Das »böse« Christentum ist der Gegenstand eines mehr als 15 Jahre alten Romans des portugiesischen Nobelpreisträgers José Saramago. Vorsicht ist geboten, wenn der NDR ausgerechnet heute, inmitten des allseits postulierten »Kampfes der Religionen« eine Hörspielbearbeitung des Skandaltextes vornimmt. Findet SEBASTIAN KARNATZ
Doch – der Klasse der Vorlage und der klugen Regie Hans Gerd Krogmanns sei Dank – ›Das Evangelium nach Jesus Christus‹ hat keine zwanghafte Aktualisierung nötig.
Theatrum mundi – die ganze Welt ein Theater und wir nur Laiendarsteller in der ewigen, götttlichen Aufführung. Auf dieser barocken Weltformel basiert José Saramagos 1991 erschienene Ausdeutung der christlichen Heilsgeschichte. 16 Jahre später – inmitten eines marktschreierisch postulierten »Kampfes der Religionen« – wagt sich der Norddeutsche Rundfunk an eine Hörspielbearbeitung dieses durchaus sperrigen Textes des portugiesischen Nobelpreisträgers.
Mit erheblichem Aufwand inszeniert Hans Gerd Krogmann das Urdrama des Christentums. Weit über 30 Sprecherinnen und Sprecher, eigens für dieses Hörspiel eingespielte Musik, drei CDs – der NDR lässt sich seine literarisierte Religionskritik für die Ohren etwas kosten. Und in der Tat ist aus Saramagos postmodern-intellektualisierter Religionsschelte ein stimmungsvolles und ausgewogenes Hörspiel geworden. Kein Zweifel, die Regie hat Großes geleistet: Erzähler, Musik und Darsteller ergänzen sich wunderbar. Langeweile kommt beim Hörer tatsächlich zu keiner Sekunde auf.
Das enge Korsett der Religionsschelte
Trotzdem bleibt zunächst ein etwas schaler Beigeschmack. Saramagos ›Evangelium nach Jesus Christus‹ operiert an der Grenze von ironischem Spiel mit der hehren Bibelsprache, augenzwinkernder Korruption unserer Erwartungshaltung – hervorragend umgesetzt durch die verschiedenen Erzähler – und dem Chick der Provokation.
Doch was Anfang der 90er Jahre in Portugal noch zu wütenden Prosteten der katholischen Kirche führte, muss heute nicht mehr zwingend skandalös sein. Ganz im Gegenteil: Die verspätete Hörspielproduktion lässt einen unverkrampften Blick auf die Stärken und Schwächen des Evangeliums nach José Saramago zu.
Der Autor treibt ein geschicktes Verwirrspiel mit dem Leser/Hörer. Er dekonstruiert die biblische Heilsgeschichte, montiert die einzelnen Versatzstücke neu zusammen und zwängt seine wunderbaren Sprachbilder – die selbstverständlich in der Hörspielfassung etwas verloren gehen – in das enge Korsett einer radikalen Religionskritik.
Dabei bedient er sich klassischer Topoi der kritischen Geistesgeschichte. Schließlich hatte schon Walter Benjamin in seinem legendären Trauerspielbuch die Metapher des Welttheaters gegen den Strich als Ausdruck der zutiefst säkularisierten (sic!) Weltsicht des Barocks gelesen. Auch mag einem beim Hören William Blakes pointiertes Diktum, Gott und Teufel hätten unbemerkt ihre Rollen getauscht, durch den Kopf schwirren.
Aktionistische Aufregung fundamentalistischer Besserwisser wäre also heute wie damals nichts anderes als ein um etliche Jahrzehnte zu spät gekommener Aufschrei vermeintlich anständiger Kleingeister.
Luzifer Superstar
Überhaupt scheint Saramago gerade im genialischen britischen Frühromantiker William Blake einen veritablen Stichwortgeber gefunden zu haben. Geschickt integriert er dessen Schelte des christlichen Leib-Seele-Dualismus in sein eigenes Werk, übernimmt gar die bis heute beeindruckende Sprachkraft der wunderbaren Lobeshymne auf die Freuden der Leiblichkeit, der ›Proverbs of Hell‹, in sein eigenes Werk.
Der eigentliche Sympathieträger des ›Evangeliums nach Jesus Christus‹ ist nämlich weder der sich etwas naiv in sein eigenes Verderben stürzende »Titelheld« noch der abgrundtief machtsüchtige Gottvater, sondern der besonnene Apologet der Fleischlichkeit – Luzifer höchstpersönlich. Dass der Teufel sich selbst als Schäfer vorstellt, mithin die ureigene Rolle des Menschensohnes, ist nur eine der vielen intellektuellen Spitzen, die Saramago seinem Text mit auf den Weg gegeben hat.
Doch genau hier liegt auch der Knackpunkt des Romans und somit ebenso seiner Hörspielfassung. Entkernt man Saramagos Evangelium und konzentriert sich auf das reine Nacherzählen seiner Geschichte, bleibt nur wenig übrig. Gottvater plant die Expansion seines Wirkungskreises: »Seit 4004 Jahren bin ich nun schon Gott der Juden. Gott eines winzigen Volkes. In einem kleinen Winkel der Welt, die ich mit allem, was sie hat, erschaffen habe. Kann ich zufrieden sein mit diesem offenkundigen Ärgernis?« Kann er – machtgeil, wie der böse Christengott in den Augen Saramagos nun mal ist – natürlich nicht. Aus diesem Grund mischt er seinen Samen dem eines einfältigen und gottestreuen Zimmermanns bei und zeugt so einen Sohn, der ihm durch sein Todesopfer dabei helfen soll, den ganzen Erdkreis mit seiner Religion zu überziehen. Dabei geht er über Leichen – Märtyrer, Kreuzzüge usw. inbegriffen.
Eine kluge, vorbildliche Hörspielbearbeitung
Was Saramago nun aber aus diesem eher geradlinigen Plot – der nicht umsonst implizit mit der von Machterhaltung- und Machterweiterungskämpfen gesegneten Geschichte der katholischen Kirche spielt – macht, ist literarisch aller Ehren wert. Rejudaisierung und Remythologisierung der christlichen Schöpfungsgeschichte, postmodernes Zitatenrätselraten, geballte Sprachgewalt – all dies und noch vieles mehr hat Saramagos Roman zu bieten. Vieles davon übernimmt diese kluge Hörspielbearbeitung. Die durch das Medium vorgegebene Beschränkung auf das Wesentliche macht sie durch ein stimmiges Gesamtkonzept mehr als wett.
Dem NDR ist also das Kunststück gelungen, ein Stück kritischer Weltliteratur behutsam in das Hörspielformat zu transferieren – auch wenn manchem Kritiker der Zeitpunkt dieser Bearbeitung nach einer etwas zwanghaften Aktualisierung riechen mag. Zumindest in diesem Fall kann getrost Entwarnung gegeben werden. Gott sei Dank!
Titelangaben
José Saramago: Das Evangelium nach Jesus Christus
Hörspielbearbeitung von Hans Gerd Krogmann
Hamburg Hoffmann und Campe 2007
22,95 Euro