Die Schule der Arbeitslosen ist eine bitterböse Satire mit einem großen Maß an Aktualität. Findet FRANK SCHORNECK
Joachim Zelter liebt die Sprache – und die Sprache liebt ihn. Besonders eindrucksvoll stellt dies sein Roman ›Die Lieb-Haberin‹ unter Beweis. Aus der Welt der Wörter heraus stürzt sich Zelter nun in seinem neuen Roman ›Schule der Arbeitslosen‹ in die raue Arbeits- (bzw. Arbeitslosen-)Welt. Wir schreiben das Jahr 2016, für das Problem der Arbeitslosigkeit gibt es eine griffige Lösung: SPHERICON, ein »Maßnahme-Center« zur Schulung von Arbeitslosen, untergebracht in einer stillgelegten Fabrik am Rand eines niedergegangenen Industriegebiets.
Zelter entwirft ein ausgeklügeltes Szenario auf den Spuren von Huxley und Orwell, dreht aber die Schraube zur Utopie nur minimal. Zunächst eher wie eine Reportage nähert sich der Roman dem Gebäude, beschreibt sachlich den Ansatz von SPHERICON, der »absolut freiwilligen« Schulungsmaßnahme. Aus Arbeitslosen werden Trainees, der erste Schritt aus der Statistik heraus ist getan.
Man beobachtet, wie Gruppen von Trainees auf dem Parkplatz des Arbeitsamts zusammenfinden, vom Bus der Arbeitsagentur aufgesammelt werden und einer neuen Chance entgegenfahren. An der Autobahnraststätte fehlen nach dem Toilettenbesuch zwei Mitreisende. Nach kurzer Wartezeit werden ihre Daten bei der Bundesagentur zum Löschen freigegeben, ihre Koffer entsorgt, die Fahrt geht weiter.
SPHERICON wird erreicht, die Aufteilung in Teams gleicht einem militärischen Appell, doch auch eine weitaus unangenehmere Assoziation an Selektion schwingt untergründig mit. In der verquast amerikanophilen Philosophie von SPHERICON findet sich nicht zuletzt auch die bekannt klingende Floskel »Work is freedom«. Zelter umkreist zunächst die Masse der Trainees, fokussiert dann über ein Team nach und nach auch Einzelpersonen, Einzelschicksale.
Gnadenloser Existenzkampf
Großartig sind Zelter die Einblicke in Schulungseinheiten gelungen. Willkürlicher Gebrauch von Englisch, der nervig-aufgekratzte Tonfall von Motivationstrainern (oder Animateuren oder Fernsehpredigern), die Ahnengalerie erfolgreicher SPHERICON-Absolventen täuschen nicht darüber hinweg, dass auch hier keine wirklichen Mittel gegen die Arbeitslosigkeit gefunden werden. Statt Qualifizierung steht die Perfektionierung der Bewerbung auf dem Lehrplan.
Nicht in den Stellenangeboten findet man die wichtigen Hinweise, in den Todesanzeigen ist als Erstes von frei gewordenen Arbeitsplätzen zu erfahren. Ein kreativer Umgang mit dem Lebenslauf ist das A und O einer gelungenen Bewerbung (eine Passage, in der Zelters Fabulierkunst zu Hochform aufläuft: »Ein Jahr nicht in der Schule. Was kann man daraus machen?«).
Als es plötzlich in SPHERICON selbst um eine tatsächliche, greifbare, real existierende Arbeitsstelle geht – ein Ausbilder wird gesucht –, beginnt ein gnadenloser Konkurrenzkampf. Als sich dann auch noch zwei Trainees – ein Mann und eine Frau –den Regeln von SPHERICON widersetzen, einfach nur, indem sie eine echte Freundschaft entwickeln, wird das ganze System in Zweifel gezogen.
›Die Schule der Arbeitslosen‹ ist eine bitterböse Satire mit einem erschreckenden Maß an Aktualität. Die beliebte Fernsehserie ›Job Quest‹, in der Arbeitssuchende haarsträubende Dinge auf sich nehmen, um einen Job zu ergattern, erinnert an Robert Sheckleys oder Stephen Kings düstere Fernsehvisionen ›Millionenspiel‹ und ›Running Man‹, sind aber kaum mehr vom Irrsinn der ›Big-Brother‹- oder Castingshows heutiger Zeit entfernt.
Die eine oder andere Wendung in Zelters Roman ist vorhersehbar – und auch auf das sehr konsequent durchdachte Ende hin gibt es schon recht früh erste Hinweise –, doch dieser kleine Makel kann die literarische Brillanz und gesellschaftliche Brisanz des Romans nicht schmälern.
| FRANK SCHORNECK
Titelangaben
Joachim Zelter: Schule der Arbeitslosen
Tübingen: Klöpfer & Meyer 2006
206 Seiten, 20 Euro
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