//

Sibirien in Münster

Krimi | Im TV: Tatort ›Hinkebein‹ (WDR)

Kann eine Krimihandlung konstruiert wirken? Aber sicher: sofern sie unrealistisch viele Zutaten enthält und irgendwie Zutaten hineingeraten sind, die sich nicht zueinander fügen wollen, die nicht harmonieren. Da droht der Überblick verloren zu gehen und der innere Zusammenhang des Films. Es gibt zu viele Szenen in Hinkebein, in denen dieses Gefühl aufkommt (Regie: Manfred Stelzer). Von WOLF SENFF

Tatort: Hinkebein (WDR/ARD)
Tatort: Hinkebein (WDR/ARD)
Die Hinführung zum Mord geschieht recht zügig. Nur die russische Delegation, die sich mit der Ermittlungsarbeit der Münsteraner vertraut machen möchte, wirkt von Anfang an überflüssig wie ein Salatblatt neben einem Schnitzel. Kein Wunder, dass Thiel sich zu drücken versucht, wo und wie er nur kann. Man hätte uns den Film besser ohne diese Beigabe serviert (Buch: Stefan Cantz, Jan Hinter). Zu viel Aufwand, um einen Pressesprecher (Arndt Schwering-Sohnrey) zu positionieren. 
 
Die Leiche, Katja Braun (Tanja Schleif), spielte einst eine Rolle in der Biographie von Professor Boerne (Jan Josef Liefers), hatte jedoch seitdem diverse Stufen sozialen Abstiegs hinter sich und lebte allein. Die hochbegabte Tochter Marie (Michelle Barthel), keine sechzehn, hat wenig Kindliches oder auch nur Jugendliches an sich, sehr eindrucksvoll. Sie wächst in einem Internat auf, qua Stipendium, lebt ansonsten beim Vater (Ole Puppe). Und selbstverständlich wird rumgealbert, dass Boerne ihr Vater sein könnte.

Ja, interessante Figuren, jede für sich – aber zu viele davon. Es gibt auch noch Heinz Kock (Wolfram Koch), der sich dem Zugriff der Justiz entzog, jahrelang in Vietnam lebte und nun, wie der Zufall so will, in den Fall hineinschneit – ein Verschwörungstheoretiker, verdächtig, als Figur sehr präsent. Und auch diese Vergangenheit will aufgeklärt werden …
 
»Ich bin inzwischen Buddhist, respektiere jedes Leben, aber bei Ihnen würde ich gern mal ne Ausnahme machen.« Ja, Kock, witzig. Die Staatsanwältin kalauert: »Ich nehm das auf meine Kippe.« Frau Klemm (Mechthild Grossmann) war auch schon besser drauf. Überhaupt fragt man sich angesichts der recht ernsthaft angelegten Episodenrollen, ob das parodistische Element in diesem Film funktioniert. Kommissar Thiel (Axel Prahl), der erwartungsgemäß zu Fuß auf Verfolgungsjagd geschickt wird, rennt in Hinkebein zweimal Verdächtigen hinterher: den Hinkebein, den holt er ein und hat andere erhebende Auftritte. Als Batman ist er makellos.
 
Neue Akzente, mit denen die Hauptfiguren versehen werden, irritieren eher: Nadeshda Krusenstern (Friederike Kempter) ist diesmal, man möchte es nicht glauben, schon durch die Maske mit Liebreiz ausgestattet, Professor Boerne, eben noch »Tiger«, wird anschließend beharrlich als Geizhals stilisiert. Geht das zusammen? Der TATORT aus Münster hat mir sonst immer gefallen, er war stets rund, mir hatte nichts gefehlt.

| WOLF SENFF

Titelangaben
TATORT: Hinkebein (Westdeutscher Rundfunk)
Regie: Manfred Stelzer
Ermittler: Axel Prahl, Jan Josef Liefers
So., 11.3.2012, ARD, 20:15 Uhr

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Er lebt, und er weiß es

Nächster Artikel

Von digitalen Würmern und dichotomischen Weltbildern

Weitere Artikel der Kategorie »Film«

Kein Leben wie ein Gürteltier

Film | Neu im Kino: Ich und du (Italien 2012) Bernardo wer? Er arbeitete mit am Drehbuch für Spiel mir das Lied vom Tod? Lang ist’s her. Führte Regie in dem grandiosen Opus 1900 (Novecento, 302 Min.)? Drehte Der letzte Kaiser? Wann war das? Ach ja, 1968, 1976 und schließlich 1987 – oh, oh, finsteres Mittelalter. Seinerzeit wurde zum ersten Mal einer westlichen Filmproduktion gestattet, in der »Verbotenen Stadt« zu arbeiten. Von WOLF SENFF

Ungemein erfolgreich

Gesellschaft | H.Lorenz, L.Franke, G.Koppel (Hg.): Wer rettet Wen? – Die Krise als Geschäftsmodell / Auf DVD: L.Franke, H.Lorenz: ›Wer rettet wen? Die Krise als Geschäftsmodell auf Kosten von Demokratie und sozialer Sicherheit‹ Herdolor Lorenz und Leslie Franke genießen als Dokumentarfilmer einen besonderen Ruf, ihre Arbeiten sind stets dicht am Puls der Zeit. »Bahn unterm Hammer« (2007) begleitete die Debatte um die Privatisierung der Bundesbahn, »Water makes Money« (2011) erschien punktgenau zum Konflikt um die Privatisierung der Berliner Wasserversorgung. Von WOLF SENFF

Die Alternativen sind kaum vielversprechend

Film | Japan-Filmfest Hamburg ›Spinning Kite‹ Samstag, 31. Mai, 13:00 Uhr, Metropolis-Kino Mit ›Heavy Metal‹ wird eröffnet, ›Coming of Age‹ heißt das Genre, sein Thema: die Initiation, das Erwachsenwerden. Nach ihrem Gig sitzen Maki, Kido, Jun und Bunji in der Kneipe, das lässt sich gut an. Sie torkeln durch nächtliche Straßen und schlafen auf einem Kinderspielplatz ihren Rausch aus. Nun sind wir neugierig. Von WOLF SENFF

Kung Fu und der innere Frieden

Film | Im Kino: The Lego®Ninjago®Movie™ Was haben wir denn hier? Kurz nach dem Lego®Batman®Movie™, der Anfang des Jahres erst in den Kinos kam, startet nun der Lego®Ninjago®Movie™ durch. Das selbst ernannte beste Spielzeug der Welt findet Geschmack an der Kinoleinwand! Könnte es sein, dass hinter dem Plastik-Spektakel trotz Grenze zur Albernheit mehr steckt, als man sieht? ANNA NOAH geht dem Lego®-Film-Phänomen auf den Grund.

Polizei und Jugendszene

Film | Im TV: ›TATORT‹ Borowski und die Kinder von Gaarden (NDR), 29. März »Wo Sie herkommen, kriegen die Eltern schon hysterische Anfälle, wenn der Sportlehrer die falsche Trainingshose anhat.« Wir sind in Kiel-Gaarden, erstens, und zweitens geht es um Sexualität, ist das so interessant, das hatte der Kieler ›TATORT‹ doch gerade erst neulich. Von WOLF SENFF