Digitales | Interview: Das »Flow«-Konzept
Das psychologische Konzept des »Flow« kommt bisher vor allem dann zum Einsatz, wenn die Motivation von Menschen erklärt werden soll. »Flow« beschreibt den Zustand der optimalen Erfahrung. Dabei sind Personen über einen längeren Zeitraum bei einer Tätigkeit weder unter- noch überfordert, ihre Fähigkeiten steigern sich permanent. Im Bereich der Medien- und Kulturwissenschaft tritt »Flow« bisher nur am Rande auf. Doch hat »Flow« in dem Bereich großes Potenzial, das nun mit einer Tagung herausgearbeitet werden soll. Mit einem der führenden Köpfe, Anne-Kristin Langner, hat sich RUDOLF INDERST unterhalten.
Gute Rapper haben »Flow«. Arbeitnehmer beklagen sich zu Wochenbeginn, dass sie nicht den richtigen »Flow« finden. Vielleicht sollten wir zu Beginn des Gespräches ein wenig auf die Trennschärfe achten. Was hat es genau mit dem wissenschaftlichen Konzept des »Flow« auf sich?
Jeder hatte vermutlich schon einmal ein »Flow«-Erlebnis und jeder verwendet den Begriff, um auszudrücken, dass er sich mit einer Tätigkeit im Fluss befindet. Etwas fließt und geht vorwärts, ohne dass es eine große Anstrengung erfordert. Als wissenschaftliches Konzept ist »Flow« in der Psychologie angesiedelt und wurde vor allem durch Mihály Csíkszentmihályi, Professor für Psychologie an der University of Chicago, geprägt. »Flow« beschreibt das psychologische Phänomen der optimalen Erfahrung, die dadurch entsteht, dass Personen über einen längeren Zeitraum hinweg bei einer Tätigkeit konstant weder unter- noch überfordert sind und ihre Fähigkeiten permanent steigern. Sie lernen durch die Tätigkeit hinzu, was ohne Mühe passiert und im Einklang mit den bisher erlangten Fähigkeiten geschieht. Die »Flow«-Theorie kommt mittlerweile sehr interdisziplinär zum Einsatz, zum Beispiel im Bereich der Mitarbeitermotivation. In den »Games Studies« gibt es jedoch noch keine Klärung, was »Flow« eigentlich in Bezug auf Computerspiele meint und ob das Konzept eins zu eins übertragbar ist. Das werden wir auf unserer Tagung erörtern.
Alles im Fluss …
Maßgeblich geprägt wurde der Begriff des »Flows« durch den Psychologen Mihály Csíkszentmihályi. Ein satter Nachname! Auf dem BarCamp hast Du dem Publikum eine schöne Eselsbrücke genannt, wie man den für deutsche Ohren komplizierten Namen richtig ausspricht.
Beim Spieleforschung-BarCamp habe ich einen »Lightening Talk« zu meinem Vortrag mit dem Titel ›Auf der Suche nach optimaler Unterhaltung‹. Ein »Flow«-Markt voller Goo Klumpen gemacht, den ich auf unserer Tagung gehalten habe. Dabei geht es um das Spiel ›World of Goo‹ und die Frage, ob das Konzept von Csíkszentmihályi auf das Spiel passt. Für diesen spannenden Nachnamen habe ich euch und mir eine Eselsbrücke gebaut, indem ich den Namen in Csíks – zent – mi – hályi zerlegt und anhand der Aussprache der Silben folgende Eselsbrücke erstellt habe: Csik sent me high. Das wird beides gleich ausgesprochen.
Ein Anliegen der Tagung scheint es zu sein, das Konzept des Flow als Anknüpfungspunkt zu wirtschaftlichen Kreisen zu begreifen. Wie kam es zu dieser Überlegung?
Das »Flow«-Phänomen ist äußerst komplex, gleichzeitig sehr modern und populär. Wir haben unsere Tagung aus mehreren »Flow«-Puzzleteilen zusammengesetzt, die am Ende ein fertiges Bild ergeben sollen. Unsere primäre Überlegung war es, den Aspekt des »Flow« über den Gegenstand Computerspiel anschlussfähig an die kulturwissenschaftliche Forschung zu machen. Durch Diskussionen und Gespräche unter anderem auf dem BarCamp zeigte sich das weitere Potenzial von »Flow«. Aus wirtschaftlicher Perspektive ergibt sich zum Beispiel die Frage, inwieweit »Flow« bei Computerspielen mitgedacht wird, wenn es um den kommerziellen Aspekt geht. Wir werden auch einen Vortrag haben, der sich mit City-»Flow« beim Autofahren beschäftigt. Nimmt man zur wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Perspektive noch die gesellschaftliche hinzu, kann man das »Flow« Phänomen ganzheitlich erfassen. Gesellschaftlich meint zum Beispiel »Flow« am Arbeitsplatz. »Flow« ist im Bereich der Mitarbeitermotivation bereits fester Bestandteil, folgt man diesem Beispiel und bleibt beim Gegenstand Computerspiel, so sind »Flow«-designte Tutorial-Level zur Mitarbeitereinführung oder zur Vermittlung von Unternehmensstrukturen doch durchaus denkbar. In diese Richtung bewegt sich die Theatergruppe machina eX mit ihren Umsetzungen von Computerspielprinzipien in realen Umgebungen, die wir auf der Tagung ebenfalls zu Gast haben.
Die Universität Hildesheim wirkt im Bereich Spieleforschung generell recht umtriebig: Erzähl uns doch dazu ein paar Takte.
Ja, wir sind dahin gehend sehr umtriebig. Das liegt unter anderem daran, dass die Studierenden in dem Bereich sehr aktiv sind und mit ihren Ideen in Projekte eingebunden werden. So haben bei Ladezeit: Andere Geschichten vom Computerspielen von Mathias Mertens (Hg.) viele Studenten mitgeschrieben. Bei der »Flow«-Tagung haben wir ebenfalls viele studentische Beiträge, die die Studenten im Rahmen von Experimenten erarbeitet haben, bei denen sie Spiele auf ihre »Flow«-Fähigkeit getestet haben. Für Experimente derart steht uns das Computerspielelabor zur Verfügung. Mit Dr. Mathias Mertens haben wir an der Uni überdies einen Vorreiter in dem Bereich, der durch seine Projekte und Seminare wie Computerspielästhetik entsprechende Impulse gibt. Der Dialog zwischen Dozenten, Doktoranden und Studenten ist ein sehr guter und schafft ein Klima, das solche Projekte wie »Flow« ermöglicht. Dies ist nicht nur Kennzeichen unserer Spieleforschung, sondern lässt sich auf den Fachbereich Kulturwissenschaften und ästhetische Kommunikation der Uni Hildesheim ausdehnen. Als Kulturwissenschaftler betrachten wir Computerspiele als Kulturgut und beschäftigen uns in der Forschung auch mit dem Potenzial dieses Mediums, was sich unter anderem bei »Flow« zeigt. Dadurch unterscheiden wir uns zum Beispiel von der Medienwirkungsforschung und von sozialwissenschaftlichen Studien.
| RUDOLF INDERST
| Foto: ANNE-KRISTIN LANGNER