Er lebt, und er weiß es

Musik | Randy Newman – live in Stuttgart!

Es muss einfach einmal gesagt werden: Er ist einer der Größten. Nächstes Jahr wird Randy Newman siebzig, und seine Zuhörer sind mit ihm alt geworden. Aber es sind genug, um den Stuttgarter Hegel-Saal zu füllen, einen Konzert- und Kongress-Saal von imponierendem Fassungsvermögen. Von THOMAS ROTHSCHILD

Masahiro Sumori, RandyNewman nojhf May12008, CC BY-SA 3.0Randy Newman ist ein Singer Songwriter im engsten Verständnis, das amerikanische Gegenstück zum deutschen Liedermacher. Und er ist in allen drei Sparten, die den Singer Songwriter ausmachen, ein Gigant: als Texter, als Komponist und als Interpret.

Seine Schallplatten nimmt er in der Regel mit großer Besetzung auf. Der Sohn des renommierten Filmkomponisten Alfred Newman weiß, was ein Orchester zu leisten vermag. Aber bei seinen Live-Auftritten setzt er sich an den Flügel und singt seine Lieder, ohne Show, ohne Klimbim, einfach nur so – und mehr braucht es auch nicht.

In Stuttgart fängt er mit jenem Song an, der der Gruppe Three Dog Night einen Hit beschert hat: Mama Told Me Not To Come. Er singt im Laufe von gut zwei Stunden den Ragtime Birmingham und Short People, gegen die heftige Proteste laut wurden, You’ve Got A Friend In Me aus dem Film Toy Story, You Can Leave Your Hat On, diese Voyeurs-Hymne, die auch Joe Cocker zu einem Riesenerfolg verhalf, Political Science, In Germany Before The War, Baltimore, Louisiana 1927, Harps And Angels, Lonely At The Top, Sail Away oder I Think It’s Going To Rain Today.

Randy Newman wurde oft missverstanden, weil man seine Ironie nicht erkannt und seine Texte beim Wort genommen hat und weil bei Rollenliedern die geäußerte Meinung immer wieder für die Meinung des Autors gehalten wird. Naive Gemüter verwechseln die Karikatur, die Randy Newman entwirft, mit ihm selbst. Sein Spott soll in erster Linie den US-amerikanischen Spießer treffen, den Rassisten aus den Südstaaten und den Patrioten, der am liebsten die ganze Welt God’s Own Country unterordnen würde, und sei es, indem er sie mit »the Big One«, der Atombombe, »pulverisiert«. Es bedarf schon eines einfältigen Gemüts, um Randy Newman für einen der Ihren zu halten.

Aber er macht sich auch über sich selbst lustig, wenn er, vom Publikum unterstützt, bekennt: »I’m dead, but I don’t know it.« Und Randy Newmans Songs können einfach zärtlich sein, intim, herzerwärmend. Er steht in der Tradition von Hoagy Carmichael. Man könnte fast sagen: Er ist dessen legitimer Nachfolger. Er singt mit gepresster Stimme, heiser, unverwechselbar. Nein, das ist nicht, was Opernfreunde eine schöne Stimme nennen würden. Aber welch eine Ausstrahlung, welch ein Charisma. Die Fans wissen, was sie an ihm haben. Einer brüllt hinauf auf die Bühne: »Mach weiter, Randy.« Es fällt auf, weil hier ein Publikum sitzt, das lieber zuhört als sich selbst darzustellen. Dieser Zwischenruf aber wird akzeptiert. Nächstes Jahr wird er siebzig. Ein Flügel auf einer leeren Bühne wird sich auch weiterhin für ihn finden.

| THOMAS ROTHSCHILD
| FOTO: Masahiro Sumori, RandyNewman nojhf May12008, CC BY-SA 3.0

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Adaption und Orient

Nächster Artikel

Sibirien in Münster

Weitere Artikel der Kategorie »Live«

Graf von Krolock bittet erneut zum Ball

Bühne | Musical: Tanz der Vampire ›Tanz der Vampire‹ ist seit vielen Jahren ein wahrer Dauerbrenner auf sämtlichen Bühnen Europas. Die schaurig-amüsante Geschichte von Michael Kunze verbindet den Reiz des Mystischen und Unerklärlichen mit einem Hauch (Homo-)Erotik. Und neuerdings überrascht es mit wahrhaft gruselig-schönen Tanz-Choreographien. ANNA NOAH ist fasziniert von der aktuellen Version.

It’s Showtime!

Bühne | Show: Holiday on Ice - Showtime

»Holiday On Ice« hatte vor zwei Jahren 75-jähriges Jubiläum. Zu diesem wurde eine neue, besondere Show kreiert, welche die Zuschauer längst in ihren Bann gezogen hat.
»Showtime« zeigt die Highlights einer »eisigen« Erfolgsgeschichte.
ANNA NOAH bestaunt die einfallsreichen Kostüme.

Das sind die Bretter, die die Welt bedeuten!

Bühne | Mikro-Musical am Altonaer Theater Hamburg »Und nimm‘ jetzt auch mal bitte die Hand von meinem Knie, ich bin zweimal so alt und stehe nicht auf Päderastie!« »Madame, was die Zahl der Jahre angeht, das sag‘ ich einfach mal, das ist mir so was von schnurzpiepscheißegal!« Als Delio bei einem Casting auf seine frühere Lehrerin trifft, flammen nicht nur alte Gefühle wieder auf. Ein hochamüsantes Duett über die Liebe zum Leben und zur Bühne. Aber Vorsicht: Hier bleibt kein lachendes Auge trocken. Von MONA KAMPE

Koma, Koks und Kiss-Cam

Live | 42. Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt 14 Autoren, 7 Juroren, 5 Preise, 1 Stipendium und eine charismatische, längst nicht mehr lebende Namensstifterin im Geiste: das zeichnet den diesjährigen Klagenfurter Bachmannwettbewerb (4. bis 8. Juli 2018) aus. Seit mehr als vier Jahrzehnten lockt der Charme des Ortes, der ganz besondere Mix zwischen See und Gesehenwerden, zwischen Thrill und Chill. Von INGEBORG JAISER

Die letzte Rockband

Musik | Ottar Gadeholt über die mythologische Seite von Guns N’Roses (Teil I) »You know where you are? You’re in the jungle, baby. You’re gonna diiiieeeeeee.« Zwar sind sie in manchen Kreisen immer noch populär, ich kenne aber keine Rockband, über die so viel gelästert wird wie über Guns N’Roses. U2 könnte man vielleicht aufzählen, oder Coldplay; es ist aber in der Regel nicht die Band U2, über die man sich aufregt, es sind eher PR-Geilheit, Selbstgerechtigkeit und Heuchelei, die Eiter und Galle hervorrufen. OTTAR GADEHOLT nähert sich dem Rockphänomen Guns N’Roses. Im ersten Teil geht es um die Frage,