Comic | L. Pearson: Hilda und der schwarze Hund / T.Moore: Rachel Rising 2+3 / J. Sfar: Aspirine
Die einen sind im Zustand eines ewigen Teenagerdaseins gefangen, die anderen kommen nach über 100 Jahren wieder aus dem Erdreich gekrochen, die nächste ist schon im Kindesalter ein Magnet für ausgestoßene Kobolde und gigantische schwarze Geisterhunde: Frauen haben es nicht leicht in den verschrobenen Welten von Männern wie Terry Moore, Luke Pearson oder Joann Sfar. Trotzdem machen sie dort eine sehr gute Figur. BORIS KUNZ über das aufregende Wiedersehen mit alten Freundinnen.
Voller Energie: Hilda und der schwarze Hund
»Was bist du? Ein Wolf? Ein Troll? – Ach je. Ein Kind in ulkigen Klamotten.«
Damit Hilda auch in der Stadt Trolberg den Anschluss an die Natur nicht verliert, schickt ihre Mutter sie zu den Pfadfindern. Dort stellt sie mit ihrer eigenwilligen Art zwar auch manchmal die Geduld der Betreuer auf die Probe, entwickelt aber auch einen großen Ehrgeiz im Sammeln von Abzeichen. Außerdem muss sie sich noch um den ausgestoßenen Hauskobold Tontu kümmern, der obdachlos auf der Straße sitzt. Sie hätte also eigentlich genug zu tun, da passt es ihr erst gar nicht in den Kram, dass ein schwarzer Geisterhund die Umgebung von Trolberg unsicher macht. Dann aber beschließt Hilda, für ihr Tierfreund-Abzeichen eigene Recherchen über den schwarzen Hund anzustellen. Und das bringt sie natürlich wieder in haarsträubende Situationen …
Im vierten Band von Luke Pearsons liebevoller Kindercomicreihe geht es hoch her, mehrere Handlungsstränge werden zu einer besonders turbulenten Geschichte verflochten: Hildas Engagement bei den Pfadfindern, ihre Freundschaft mit Tontu, der sie in die Welt hinter den Schränken und unter den Dielenritzen einführt, und die Bedrohung durch den schwarzen Hund kulminieren in einem turbulenten und für Hila äußerst actionreichen Finale. Humor, Spannung und die üblichen Auftritte knuffiger und gruseliger Fantasiewesen wechseln einander in etwas höherem Tempo ab, als das in dieser Comicreihe sonst der Fall ist. Das geht ein wenig auf Kosten der magischen und stimmungsvollen Momente, von denen gerade in den ersten Bänden noch viel zu finden war, und für die jetzt auf den vollgepackten Seiten nicht mehr so viel Platz ist. Auch die Zeichnungen selbst wirken an einigen Stellen etwas weniger sorgfältig, die Figuren noch etwas strichmännchenhafter – so, als wäre der schwarze Hund auch Luke Pearson selbst während des Zeichnens im Nacken gesessen. Doch die bisher längste, komplexeste und temporeichste Hilda-Geschichte ist dafür eine reichliche Entschädigung.
Ein Schritt vor, einer zurück: Rachel Rising Band 2: Das Böse in dir / Band 3: Grabgesänge
»Seit 300 Jahren jage ich diesen Dämon, und nun sitzt er vor mir und futtert ein Sandwich.«
Terry Moore geht im zweiten Band seiner Horrorserie (›Das Böse in dir‹) gleich richtig in die Vollen. Er deckt einen großen Teil der Mysterien auf, die sich hinter den merkwürdigen Phänomenen in Manson verbergen, und verrät, in welchem Zusammenhang Rachels mysteriöse Auferstehung, die blonde Todesbotin und das Unglück bringende Waisenkind Zoe miteinander stehen. Indem er zu einem wesentlichen Teil die Katze aus dem Sack lässt, verwandelt er die Rätselspannung des ersten Teils in eine dramatische Spannung für den weiteren Verlauf der Serie, denn nun klären sich langsam die Fronten und man weiß, wer nur ein Opfer der Umstände ist, und wer wahrhaft Übles im Schilde führt.
Damit ist Terry Moore der Gefahr vieler Mystery-Autoren entgangen, den Leser mit zu vielen Rätseln zu verwirren oder durch eine zu lange herausgezögerte Beantwortung derselben den gesteigerten Erwartungen nicht mehr gerecht zu werden. Denn auch so wie es ist, muss Moore achtgeben, sich nicht in einem zu komplizierten Geflecht aus Motivationen der Figuren, Regeln der magischen Welt und Gesetzen der menschlichen Gesellschaft zu verstricken.
So beginnt die Handlung im dritten Band (›Grabgesänge‹) sich in vielen Wendungen spiralartig um sich selbst zu drehen: Rachel weiß mit ihren neuen Erkenntnissen noch nicht viel anzufangen, gerät aber stets aufs neue in Situationen, die sie das Leben kosten würden, wenn sie nicht schon tot wäre – und ihrer Freundin Jet geht es so ähnlich. Und auch der blutige Pfad der kleinen Zoe ist noch längst nicht zu Ende, obschon sie doch eigentlich im zweiten Band von einem Dämonen erlöst worden ist – der jetzt ebenso wie die geheimnisvolle Oberhexe Lilith sein Werk in wechselnder Gestalt fortzusetzen scheint.
In ›Grabgesänge‹ macht die Serie einen Schritt in Richtung Horror-Soap-Opera: Es passieren zwar eine ganze Menge grausiger Dinge, aber da es sich beim Großteil der Protagonisten mittlerweile um Unsterbliche handelt, bringt das nicht unbedingt die Handlung wirklich voran. Allerdings hat Terry Moore schon in ›Strangers in Paradise‹ unter Beweis gestellt, dass er es versteht, Variationen eines Grundthemas auch über lange Strecken durch unerwartete Storywendungen und Konzentration auf neue Nebenfiguren am Leben zu erhalten. So mag man sich im dritten Band damit begnügen, dass Moore sein Faible für einfallsreiche, drastische und schräge Horrormomente ebenso pflegt wie das für verschneite Szenerien und das für hübsche Frauen.
Denn nach wie vor punktet Moore vor allem bei der Gestaltung seiner Figuren, indem er sein vorwiegend weibliches Personal nicht nur zeichnerisch liebevoll in Szene setzt, sondern indem er bei allen Plot-Twists auch die emotionale Ebene nicht vergisst, und nebenbei eine traurige Liebesgeschichte zwischen Rachels bester Freundin Jet und dem nerdigen Leichenwäscher Earl erzählt. Es gelingt ihm immer wieder, die großen Themen um Himmel und Hölle mit Elementen des Realismus zu erden und dabei auch eine Prise Humor einzustreuen – ebenso wie dezente Verweise und Zitate. Dieses Konzept ist seit ›Buffy‹ im Prinzip nichts Neues, geht in diesem Fall aber voll auf.
Die letzte Runde: Aspirine
»Ich bin enttäuscht.« »War´s nicht schön?« »Doch. Aber ich dachte, dass man größere Brüste kriegt, wenn man mit einem Vampir schläft.« »Wir sollten es noch mal versuchen.«
Der zweite und abschließende Teil der Gesamtausgabe von Joan Sfars ›Vampir‹ vereint die Kapitel ›Die Gemeinschaft der Magier‹, ›Der Golem sind wir‹ und schließlich das überlange Abschlusskapitel ›Ein Leben lang tot‹ und erzählt die verkorksten Liebesgeschichten rund um Vampire, Baumwesen, Golems und Werwölfe dort weiter, wo der erste Band aufgehört hat. Stilistisch und inhaltlich bleibt sich der Autor dabei auf allen Seiten treu. Wieder drängt er die scheinbar spannenderen Elemente seiner Story (die Hetzjagd eines wild gewordenen Mobs gegen Magier und magische Geschöpfe) zugunsten schräger Beziehungsnummern in den Hintergrund.
Auch wenn es Sfar immer wieder gelingt, sein Figurenensemble um weitere faszinierende und (trotz seiner krakeligen Zeichnungen) begehrenswerte weibliche Geschöpfe zu erweitern: Manchmal ist es doch die eher nebenbei abgehandelte Szene über die Lynchjustiz an einem jungen Zauberer, die am Ende statt der fünften unglücklichen Affäre von Ferdinand im Gedächtnis bleibt.
Weil sich bei Ferdinands melancholischer Sehnsucht nach Frauen und gleichzeitiger Beziehungsunfähigkeit auch nichts Wesentliches mehr verändert, konzentriert sich Sfar am Ende auf neue Figuren, bei denen es im Bett und auf dem Beziehungskarussell noch etwas leidenschaftlicher zugeht: Aspirine zum Beispiel, der ewig 17-jähirgen Vampirin, ist mit dem kubanischen Blutsauger und musizierenden Charmeur Edmundo endlich einmal eine romantische Liebesgeschichte mit positivem Ausgang vergönnt. Und der Chauvi-Wolf Richard hat sich in Aspirines Schwester Ritalina verliebt und kann erst wieder aus seiner Wolfsgestalt erlöst werden, wenn sie ihn erhört – doch sie ist beleidigt und lässt ihn am ausgestreckten Arm zappeln. Schließlich findet er Trost bei Edmundos Mitbewohner Perdito, einer in ihrer Pubertät gefangenen Vampirente, deren Liebesleben sich auf Internetpornographie beschränkt.
Vampire bleiben für alle Ewigkeit in dem Alter, in dem sie gebissen wurden – sie können also die unfassbarsten Erfahrungen machen und sich dennoch keinen Schritt weiterentwickeln. Nicht unbedingt gute Voraussetzungen für ein gelungenes Liebesleben. Ähnliches kann man auch für den Abschluss der Serie sagen: Sfars Werk bleibt inhaltlich und zeichnerisch auf dem gleichen hohen Niveau, kommt aber erzählerisch nirgendwo an, denn das Figurenkarussell könnte sich noch ewig so weiterdrehen. Der Leser bekommt also genau das, was er im ersten Band schon bekommen hat, ohne dass der Abschlussreigen der Figuren der Serie eine neue Dimension geben würde. In diesem reichhaltigen und verspielten Figurenkosmos ist das aber auch nicht unbedingt nötig.
Titelangaben
Luke Pearson (Text und Zeichnungen): Hilda und der schwarze Hund
(Hilda and the Black Hound)
Aus dem Englischen von Matthias Wieland
Berlin: Reprodukt 2014, 64 Seiten, 18 Euro
Terry Moore (Text und Zeichnungen): Rachel Rising 2: Das Böse in dir
(Rachel Rising – Fear no Malus)
| Leseprobe
Terry Moore (Text und Zeichnungen): Rachel Rising 3: Grabgesänge
(Cemetery Songs)
Aus dem Englischen von Resel Rebiersch
Hamburg: Schreiber & Leser 2014 / 2015
Je 128 Seiten, je 14,95 Euro
| Leseprobe
Joann Sfar: (Text und Zeichnungen): Aspirine
Grand Vampire Tome 5-6, Le Bestiaire amoureux Tome 4
Aus dem Französischen von Paula Bulling
Beriln: Avant Verlag 2014
224 Seiten, 29,95 Euro
| Leseprobe
Reinschauen
| Luke Pearson: Hilda und die Vogelparade – im TITEL kulturmagazin
| Luke Pearson: Hilda und der Mitternachtsriese / Hilda und der Troll – im TITEL kulturmagazin
| Joann Sfar (Text und Zeichnungen): Vampir (Grand Vampire Tome 1 – 4) – im TITEL kulturmagazin