/

Conrad Reloaded

Hörbuch | Joseph Conrad: Herz der Finsternis

Der österreichische Michael Köhlmeier hat aus Joseph Conrads berühmtester Erzählung ein extrem verdichtetes Hörspiel mit Licht- und Schattenseiten gemacht. Von SEBASTIAN KARNATZ

Conrad - Herz der Finsternis - 9783867171090Im vergangenen Jahr hätte die literarische Welt eine der faszinierendsten Figuren der Weltliteratur anlässlich ihres 150. Geburtstags feiern können. Doch Joseph Conrads rätselhaftes und schwieriges Oeuvre – mitunter auch das fragwürdige Produkt vergangener kolonialistischer Zeiten – scheint gegenüber den Mechanismen der marktschreierischen Kulturindustrie resistent zu sein.

Dies kann man zwar einerseits sicherlich begrüßen, da Conrad eine kommerzielle Ausschlachtung der Marke Alexander von Humboldt erspart geblieben ist, der Name Joseph Conrad jedoch mutet weiterhin wie eine der größeren weltliterarischen Leerstellen in deutschen Leseschränken an. Aus diesem Grund mag es sicherlich verdienstvoll sein, dass der Hörverlag vor Kurzem eine schon 1990 vom ORF produzierte Hörspielbearbeitung der Meistererzählung ›Herz der Finsternis‹ neu aufgelegt hat.

Vom irritierenden Status Conrads legt gerade jene Erzählung ein beredtes Zeugnis ab: Im kulturellen Bewusstsein ist sie wohl stärker als Vorlage für Coppolas gewaltiges Vietnam-Epos ›Apocalypse Now‹ verankert, denn als singuläres literarisches Werk. Trotz allem hat sich ›Herz der Finsternis‹ aus dem Jahr 1902 einen einmaligen Rang als symbolistisch aufgeladene, fiebrige Kolonialballade erkämpft – einen Rang, der dieser seltsamen Prosa zwischen Zivilisationskritik und Faszination an archaischer Gewalt auch ohne Zweifel zusteht.

Das Skelett der Finsternis

Man darf also durchaus gespannt sein, was der für die Hörspielbearbeitung verantwortliche Michael Köhlmeier aus der monolithisch-undurchdringlichen Textgrundlage gemacht hat. Köhlmeier, der sich in jüngerer Zeit vor allem durch seinen Hang zur literarischen Gigantomanie – Peter Mohr nannte seinen nahezu 800 Seiten starken Roman ›Abendland‹ sicherlich nicht zu Unrecht ein »urwüchsiges literarisches Monstrum« – hervorgetan hat, zeigt sich hier ganz im Gegenteil als radikaler Verknapper.

Er skelettiert Conrads Erzählung, verdichtet sie zu einer einzigen rätselhaften Ansammlung von Wahnträumen. Conrads Abgeschlossenheit suggerierende Erzählperspektive aus dem Rückblick behält er zwar bei, er verlegt sie jedoch in die klaustrophobische Enge eines Verhörs: Kapitän Marlow berichtet aus der Hölle. Und es ist ein gezeichneter Verhörter, der uns entgegentritt – mal flüsternd, mal schreiend, mal eindringlich beschwörend.

Bernd Rumpf und der nur wenige Jahre nach der Erstveröffentlichung des Hörspiels verstorbene Hans Gerd Kübel verleihen der etwas spröden Inszenierung Glanz. Sie lassen Conrads Erzählung zu einem nervenzehrenden Kammerspiel um die Grenzen unserer Zivilisation werden. Bedrückend, eng und brutal.

Leider jedoch war die Regie der Hörspielbearbeitung nicht immer auf der Höhe ihres Könnens. Die mystisch-archaisch anmutende Zwischenmusik verliert zu schnell ihren Reiz und die unnötig verhallten Stimmen der Protagonisten trüben den Hörgenuss teils empfindlich.

So lässt einen Köhlmeiers Conrad-Verknappung umrätselt zurück. Den Reiz dieses großen Klassikers vermeint man zwar immer noch zu spüren, wirklich restlos gelungen ist seine Übersetzung in die Welt des Hörspiels jedoch nicht.

Für den raschen Einstieg in den Kosmos Joseph Conrads allerdings mag diese Hörspielbearbeitung durchaus zu empfehlen sein. Jedenfalls so lange, bis sie durch eine bessere ersetzt wird …

| SEBASTIAN KARNATZ

Titelangaben
Joseph Conrad: Herz der Finsternis
Aus dem Englischen von Fritz Lorch
Hörspielbearbeitung: Michael Köhlmeier
Mit Bernd Rumpf und Hans Gerd Kübel
München: Der Hörverlag 2007
1 CD, Laufzeit: ca. 60 Minuten, 14,95 Euro

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Ein Totentänzchen geschafft

Nächster Artikel

Zur Verkaufsförderung von deutschsprachiger Literatur

Weitere Artikel der Kategorie »Hörbuch«

Vom Radio durch das Radio in das Radio

Audiobuch | Ferdinand Kriwet: Hörtexte

Ein junger Mann mit langem Haar, Lederjacke, Köpfhörer und Kofferradio schaut realitätsfern an der Fotokamera vorbei. Wohin sein Sehfeld verschwindet, bedeutet nichts. Das Hören benötigt alle Aufmerksamkeit, denn beim Hören öffnet sich die Welt. Von KLAUS HÜBNER

Dystopie für Jugendliche

Hörbuch | Neal Shusterman: Vollendet – Der Aufstand »Der zweite Bürgerkrieg, auch bekannt als Heartland-Krieg, war ein langer blutiger Konflikt um eine einzige Streitfrage. Um den Krieg zu beenden, wurden mehrere Zusätze zur Verfassung verabschiedet: ›Die Charta des Lebens‹. Beide Streitmächte, die Abtreibungsgegner und die Abtreibungsbefürworter, erklärten sich mit der Charta einverstanden«. Nach der Charta ist das menschliche Leben unantastbar, außer in der Zeit zwischen dem 13. und 18. Lebensjahr. In dieser Zeit können die Eltern »rückwirkend« abtreiben, wenn der gesamte Jugendliche als Organspende verwandt wird und so »weiterlebt«. WOLFGANG HAAN stellt die dystopische Geschichte für Jugendliche vor.

Der große Unbekannte

Hörbuch | Karl Philipp Moritz: Anton Reiser

Es soll Hörbücher geben, die es schaffen, großer Literatur neue Facetten abzuringen. Hörbücher, die aus der Begegnung von Autor und (Vor-)Leser eine nahezu magische Eigendynamik entwickeln. Liebe Leser, ich verkündige freudig: Martin Wuttkes Lesung des gewaltigen deutschen (Anti-)Bildungsroman ›Anton Reiser‹ von Karl Philipp Moritz ist so ein seltener Fall! Von SEBASTIAN KARNATZ

Das Evangelium nach José Saramago

Hörbuch | José Saramago: Das Evangelium nach Jesus Christus

Das »böse« Christentum ist der Gegenstand eines mehr als 15 Jahre alten Romans des portugiesischen Nobelpreisträgers José Saramago. Vorsicht ist geboten, wenn der NDR ausgerechnet heute, inmitten des allseits postulierten »Kampfes der Religionen« eine Hörspielbearbeitung des Skandaltextes vornimmt. Findet SEBASTIAN KARNATZ

Die Blendung im Ohr

Hörbuch | Elias Canetti: Das Hörwerk

Canetti vermittelt den Eindruck, als ginge er mit jedem Satz um, als sei er eine empfindliche Wertsache, die nicht leichtfertig verschlampt werden darf. Von THOMAS ROTHSCHILD