Gesellschaft | Jan Weiler: In meinem kleinen Land
Nach dem Überraschungserfolg seines Debüt-Romans ›Maria, ihm schmeckt’s nicht‹ hatte Jan Weiler ausreichend Gelegenheit, seine Heimat auf Lesereisen zu erkunden – bis in die tiefste Provinz hinein. Dabei blieb ihm nichts erspart: übereifrige Buchhändlerinnen, trostlose Hotels und winterliche Bahnsteige. All diesen Unwägbarkeiten zum Trotz kommen seine Aufzeichnungen witzig und warmherzig daher. Von INGEBORG JAISER
Während Jan Weiler sein Reisetagebuch zunächst auf den Webseiten der ›ZEIT‹ bloggte, presste Rowohlt seine Berichte zwischen zwei Buchdeckel, und Der Hörverlag produzierte ein hübsch aufgemachtes Audiobook daraus. Denn Reiseberichte haben derzeit Hochkonjunktur, vor allem wenn sie das eigene Land beschreiben: intellektuell-kritisch bei Roger Willemsen (›Deutschlandreise‹), poetisch-literarisch bei Wolfgang Büscher (›Deutschland, eine Reise‹) oder detailverliebt-persönlich bei Andreas Greve (›In achtzig Tagen rund um Deutschland‹).Weiler, dieser sympathischen Lieblings-Schwiegersohn, beherrscht das Handwerk des Schreibens aus dem Eff-Eff: Er war Werbetexter, Absolvent der Münchner Journalistenschule und Chef-Redakteur des Magazins der ›Süddeutschen Zeitung‹. Und sein Talent zum wohlmodulierten Vortrag dürfte wiederum seiner Kindheit im rheinischen Meerbusch zuzuschreiben sein. (Ein kleiner Einwand an der Audiovariante sei hier dennoch erlaubt: So sehr wir es liebten, wie Jan Weiler Antonio Marcipanes Abenteuer intonierte, dem literarischen Roadmovie ›In meinem kleinen Land‹ hätte doch eine etwas kernigere Sprechweise gut getan.)
Butterbrotpoesie
Die Tage der Lesereise gleichen sich: Zugfahrt, Butterbrote essen, Musik hören, Omis gucken, nachmittägliche Ankunft am Ort des Auftritts, Bezug des spartanischen Hotels, Spaziergang durch die Tristesse verkehrsberuhigter Innenstädte, später Lesung in einem Kulturzentrum oder einer Buchhandlung, danach Essen mit Bibliothekarinnen oder Moderatorinnen – und als Abschluss noch ein bisschen Glotze im Hotel. (Sehr schön: Rudis Carrells letzter Fernsehauftritt als Abschied von der eigenen Kindheit!)
Seine Eindrücke hält Weiler meist liebevoll ironisch fest, oft ungläubig staunend, dann wieder gnadenlos enthüllend. Zuweilen sind seine Aufenthalte so kurz, seine Wahrnehmungen so knapp, dass er sie mit Kommentaren zum aktuellen Tagesgeschehen aufpolstert. So gerät sein Tagebuch auch zu einem Sittenbild Deutschlands in der Merkel-Ära, zur Dokumentation der wechselnden Befindlichkeiten in diesem »kleinen Land«. Die Erkenntnis, dass Reisen bildet, reißt Weiler zur Empfehlung hin, alle Jugendlichen sollten während ihrer Schulzeit vier Monate auf Kennenlernreise durch die eigene Heimat verschickt werden. »Am Ende könnte jeder sagen, dass er sein Land mal vom Wattenmeer bis zu den Alpen gesehen hat. Und jeder könnte sich für oder gegen Deutschland entscheiden, weil er es kennt.« So fläzt Jan Weiler auf dem Cover zwischen Rimowa-Koffer, Zigarette und Espresso in einem etwas spelunkigen Lokal.
Sex am Ende der Welt
Auch wenn der Autor vorausschauend vor Produktenttäuschung warnt und damit droht, weder Handreichungen für Ausflüge noch Reiserouten für Schnäppchenjäger zu veröffentlichen, wartet er mit einschlägigen Ein- und Aussichten auf: »Thüringen ist schön, außer man hat es eilig.« »Bayreuth soll eine außerordentlich vitale Sexszene haben, besonders zu Festivalzeiten.« »Oldenburg liegt kurz vor dem Ende der Welt.«
Alles in allem ist »In meinem kleinen Land« kein (Hör-)Buch, das man am Stück verschlingt, sondern eher häppchenweise goutieren sollte. Am Anfang ertappt man sich dabei, die Orte abzuchecken, in denen man wohnt, einmal gewohnt hat oder fast einmal hingezogen wäre, später dann wird das 350-Seiten-Werk, bzw. die 3er-CD-Box, ein verlässlicher Begleiter für Reisetasche, Rucksack oder Auto. Wenn es einen dann tatsächlich mal nach Osterholz-Scharnbeck, Mönchengladbach oder Wolfratshausen verschlägt, lohnt ein prüfender Blick, ein neugieriges Reinhören in den Weiler’schen Kosmos, um genüsslich und freudig zu erkennen: Ja, so ist es, genau so!
Titelangaben
Jan Weiler: In meinem kleinen Land
Hamburg: Rowohlt
345 Seiten, 9,90 Euro