Manche kennen Mari vielleicht. In dem Bilderbuch ›Ich bin Mari‹ haben ihre Eltern ihre Tochter, die nicht richtig sprechen kann, selbst zu Wort kommen lassen. Und jetzt gibt es quasi eine Fortsetzung: Mari entführt uns in eine ganz besondere Märchenwelt. Von ANDREA WANNER
Mari hat das Angelman-Syndrom, das ist ein seltener Gendefekt, der zu Sprachentwicklungsstörungen und motorischer Unsicherheit, aber auch zu einem fröhlichen Gesichtsausdruck und viel Lachen führt. Und Märchen, in denen »man den ganzen Ängsten ein Gesicht gegeben« hat, müssten aus der Sicht von Mari ganz anders erzählt werden. Genau das tun ihre Eltern Shari und André Dietz für sie.
Bekannte Märchen werden ordentlich durchgeschüttelt und auf den Kopf gestellt. Downröschen zum Beispiel sticht sich nicht an einer Spindel, sondern zieht sich selbst aus dem Leben zurück, ein Leben, in dem für sie gefühlt kein Platz ist. Erst ein merkwürdiger Traum, in dem Rosi von einem Jungen namens Henry durch eine Welt geführt wird, macht ihr klar, dass es auch anders geht. Rosi wird laut. Ganz selbstbewusst schreit sie den dicken Müller an: »Du bist doch auch anders mit deinem dicken Bauch, der angeblich der dickste im ganzen Königreich ist.« Die anderen kriegen ihr auch ihr Fett und erkennen beschämt, dass anders nicht schlechter ist, sondern eben einfach anders.
Handikäppchen erteilt mithilfe des guten Wolfs dem bösen Jäger eine Lektion und Humpelstilzchen rettet den königlichen Nachwuchs. Die fünf Märchen erzählen von einer Welt, in der Inklusion und Diversität ihren Platz finden – auch wenn sie den nicht immer so ganz problemlos so haben. Aber es geht, es kann gelingen, wenn sich viele daran beteiligen. Märchen sind fantastische Erzählungen, die meist von wundersamen Begebenheiten und außergewöhnlichen Figuren handeln, man kann sie aber auch erfolgreich ins Hier und Jetzt holen und damit vielleicht auch zeigen, wo sich etwas ändern muss.
Bereits in dem 2019 erschienen ›Alles Liebe: Familienleben mit einem Gendefekt‹ gaben Shari und André Dietz Einblicke in ihr turbulentes Leben mit ihren »fantastischen Vier«. Es folgte das Bilderbuch und jetzt ein besonderes Märchenbuch, das zeigt, dass jede und jeder sich mit seinen Fähigkeiten einbringen kann.
Saskia Gaymann hat – erneut – die Bilder für diese fantastische Märchenwelt geschaffen. Freundliche Gespenster, ein Wolf im Morgenmantel, Jochen Günther mit seinen Krücken, Meerjungfrauen, Einhörner und mittendrin immer wieder Mari: mit viel Humor und Empathie begleiten die fröhlichen Bilder in bunten Farben die Forderung nach »Mär Vielfalt«!
Titelangaben
Shari und André Dietz: Maris Märchen
Mit Bildern von Saskia Gaymann
Hamburg: Carlsen 2025
112 Seiten, 15 Euro
Kinderbuch ab 6 Jahren
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