LOL sprach Zarathustra

Digitales | Games: Kritikerschelte

DENNIS KOGEL schaut tief in den Nabel der wütenden Spielekritik. Der Nabel schaut zurück und beschimpft seine Mutter. (Außerdem feiert er seinen Einstand im Ressort Digitales –  das freut!)

Peace_button_large»Mir gefällt was du zu sagen hast, und ich stimme mit Vielem davon überein. Gehst du zur Games Developer Conference? Es wäre schön dich persönlich zu treffen«, schreibt Jason Rohrer, Indie-Game-Star, berühmt für sein Kunst-Spiel Passage, an Alex Kierkegaard in Antwort auf einen Artikel in dem Kierkegaard darüber schreibt, dass die Ideologie des Indie-Games geniale Entwickler wie John Romero ins Aus treibt und kollektive Gehirnwäsche mithilfe von »Journlolisten« betreibt. »Niemand gibt einen Scheiß darüber, was du denkst oder welche Theorien du hast«, antwortet Alex Kierkegaard wenige Stunden später, nennt Rohrer »Artfag«, Künstlerschwuchtel, und zitiert dann Nietzsche und Wittgenstein.

Alex Kierkegaard gehört zur Avantgarde des Trolltums. Durchintellektualisiert, unhöflich, gesegnet mit dem Ton eines wütenden 15-jährigen Halo-Spielers und dem Bücherregal eines Erstsemesters der Philosophie (B.A.). Auf seiner Seite Insomnia.ac schreibt Alex Kierkegaard gegen alles, was Spielekritiker abseits der größten Seiten lieben: Indie-Games, Kunst, Experimente. Alles Müll für Kierkegaard. Jenova Chens Flower? Ein langweiliger Flugsimulator: einer von fünf Sternen! Jonathan Blows Braid? Zwei von fünf Sternen für ein Jump’n’Run, das abgesehen von den hübschen Hintergründen »einfach nur lol ist«.

»Was ich hier mache ist die beste Videospiel-Webseite der Welt und sie ist nur für die, die auch Spiele spielen«, erklärt sich Kierkegaard. »Mein zweites Buch, in dem ich Spiele nur in ein oder zwei Abschnitten erwähne, wird wertvoll für einen Jeden sein, der aufhören will ein dummes Tier zu sein.« Alex Kierkegaard mag ein merkwürdiges und größenwahnsinniges Beispiel sein für Game-Kritik, aber er ist nicht allein.

Trollkritik, oder die Kunst, sich so sehr zum Hassobjekt aufzuspielen, dass es gar nicht anders geht, als zurückzustänkern, zu beleidigen, sich in Blog-Kommentaren zu zerfetzen, »weil Spelunky/Sims/GTAIV nun einfach mal das beste Spiel des Jahrzehnts ist und du wie eine Kuh kämpfst!«, hat Hochkonjunktur.

Und das ist noch längst nicht alles …

Erst letztes Jahr machten die inzwischen über 2 Millionen Mal angeklickten Red Letter Media Reviews von Star Wars: The Phantom Menace die Runde. Darin: eine gut informierte, präzise ausgedrückte Kritik der filmtechnischen und narrativen Fehler der Star Wars Prequels, gesprochen von Mr.Plinkett, der wahnsinngen Serienkiller/Filmkritiker-Identität des sehr eloquenten und (wahrscheinlich) geistig gesunden Amateur-Regisseurs Mike Stoklasa. »Als ich mein erstes YouTube-Review drehte, benutzte ich meine normale Stimme und es war furchtbar und langweilig«, schreibt Stoklasa in einem Interview mit PopMatters, »Ich habe mich also entschieden, die Review In-Charakter zu machen. Ich meine, es ist ein enormer Haufen sinnloser Nerd-Dekonstruktion, es muss augenzwinkernd sein oder alle würden denken, ich hätte sonst nichts zu tun oder dass ich mich für einen großen Denker halte.« Stoklasas Reviews funktionieren gerade deshalb, weil er sich selbst zum Troll macht und seine fundierte Kritik mit schlechten Witzen auflockert. Das ist gar kein Kritiker, das ist bloß ein gestörter Nerd, mussten sich die ersten Entdecker der Videos denken. Und ein durchgedrehter Troll ist schon für sich genommen ein Spektakel.

Bleibt man beim Film, so scheint Armond White eine mögliche Blaupause zu sein für den wütenden Trollkritiker. White schreibt für New York Press, findet Transformers 2 und Transporter 3 gut, mag aber weder Toy Story 3, Milk oder Iron Man. Ähnlich wie Alex Kierkegaard, scheint Armond White zu hassen, was Filmkritiker lieben – und ist allein schon dadurch selbst ein bekannter Kritiker. Trotzdem ist White noch einen Schritt entfernt von der Troll-Avantgarde: keine größenwahnsinnige Persona, kein Zutritt.

Andere Game-Kritiker bieten da mehr. James Rolfe zieht als Angry Video Game Nerd seit 2006 wütend und biertrinkend die innig geliebte Vergangenheit digitaler Spiele durch künstliche Fäkalien. Früher war eben nicht alles besser und der Nintendo Powerglove war ein Stück Elektroschrott. Die Wut, mit der Rolfe eine Periode beschreibt, die meistens nostalgisch verklärt wird (Spielhallen! Powergloves! Das Pa-Link des ersten Gameboys! Atari!), ist erfrischend. Auch hier gilt: Der Kritiker wird zum Spektakel.

Das deutsche Blog These Nerds Are Made For Zockin‘ spielt mit den Klischees des Gamers. Autor Balkan Toni spricht über »steilgeile« Games, die er zwischen dem Stählen seiner jugoslawischen Muskeln, die von wahrscheinlich »steilgeilen« Frauen und Männern angehimmelt werden, verbringt. Zwischen dem Machismo steckt gekonnte Kritik an deutschen Spielemagazinen und clevere Artikel über VVVVVV und Super Meat Boy: »Ich spielte auch stets im Hypothetischen«, philosophiert Balkan Toni mit Hantel in der Hand und meckert den freundlichen Kommentar eines anderen Bloggers, dessen Blog er gerade noch verrissen hat, an: »Um Himmels willen, Kerl: WO IST DEIN JUICE?«

Am Ende des Tages …

Wenn das Internet uns alle zu Kritikern gemacht hat und jede Kritik, jedes noch so kleine Blog mit der Sprache, dem Gestus, dem Versuch ernsthafter Kritik geschrieben ist, dann ist nichts überraschend. Trollkritik sieht den Ausweg in einem LAUTEN, getippten Schrei gegen jeglichen Konsens, in offener Leserbeleidigung und in einer Kunstsprache, die sich lustig macht über konventionelle Kritik.

Kierkegaard steckt das Nietzsche-Zitat zwischen homophoben Beleidigungen und verstört damit intellektuelle Spielekritiker; Balkan Toni schimpft über fehlenden JUICE und macht sich lustig über den Nerd-Machismo der Game-Kultur; der Angry Video Game Nerd zeigt die Lächerlichkeit, aber auch die Bedeutung, Videospiele so schmerzlich zu lieben.

Ich lese Alex Kierkegaard nicht, um mich darüber zu informieren, wie man mit Wittgenstein Doom analysieren kann, sondern um Alex Kierkegaard zu verachten oder mich darüber zu freuen, wie er andere zu verachten scheint. Dabei müssen Kierkegaard und die Troll-Avantgarde nicht mal »echt« sein. Die Existenz einer beleidigenden, beißenden und meistens völlig sinnbefreiten Kritik ist genug, um höfliche Kritiker zu verstören, sie zu triezen und dazu zu bringen, ihre heißgeliebten Filme und Spiele zu verteidigen.

Trollkritik ist die Antithese zur eloquenten, cleveren und gewitzten Sprache des New Games Journalism. Trollkritik macht den Kritiker zum Spektakel und die Kritik zu einem Vorschlaghammer gegen die Konventionen der höflichen Analyse. Anders ausgedrückt: Wo bleibt der JUICE?

| DENNIS KOGEL

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Jetzt mit Extra-Ork!

Nächster Artikel

Rhapsode einer untergegangenen Welt

Weitere Artikel der Kategorie »Digitales«

Raus hier!

Digitales | Games: A Way out Achja, der schnöde Alltag: Immer wieder der ewig gleiche Trott, alles wirkt so festgefahren. Da wünscht man sich, doch einfach mal auszubrechen. Nichts wie weg hier, das Establishment aufrütteln und dem Verantwortlichen für unsere Misere eine Lektion erteilen, die sich gewaschen hat. Genau das machen Vincent Moretti und Leo Caruso in dem am 23. März 2018 erschienenen ›A Way Out‹. Erstmals auf der E3 des Vorjahres im Rahmen des Indi-Programms EA Originals vorgestellt, versprach der Titel einigen frischen Wind in die Branche zu bringen: ›A Way Out‹ setzt seinen Fokus auf eine spannende und mitreißende

Nicht Final, aber Fantasy

Digitales | Games: Octopath Traveler ›Octopath Traveler‹ schien so etwas wie der Heilige Gral all derer werden zu können, die sich nach der goldenen, der guten Zeit japanischer Rollenspielkunst zurücksehnten: Wundervoll animierte 2D-HD Sprites, inspiriert aus Spielen wie ›Final Fantasy VI‹ oder ›Grandia I‹, eine komplexe, über mehrere Wege führende Erzählstruktur, ähnlich zu ›Live-A-Live‹, sowie eine Vielzahl verschiedener Nebenquests, Charakterklassen und Entscheidungsmöglichkeiten. Kurzum – ein Spiel mit viel Potential, das leider eben solches durch altbekannte Square Enix Probleme verschenken wollte. Von DANIEL MEYER.

Wie komme ich aus dieser Falle nur wieder raus? 

Digitalspielkultur | Interview mit Autorin Jeannine Simon

Teaser: Digitale Spiele begeistern weltweit Milliarden Menschen – doch die Gaming-Industrie nutzt psychologische Tricks, um uns förmlich zu binden. Das Buch ›Die Gaming Falle‹ deckt diese Strategien auf und zeigt, wie wir bewusster spielen können, ohne den Spaß zu verlieren. Ein spannender Blick hinter die Kulissen der Spieleindustrie und ein Plädoyer für ein faires Miteinander in der Gaming-Welt. RUDOLF INDERST spricht mit der Autorin Jeannine Simon.

Nein, keiner verrät’s

Kommentar | Wolf Senff: Kulturbruch »Kulturbruch«, was ist das, kürzlich war in Anspielung auf die IT-Kultur von einem Kulturbruch die Rede. Der angesehene Ägyptologe Jan Assmann sieht einen Kulturbruch zwischen der zwanzigsten und der einundzwanzigsten Dynastie. Interessant. Klar doch, wir greifen das auf. Ein Kommentar von WOLF SENFF

Sprechstunde bei Dr. Acula

Digitales | Games: Vampyr Nosferatu, Wiedergänger, die blassen Blutsauger am Halse der Jungfrau. Vampire haben einen langen Weg durch die Popkultur hinter sich. Von den gequälten Wesen der Stummfilmperiode über machtvolle Unsterbliche bis zum modernen Glitzer-Vampir im Volvo, der Mädchenherzen verzückt. In Videospielen sind Vampire zwar oft mit dabei, aber selten die Stars. Das aktuell erschienene ›Vampyr‹ ändert das. Zusammen mit einem Bündel Knoblauch schaut FLORIAN RUSTEBERG in den Sarg des Vampir-Genres.