Kompliziertes einfach machen

Menschen | Zum Tod der Schriftstellerin Ruth Rehmann

»Vorlieb nehmen ist eine Denkbewegung, die man lernen kann, sagt Ludwig Wittgenstein. Aber soweit bin ich noch nicht.« So ließ Ruth Rehmann ihren 1999 erschienenen Roman ›Fremd in Cambridge‹ ausklingen. Mit einem Credo, das für ihren eigenen Lebensweg durchaus charakteristisch war. Von PETER MOHR

Die Autorin engagierte sich viele Jahre in der Friedensbewegung und war überdies eine leidenschaftliche Streiterin gegen die Umweltzerstörung und die Globalisierung.

Ruth Rehmann, die am 1. Juni 1922 als Tochter eines Pastors in Siegburg geboren wurde, besuchte nach dem Abitur zunächst eine Dolmetscherschule, später studierte sie Archäologie und Germanistik in Bonn und Marburg und in Berlin überdies Musik – mit dem Hauptfach Geige.

Ehe sich die umfassend gebildete Autorin ganz ihrem schriftstellerischen Werk widmete, arbeitete sie als Lehrerin, Pressereferentin, Reisejournalistin und Dolmetscherin für ausländische Botschaften in Deutschland. Zwar wurde Ruth Rehmann schon Anfang der 60er Jahre mit einigen Preisen ausgezeichnet und war Mitglied der Gruppe 47, doch der große Durchbruch gelang ihr erst 1979 mit dem Roman ›Der Mann auf der Kanzel: Fragen an den Vater.‹ Ein Buch der doppelten Anklage – das bohrende Fragen nach der Schuld der Vätergeneration und der Rolle der Kirche im Nationalsozialismus aufwarf.

»Mein Schreiben war immer darauf gerichtet, Kompliziertes einfach zu machen«, schrieb Ruth Rehmann in ihrem 1993 erschienenen Band ›Unterwegs in fremden Träumen‹, in dem sie sich mit dem deutsch-deutschen Schriftstellertreffen von 1947 auseinandersetzte. Auslöser dieser literarischen Retrospektive war für Ruth Rehmann die gesamtdeutsche PEN-Tagung in Kiel nach dem Mauerfall. Wie ein roter Faden ziehen sich Enttäuschungen und zerstörte Illusionen durch das Buch. Sie äußerten sich 1947 wie 1991 darin, dass die Schriftsteller an ihrem eigenen hohen Anspruch, die gesellschaftlichen Entwicklungen beeinflussen zu wollen, kläglich scheiterten.

Ihr gelungenstes Werk legte Ruth Rehmann, die 2001 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde, erst im Alter von 77 Jahren vor. ›Fremd in Cambridge‹ (wie fast alle Werke im Carl Hanser Verlag erschienen) ist ein leidenschaftliches Plädoyer für die humanistische Bildung; ein Roman, in dem der Wohlklang eines Gedichts gar ein kleines »medizinisches Wunder« vollbringt. Alles andere als ein melancholisches Alterswerk. Am 29. Januar ist Ruth Rehmann in ihrer Wahlheimat Trostberg im Chiemgau im Alter von 93 Jahren gestorben.

| PETER MOHR

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Ein Meister seines Fachs

Nächster Artikel

Der Tanz auf dem Vulkan

Weitere Artikel der Kategorie »Porträt & Interview«

Drei Brüder, zwei Welten

Menschen| Michael Horeni: Die Brüder Boateng Michael Horeni, Sportjournalist der FAZ, blickt in Die Brüder Boateng. Drei deutsche Karrieren hinter die Fassade dreier ungleicher Brüder, von denen es die beiden jüngeren, Kevin-Prince und Jerome, zu Spitzenfußballern geschafft haben, während dem ältesten, George, trotz großen Talents dies verwehrt geblieben ist. Horeni belässt es dabei keineswegs bei einer weiteren Fußballerbiografie. Der Fall der Boatengs steht sinnbildlich für einige der am hitzigsten diskutierten gesellschaftlichen Aspekte unseres Landes: Integration, zerrissene Familien und Bildungsungleichheiten. Von MARC STROTMANN

Sich selbst hinterfragen

Menschen | Zum Tod des Oscar-Preisträgers Robert Redford

»Das Leben wird einfach spannender, während man es lebt: Man wird reflektierter, man erkennt sein eigenes Potenzial besser, und gleichzeitig lernt man, die Dinge besser zu genießen«, hatte Robert Redford 2018 in einem Interview mit der Welt« verraten. Und mit dem Altern habe er überhaupt kein Problem. Ihm gefalle es auch, wie sich Frauen mit dem Alter entwickeln, hatte der als Herzensbrecher auf den Kinoleinwänden weltberühmt gewordene Schauspieler schon vor etlichen Jahren erklärt. Von PETER MOHR

Schattenwirtschaft eines Privatiers

Menschen | Zum Tod des solitären Journalisten Uwe Nettelbeck

Wie die TAZ jetzt gemeldet hat, ist im Alter von 67 Jahren Uwe Nettelbeck in seinem Haus in Frankreich am vergangenen Mittwoch gestorben. Er war ein eigenwilliger Journalist, der sich schon zu seinen Lebzeiten aus dem Raum dessen, was »öffentliche Wahrnehmung« genannt werden kann, früh zurückgezogen hatte und als Herausgeber & Autor der von ihm gegründeten Zeitschrift ›Die Republik‹, deren jüngste Ausgabe im September 2006 erschien, nur noch einem kleinen Leserkreis bekannt gewesen sein dürfte. Von WOLFRAM SCHÜTTE

Zum Posthumanismus in fiktionalen Texten

Digitalspielkultur | Im Gespräch mit Ann-Kathrin Günther

Viele Spielstunden brachte RUDOLF INDERST in einem fiktional-dystopischen Detroit zu – daher war die neue Lektüre von Ann-Kathrin Günther für ihn auch besonders spannend.

Kein Abgesang

Kulturbuch | Wolfgang Sandner: Keith Jarrett. Eine Biographie Es klingt oftmals nach verfrühtem Abgesang, wenn bereits zu Lebzeiten eines Genies dessen Biographie verfasst wird. Dass Wolfgang Sandners ›Keith Jarrett. Eine Biographie‹ dieses Schicksal nicht teilt, liegt vor allem am Universalkünstler Jarrett selbst. Jedem Kenner ist klar, dass Sandners Biographie ein Resümee eines Schaffenszeitraums sein muss, dem gewiss ein weiterer folgen wird. Für Liebhaber und Neuzugänge wird das Werk eines Künstlers ausgebreitet, der wie kein anderer den Jazz der letzten Jahrzehnte geprägt hat. VIOLA STOCKER ist zutiefst beeindruckt.