/

Chronist des Schreckens

Menschen | Zum 125. Geburtstag des Autors Theodor Plievier

Der Name Theodor Plievier und sein 1945 erschienener Roman ›Stalingrad‹ werden in der deutschen Literaturgeschichte nahezu als Synonyme behandelt. Dieser vehemente Anti-Kriegsroman wurde in 30 Sprachen übersetzt, erreichte Millionenauflagen und brachte seinem Autor ungeheure Popularität ein. PETER MOHR zum 125. Geburtstag von ›Stalingrad‹-Autor Theodor Plievier am 12. Februar

Stalingrad.jpgDabei hatte Plievier bereits während der Weimarer Republik literarisch auf sich aufmerksam gemacht – mit den beiden Romanen ›Des Kaisers Kuli‹ (1929 – in 18 Sprachen übertragen) und ›Der Kaiser ging, die Generäle blieben‹ (1932). 1933 fielen Plieviers Werke der barbarischen Bücherverbrennung der Nationalsozialisten zum Opfer.

Theodor Plievier, der am 12. Februar 1892 als Sohn eines Feilenhauers im Berliner Arbeiterstadtteil Wedding geboren wurde, zog nach einer freudlosen Kindheit und einer abgebrochenen Maurerlehre früh in die Ferne (bis nach Südamerika). Den Ersten Weltkrieg erlebte der Autor als Mitglied der Kriegsmarine, nahm dann am Wilhelmshavener Matrosenaufstand teil (in ›Des Kaiser Kuli‹ eingeflossen) und wurde später zum wortgewaltigen Mentor eines sozialistischen Rätesystems.

Nach der Machtergreifung der Nazis emigrierte er über Prag, Paris und Stockholm nach Moskau. Mit den russischen Truppen kehrte er zurück nach Deutschland. Mit Hilfe von Protokollen der Roten Armee und Befragungen von Kriegsgefangenen schrieb Plievier dann seinen Roman über den Untergang der Sechsten Armee bei Stalingrad, den Alfred Andersch als »erstes großes Kunstwerk der Nachkriegsliteratur« bezeichnete.

Ein Buch, dessen Lektüre noch heute unter die Haut geht. Die Anspannung beginnt bereits mit dem knappen, für Plieviers Erzählstil charakteristischen ersten Satz: »Und da war Gnotke.« Jener Unteroffizier, der im von Pathos und Heldenmythen freien Erfolgsroman eine tragende Rolle spielt. Es folgten noch die beiden Romane ›Moskau‹ (1952) und ›Berlin‹ (1954), die zusammen mit ›Stalingrad‹ als Trilogie intendiert waren, die aber nicht an das Format des Welt-Bestsellers heranreichten.

Doch nach Ende des Zweiten Weltkrieges war Plieviers Ruhm nur von kurzer Dauer. Im Westen galt er wegen seiner Funktionärstätigkeit in der Sowjetischen Besatzungszone – die er 1947 beendete, weil er »jegliche Form der Unterdrückung nicht tolerieren konnte« – als Kommunist, und in der DDR wurde er später als Renegat gebrandmarkt.

Plievier suchte nie das Arrangement mit den Machthabern, schwamm lieber gegen den Strom, beseelt von leidenschaftlichem Pazifismus und ausgeprägtem Gerechtigkeitssinn. »Für die Politiker war er ein Literat, für die Literaten war er ein politischer Schriftsteller, dem Bürger war er immer verdächtig«, beschrieb der Schriftstellerkollege Rudolf Hagelstange die von vereinfachenden Verzerrungen geprägte öffentliche Meinung über den ›Stalingrad‹-Autor, der sich schon 1947 zurückzog – zunächst an den Bodensee, danach in die Schweiz.

Theodor Plievier, der mit ›Stalingrad‹ eine fesselnde Montage aus Fakten und eindringlich entworfenen Einzelschicksalen vorlegte, die Victor Klemperer zu der Überzeugung gelangen ließ, »dass dieses Buch zu den dauernden klassischen Werken zählen wird«, ist am 12. März 1955 in Avegno (Tessin) im Alter von 63 Jahren fast unbeachtet von der Öffentlichkeit gestorben.

Der Kölner Verlag Kiepenheuer und Witsch hat seit den frühen 1980er Jahren die Werke des verdienstvollen Chronisten des Schreckens in seiner Paperbackreihe neu aufgelegt.

| PETER MOHR

Titelangaben
Theodor Plievier: Stalingrad
Köln: Kiepenheuer & Witsch 1983
464 Seiten, 12,99 Euro

Titelbild
Deutsche Fotothek‎, Fotothek df pk 0000220 003 Porträts, Prof. (Max ^) Pechstein, (Johannes^) Stroux, Kraus, Benedik, Lederer,, CC BY-SA 3.0 DE

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Gedichte von der Kanzel

Nächster Artikel

Vom Schiffbruch der ›Essex‹

Weitere Artikel der Kategorie »Menschen«

Romane waren der fehlende Rest

Menschen | Zum 85. Geburtstag des Georg-Büchner-Preisträgers Jürgen Becker Als »eine maßgebliche Stimme der zeitgenössischen Poesie« wurde Jürgen Becker vor drei Jahren völlig zu Recht bezeichnet, als ihm der Georg-Büchner-Preis, die wichtigste literarische Auszeichnung Deutschlands, verliehen wurde. Von PETER MOHR

Er wollte noch fliegen lernen

Menschen | Zum Tod des provozierenden Multitalents Herbert Achternbusch

»Mein Vater war sehr leger und trank gern, er war ein Spaßvogel. Kaum auf der Welt, suchten mich Schulen, Krankenhäuser und alles Mögliche heim. Ich leistete meine Zeit ab und bestand auf meiner Freizeit. Ich schrieb Bücher, bis mich das Sitzen schmerzte. Dann machte ich Filme, weil ich mich bewegen wollte. Die Kinder, die ich habe, fangen wieder von vorne an. Grüß Gott!« Mit diesen typischen, schelmisch-provokanten Sätzen hat Herbert Achternbusch vor einigen Jahren sein eigenes Leben beschrieben. Zugespitzt, drastisch, gegen den Strom – so wie sein gesamtes künstlerisches Werk. Von PETER MOHR

Bewahrer von Kultur und Sprache

Menschen | Jaan Kross Am 19. Februar vor 100 Jahren wurde der große estnische Schriftsteller Jaan Kross geboren. Ein Porträt von PETER MOHR

Das Leben war ein Gespräch

Menschen | Zum Tode des Georg-Büchner-Preisträgers Tankred Dorst »Unser Leben ist ein Gespräch.« So hatte Tankred Dorst 2005 die Beziehung zu seiner langjährigen Lebensgefährtin und Co-Autorin Ursula Ehler beschrieben, die er Anfang der 1970er Jahre bei der Arbeit am Fernsehfilm ›Sand‹ kennengelernt hatte. Von PETER MOHR

Schattenwirtschaft eines Privatiers

Menschen | Zum Tod des solitären Journalisten Uwe Nettelbeck

Wie die TAZ jetzt gemeldet hat, ist im Alter von 67 Jahren Uwe Nettelbeck in seinem Haus in Frankreich am vergangenen Mittwoch gestorben. Er war ein eigenwilliger Journalist, der sich schon zu seinen Lebzeiten aus dem Raum dessen, was »öffentliche Wahrnehmung« genannt werden kann, früh zurückgezogen hatte und als Herausgeber & Autor der von ihm gegründeten Zeitschrift ›Die Republik‹, deren jüngste Ausgabe im September 2006 erschien, nur noch einem kleinen Leserkreis bekannt gewesen sein dürfte. Von WOLFRAM SCHÜTTE