/

Schlaglichter auf die Ukraine

Menschen | Bohdan Rodyuk Chekan: Olena Chekan. The Quest for a free Ukraine

Olena Tschekan war eine Journalistin und Schauspielerin, die für demokratische Werte kämpfte und das Leben liebte. So porträtiert sie ihr Sohn Bohdan Rodjuk Tschekan im englischen Band ›Olena Chekan. The Quest for a free Ukraine‹ (Olena Tschekan. Das Streben nach einer freien Ukraine), mit dem er seiner Mutter ein Denkmal setzt. Im Dezember 2013, während das Volk auf dem Majdan seinen Präsidenten Wiktor Janukowytsch verjagte, starb sie an einem Gehirntumor. Von JUTTA LINDEKUGEL

OlenaChekanIn den einführenden Texten skizzieren Bohdan Rodjuk Tschekan, der Verleger Robert Jelinek und der Politikexperte Andrij Okara die Biographie der Journalistin, ordnen ihre Arbeit ein und entwerfen den historischen Kontext von der Befreiung der Ukraine vom Sowjetregime bis zur Unabhängigkeit und dem derzeitigen Kampf gegen den russischen Expansionismus. Zum Gedenken an seine Mutter überzeugte der Sohn den Verleger Robert Jelinek dieses Buch zu veröffentlichen, dass sich auf Olenas Rolle als Journalistin für ›The Ukrainian weekly‹ konzentriert. Wie Okara schreibt: »Sie stand am Beginn eines neuen ukrainischen Journalismus in den 1990ern.«

Daher wurden elf Interviews ausgewählt, die Olena Tschekan zwischen 2010 und 2012 für ›The Ukrainian weekly‹ geführt hat. Ihre Gesprächspartner sind ukrainische und international bekannte Persönlichkeiten aus Politik und Kultur.

Der Dichter, Autor, Journalist, Dramatiker und Dissident Igor Pomeranzew sprach mit ihr über die ukrainische Kultur im globalen Kontext, besonders über die Probleme zwischen Ukraine und Russland. Boris Nemzow, Putins Gegner, der vier Jahre nach dem Interview mit Tschekan ermordet wurde, verglich den Zustand der Demokratie in der Ukraine und Russland und analysierte die politischen Manöver der Ukraine zwischen EU und Russland.

Natalja Gorbanewskaja, eine der »Sieben Helden«, die 1968 auf dem Roten Platz den Prager Frühling unterstützten, erzählte Tschekan, wie sie in einer psychiatrischen Anstalt gefangen gehalten wurde und wie die Orange Revolution die Ukraine in eine Demokratie gewandelt habe, während es eine solche in Russland noch immer nicht gebe. Der Autor, Dissident und Präsident sowohl der Tschechoslowakei als auch anschliessend der Tschechischen Republik, Václav Havel, diskutierte mit ihr die europäische Sicht auf die Ukraine, die Prinzipien und Probleme der Europäischen Union und den Transformationsprozess eines unterdrückten Landes, das sich zu einer Demokratie wandelt.

Olena Tschekan interviewte gleichermaßen den früheren KGB-Agenten Oleg Gordiewskyj, der später ein Kremlgegner wurde, zur Tätigkeit verschiedener Geheimdienste, wie den Exil-Premier der tschetschenischen Republik Itschkarien, Achmed Zakajew, zur Situation in Tschetschenien. Die deutsche Historikerin Kerstin Jobst erklärte ihr, wie Europa den Holodmor und Tschernobyl wahrnimmt. Chekan interviewte außerdem den Filmemacher Krysztof Zanussi, der über die schmerzliche gemeinsame Geschichte von Polen und der Ukraine sprach, und die Musiker Jurij Schewtschuk und Walentyn Sylwestrow.

Diese Interviews enthüllen nicht nur die Einstellungen und Charaktere der Interviewten sowie die historisch-politischen Konflikte, in denen sich die Ukraine befand und befindet, sondern werfen gleichzeitig ein Licht auf die eine Besonderheit der Fragestellerin. Igor Pomeranzew charakterisiert diese folgendermaßen: »Sie stellte während der Interviews nicht nur ihre Fragen, sie sprach mit ihren Helden als sei es eine private Unterhaltung.«

Dass der Leser sich Tschekan hier über ihre Arbeit annähern kann und nicht der Weg einer umfassenden Biographie gewählt wurde, ist originell und spannend. Die abwechslungsreichen, gut gewählten und nicht zu zahlreichen Interviews sind informativ und wecken den Wunsch nach mehr.
Ein weiteres Buch, das den Schwerpunkt auf Olena Tschekan als Schauspielerin legt, wird im März 2016 veröffentlicht.

| JUTTA LINDEKUGEL

Titelangaben
Bohdan Rodyuk Chekan: Olena Chekan. The Quest for a free Ukraine
Wien: Der Konterfei 2015
96 Seiten, 9,90 Euro
Erwerben Sie dieses Buch portofrei bei Osiander

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Die Mitschuld tragen alle

Nächster Artikel

Ausgewechselt in der zweiten Halbzeit

Weitere Artikel der Kategorie »Menschen«

Zweifel säen, Gewissheiten zerstören

Menschen | Zum Tod des Schriftstellers Javier Marías

In einigen Wochen wäre sein Name im Vorfeld der Spekulationen um den nächsten Nobelpreisträger für Literatur wieder ganz heiß gehandelt worden. An seinem hochphilosophischen Werk schieden sich über Jahrzehnte die Geister. Den Durchbruch im deutschen Sprachraum verdankte er einst einem glühenden Plädoyer von Marcel Reich-Ranicki im legendären ›Literarischen Quartett‹. Nun ist der große spanische Schriftsteller Javier Marías am Sonntag kurz vor seinem 71. Geburtstag (am 20. September) in Madrid gestorben. Er sei einer Lungenentzündung infolge einer Corona-Infektion erlegen, berichtete die spanische Zeitung ›El Mundo‹. Von PETER MOHR

Irgendwie pathologisch

Menschen | Waschkau / Bartoschek: Muss man wissen! Ob es Ken Jebsen ist oder Jürgen Elsässer, Andreas Popp oder (ja, allen Ernstes) Xavier Naidoo – Verschwörungstheorien sind, spätestens seit Bestehen der neuen »Montagsdemos«, so beliebt wie nie. Ein im Vergleich zu den genannten eher harmloser Vertreter der Gattung Verschwörungstheoretiker war Rechtsesoteriker und Internetberühmtheit Dr. Axel Stoll. MARTIN SPIESS über das Interviewbuch ›Muss man wissen!‹ von Alexander Waschkau und Sebastian Bartoschek

Die Welt ist mein Vaterland

Menschen | Zum 125. Geburtstag des Dramatikers Ernst Toller »Eine jüdische Mutter hat mich geboren, Deutschland hat mich genährt, Europa mich gebildet, meine Heimat ist die Erde, die Welt ist mein Vaterland«, bekannte der Dramatiker, Lyriker, Prosaist und Politiker Ernst Toller in seinem 1933 veröffentlichten Lebensbericht ›Eine Jugend in Deutschland. Ein Porträt zu seinem 125. Geburtstag von PETER MOHR.

Erzähler und Zuhörer

Kurzprosa | Uwe Timm: Montaignes Turm »Ich bin überzeugt, dass wir in unserer Seele einen besonderen Teil haben, der einem anderen vorbehalten ist. Dort sehen wir die Idee unserer anderen Hälfte, wir suchen nach dem Vollkommenen im anderen«, erklärte der männliche Protagonist Eschenbach in Uwe Timms letztem Roman Vogelweide (2013). Mit diesem äußerst anspielungsreichen Buch hatte Timm nicht nur einmal mehr seine immense Vielseitigkeit unter Beweis gestellt, sondern den Gipfel seines bisherigen künstlerischen Schaffens erklommen. Jetzt ist sein Essayband Montaignes Turm zu seinem 75. Geburtstag am 30. März erschienen. Von PETER MOHR

Romane nach genauem Plan

Menschen | Zum 75. Geburtstag des Schriftstellers John Irving am 2. März »Ich muss wissen, wohin die Geschichte führt, sonst verheddert man sich, sonst schreibe ich ziellos. Für jeden neuen Roman entwerfe ich zunächst einen genauen Plan und kenne das Ende, bevor ich zu schreiben beginne«, hat Erfolgsautor John Irving über sein literarisches »Patentrezept« aufgeklärt. Von PETER MOHR