Spaß macht, zum Beispiel SMS versenden, die nicht immer ernst gemeint sind, und Leyla zeichnet gern mit einem Grafikprogramm (vermutlich repräsentiert sie die Autorin des Comics).
Vor- und Nachteile der neuen Computerwelt
Amir hat eine kleine Schwester, die sich auch lebhaft für sein neues Handy interessiert. Und dann gibt es noch die Umweltaktivistin Mara, gekennzeichnet durch Kurzhaarfrisur und runde Brille. Sie hat bereits ein Bewusstsein dafür entwickelt, dass die neue Computerwelt Vor-, aber auch gravierende Nachteile hat. Für die Produktion von Handys wird Regenwald zerstört, und Computing kann im Übermaß zur Vereinsamung führen. Mara lehnt es ab, ein Handy zu besitzen, und sie hat auch keinen Fernseher – Textverarbeitungsprogramme sind für sie okay, weil sie Papier sparen. Mit ihrer Verweigerungshaltung wird Mara zur Außenseiterin. Da wird an der Schule eine Woche ohne Handy ausgerufen. Ob es das damals wirklich schon gegeben hat?
Doch die virtuelle Welt beherrscht noch nicht alles. Für die Freunde ist es auch wichtig, sich zu treffen, sich gegenseitig Geschichten zu erzählen, miteinander ganz analog zu spielen. Amirs Eltern verordnen ihm einen »Rausgeh-Tag« zum Ärger von Theo, der mit ihm wieder am Computer sitzen wollte. Als Sophies Katze verschwunden ist, wird sie gemeinsam gesucht. Da schlägt Maras Stunde, weil sie ein Gespür für die Natur hat. Doch es ist Amir, der die Katze schließlich hilflos auf einem Baum entdeckt. Jedenfalls: Auch wenn die Helden dieses Comics eindeutig digital natives sind, gibt es für sie noch ein Leben jenseits des Binärcodes. Und: Bei ihnen gibt es zwar auch mal Streit, aber ihre Begegnungen sind nicht von Aggressivität oder Sprachlosigkeit bestimmt – noch nicht.
Eine Milieustudie der digital natives
Seda Demiriz hat ihr Werk im Comicseminar beim Comic Salon Erlangen entwickelt und ihn zunächst in Fortsetzungen als Webcomic auf Instagram veröffentlicht. Viele Episoden gehen wohl auf eigene Erlebnisse zurück, aber sie hat auch Anregungen von Leserinnen und Lesern aufgegriffen. Trotzdem rundet sich das Ganze zu einer stimmigen Milieustudie einer Jugend dieser Zeit. Der Leser wird dazu gebracht, sich Gedanken zu machen, wie sich die neuen Medien unseres Alltags bemächtigt haben und wo wir eventuell »falsch abgebogen« sind. Die Zeichnungen sind sehr einfach gehalten, aber stets detailliert genug, dass die Jugendlichen und ihre Umwelt erkennbar werden. Die Autorin gewährt am Ende einen kleinen Blick in ihr Skizzenbuch und zeigt, dass es mühsam war, diesen Look zu kreieren. Die Mühe hat sich gelohnt. Man würde gern noch mehr vom »Life in Pixels« lesen.
Titelangaben
Seda Demiriz: Life in Pixels
Weimar: Schwarzer Turm 2025
90 Seiten, 14 Euro