Survival of the Cool

Musik | Chico Freeman & Fritz Pauer Trio: The Essence of Silence

Fritz Pauer, Jahrgang 1943, ist ein Stiller. Seine Seriosität eignet sich nicht für Schlagzeilen. Was nur Insidern bekannt ist: Er muss als der neben Joe Zawinul bedeutendste österreichische Jazzpianist gelten. Und das schon seit einem halben Jahrhundert. Friedrich Gulda schätzte den jungen Fritz Pauer, er hat mit ihm gespielt und wohl auch von ihm Einiges über Jazzfeeling gelernt. Und so ist es nicht verwunderlich, wenn der Saxophonist Chico Freeman, der im Lauf der Jahre mit zahlreichen internationalen Legenden des Jazz aufgetreten ist und Schallplatten aufgenommen hat, just mit Fritz Pauer und seinen kongenialen Partnern – Johannes Strasser am Bass und Joris Dudli am Schlagzeug – auf Tour geht. Von THOMAS ROTHSCHILD

The Essence of SilenceZu dieser Tournee, die am 17. Februar in Jenbach in Tirol beginnt, durch Deutschland und Polen führt und Anfang März dort endet, wo sie hingehört, nämlich mit fünf Konzerten  am Wiener Franz-Josefs-Kai im traditionsreichen und selbst in Zeiten des Rauchverbots noch stimmungsvollen Jazzland, dem Nachfolger von Art Club, Fatty‘s Saloon, Tabarin, Chattanooga oder Josefinum, hat die Formation eine Doppel-CD produziert, deren Titel aussagekräftig – Achtung, Manfred Eicher! – The Essence Of Silence heißt.

Chico Freemans Saxophon klingt stets klar, trocken, nur selten steigert es sich zu expressiven Eskapaden oder zu jenem Sound, den vor allem Frauen sexy finden. Am ehesten erinnert es an Lee Konitz, obwohl der das Altsaxophon bevorzugt hat, während Freeman Tenor- und Sopransaxophon bläst. Aber nicht nur er, das ganze Quartett schließt, unbekümmert um Zeitströmungen, ungeniert dort an, wo Bebop und Cool aufeinander trafen – gelegentlich wird der Begriff des »Modalen Jazz« verwendet. Und das ist so zeitlos wie Bach, Mozart und Bartók.

Das Schöne am Jazz ist ja, dass er Egomanie bestraft. Wenn improvisierende Musiker nicht auf einander eingehen, wird nichts daraus. Aber die Bescheidenheit und Unterordnung unter das gemeinsame Musizieren bedeuten nicht, dass die einzelnen Beteiligten nichts zu bieten hätten. In den Soli wird das am ehesten erkennbar, aber auch im kollektiven Spiel »stimmt« jede Note, jede Zutat der Rhythmusgruppe. Man höre nur genau hin, mit welchem Erfindungsreichtum Pauers rechte Hand Läufe erfindet, wie seine linke Hand Akkorde setzt. Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden heißt ein berühmter Aufsatz von Kleist. Über die allmähliche Verfertigung von Musik beim Spielen müsste die Formel für solchen Jazz lauten. Das ist technisch perfekt, aber niemals bloße Routine. Und Freeman verwechselt musikalische Substanz niemals mit leerer Virtuosität, mit oberflächlichen Reizen.

Selbstverständlich ist der Titel der CD gelogen. Stille wäre das Nichts. Aber Chico Freeman und das Fritz Pauer Trio fügen diesem Nichts nur das Notwendigste hinzu. Und das ist von einer Schönheit, die unkonzentriertes Zuhören verbietet.

Im Beiheft lobt Chico Freeman die menschlichen Qualitäten seiner drei Kompagnons, die er erst 2007 kennengelernt hat, als er zu einem Jazzfestival nach Wien eingeladen wurde. Das ist mehr als eine höfliche Geste. Diese Qualitäten schlagen sich in der gemeinsamen Musik nieder. Sechs der vierzehn Titel hat Chico Freeman, vier hat Fritz Pauer geschrieben.

Eine seiner Kompositionen widmet Pauer McCoy Tyner. Auch dies ein Hinweis, in welche Richtung man assoziieren darf, wenn man die vorliegende CD jazzgeschichtlich einordnen möchte. Und selbstverständlich schwebt über allem der Geist von Thelonious Monk, ohne den das moderne Jazzpiano ebenso wenig denkbar ist wie das moderne Saxophon ohne John Coltrane.

Bei Chico Freemans Ballade To Hear a Teardrop in the Rain kommt Blues-Stimmung auf, und am Schluss, bei Dennis und Brents Angel Eyes in einer elf einhalb Minuten langen Version wird das Quartett noch funky. Eine typische Zugabe.

| THOMAS ROTHSCHILD

Titelangaben
Chico Freeman & Fritz Pauer Trio: The Essence of Silence
Erschienen bei: Jive

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Blood and Guts

Nächster Artikel

Eine wunderbare literarische Entdeckung

Weitere Artikel der Kategorie »Platte«

Jenseits von Bushido und Co.

Musik | Tim Taylor: Ein anderer Grund Die Klänge von Tim Taylors neuem Album Ein anderer Grund sind hart, nicht immer heiter, aber ehrlich. Unverblümte Texte, vorgetragen im Sprechgesangsmodus vereinen sich mit stimmigen Melodien in einem Musik-Buch Projekt. Ein anderer Grund ist alles andere als kommerzieller Sensations-Hip Hop. Diese Platte fordert das Zuhören. Von ANNA NISCH

Folkdays aren’t over – Tish Hinojosa/Luai

Musik | Tish Hinojosa:After The Fair/Luai:Boulder Thicket/Nataly Dawn: How I Knew Her Mehr Songwriting-Veröffentlichungen – diesmal von drei Frauen der eigenwilligsten Art: Tish Hinojosa, Luai, Nataly Dawn. Gehört von TINA KAROLINA STAUNER

Folkdays aren’t over – Broken Twin

Musik | Broken Twin – May Majke Voss Romme als Broken Twin: Lo-Fi-Attitude, Reduktion, Minimalismus und liebevolle Kleinigkeiten und Details in melancholschen und hoffnungsvollen Liedern von ›May‹. Von TINA KAROLINA STAUNER

SOUL TALES

Musik | Motown Classics The Motown-Family – Soul went Disco, Disco, Disco…styled and hyped – 24 Hour Hitsville U.S.A. , Motor City goes Rap Von TINA KAROLINA STAUNER

A Different Kind Of Racket: June/July’s New Albums Reviewed

Music | Bittles’ Magazine: The music column from the end of the world I was watching Wimbledon the other day when I came to the startling realisation that tennis is boring. Hoping that all it might need was a good soundtrack, I reduced the volume on the telly, replacing it with the morose musings of Darklands by The Jesus And Mary Chain. Much Better! Experiencing yet another epiphany I turned the TV off altogether, allowing the Reid brothers the attention they fully deserve. By JOHN BITTLES