An einer Stelle im Buch formuliert Jelena, dass man nach der Grundschule meint, Schule zu kennen und dann in der weiterführenden Schule feststellen muss, dass das nicht stimmt. Plötzlich ist alles anders, nicht nur für Jakob und Jelena. Alles geht weiter, nur eben anders. Von ANDREA WANNER.
Neu ist der Spitzname für Jelena, den die fiese Franzi sich für alle Mitschüler*innen ausdenkt. »Radieschen« ist ihr angesichts von Jelenas zu großem roten Parka und dem Familiennamen Raditzke eingefallen. Jakob hat seinen schon seit der Grundschule weg: »Flummi«, weil er gelegentlich Probleme hat, mit Situationen an gemessen umzugehen und damals dann gehüpft ist, um seine Emotionen in den Griff zu bekommen, wie ein Gummiball eben. Neu ist aber auch der Praktikant in der Klasse, Fabian, der erste Unterrichtsversuche startet und sich gleich mal ein Kennenlernprojekt ausgedacht hat. Immer zwei Kinder sollen in Partnerarbeit ihr gemeinsames Lieblingsthema vorstellen. Die zwei mit dem J vorne treffen aufeinander – und stellen schnell fest, dass sie wenig Gemeinsamkeiten und eigentlich keine gemeinsamen Interessen haben.
Neu ist, dass Jakobs alleinerziehender Vater Musik hört und den Garten gestalten will. Neu ist, dass Jelenas Mutter einen richtigen Job sucht. Neu ist, dass Jelena auf ihre beste Freundin Lotte verzichten muss, die aufs Gymnasium geht und nicht wie sie auf die Gesamtschule. So viel Neues, Ungewohntes. Ja, Leben ist Veränderung. Jakob aber liebt Gewohnheiten und Jelena ist sich auch noch nicht ganz sicher, ob nicht früher alles besser war. Irgendwie müssen sie damit umgehen.
Wie ihr Alltag aussieht, davon erzählen beide abwechselnd aus ihrer persönlichen Sicht in kurzen Kapiteln. Die Leser*innen kommen ihnen dabei sehr nahe, erfahren was sie bewegt und beschäftigt. Bei Jelena ist es Lotte, die sie kaum noch zu Gesicht bekommt, weil die so viel lernen muss. Und Jakob kann nicht schwimmen. Sein Vater glaubt, dass er jeden Donnerstag in den Schwimmkurs geht – aber den schwänzt er.
Tamara Bach legt jede Menge unterschiedliche Handlungsstränge an, weckt Erwartungen und Spannung, für welches Problem wohl welche Lösung gefunden wird – und lässt am Ende viele Fragen offen. Das macht sie mit so viel literarischem Geschick, dass hinter den losen Enden ein tragfähiges Netz entsteht, das die kinderbuchtypische Auflösung gar nicht braucht. Es sind die kleinen Dinge, die sich entwickeln, die diese Geschichte so kunstvoll und liebenswert machen. Die leise Annäherung der beiden Protagonisten, wenn Jakob Jelena in der Pause aus seinem Buch vorliest oder wenn Jelena ein zweites Schokobonbon einpackt, das für ihren neuen Nebensitzer Jakob gedacht ist. Oder wenn Jelena überlegt, ob Franzi vielleicht in Wahrheit doch gar nicht so übel ist, wie sie zunächst gedacht hat.
Zwei Kinder erschließen sich eine neue Welt, werden mutiger und selbstbewusster. Und das wird in eine wunderbare Geschichte gepackt, farbig illustriert mit federleichten Aquarellen von Barbara Yelin, die man gerne schlicht als Literatur bezeichnen darf.
Titelangaben
Tamara Bach: Jakob und Jelena
Mit Illustrationen von Barbara Yelin
Hamburg: Carlsen 2025
256 Seiten, 15 Euro
Kinderbuch ab 10 Jahren
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