Ein Dokument des Exils

Film | Auf DVD: Shadows in Paradise. Hitler’s Exiles in Hollywood

Es gibt eine bemerkenswerte Diskrepanz zwischen der verlautbarten Empfindlichkeit, mit der man in Deutschland – zuletzt im Zusammenhang mit dem skandalisierten »Gedicht« von Günter Grass – auf Kritik an Israel reagiert, und der historischen Tatsache, dass man nach 1945 in Deutschland ebenso wenig wie in Österreich daran interessiert war oder gar dazu beigetragen hätte, dass die von den Nationalsozialisten ins Exil gejagten Juden, die den Holocaust überlebt hatten, in ihre Heimat zurückkehren. Man wollte sie, um es unverblümt zu sagen, hier nicht haben. Von THOMAS ROTHSCHILD

Shadows in ParadiseDafür gibt es zahlreiche Zeugnisse, unter anderem in Klaus Brieglebs Buch über die Gruppe 47 oder in der eben erschienenen Untersuchung über Antisemitismus in Österreich von Maximilian Gottschlich. Erst sehr spät, im Kontext der Studentenbewegung von 1968, begann man, sich mit dem Exil auseinanderzusetzen, akademisch in erster Linie und publizistisch. Das Problem freilich besteht, dass der Erfahrung des Exils, des Lebens in einer fremden Umgebung, in einer fremden Sprache, seiner Heimat beraubt, von Freunden und Verwandten entfernt, von denen noch dazu viele ermordet wurden, mit dem quälenden Bewusstsein, dass man ihnen nicht rechtzeitig zur Ausreise verhelfen konnte, mit Statistiken und Biographien nicht beizukommen ist. Es bedürfte der emotionalen Beteiligung. Sich aber in fremde Schicksale hineinzudenken und hineinzufühlen, noch dazu wenn verdrängte Schuldgefühle damit in Konflikt geraten, ist außerordentlich schwierig. Wir weinen eher über die fiktiven Tragödien im Kino als über die realen Tragödien, von denen berichtet wird.

Es mag ungerecht sein, dass selbst in dieser Situation noch ein Unterschied gemacht wird zwischen den Tausenden namenlosen Exilanten und den Prominenten, die, keineswegs nur Juden, nach 1933 das Land verlassen mussten. In Los Angeles lebten in den Jahren des Dritten Reichs mehr hochkarätige deutsche und österreichische Schriftsteller und Komponisten, als Deutschland und Österreich heute aufzuweisen haben. Der Film von Peter Rosen handelt von ihnen. Er setzt sich im wesentlichen aus Statements zusammen, von den Exilanten, zum geringeren Teil im O-Ton, selbst und von Zeugen. Man erfährt viel, was man, mit der Materie vertraut, schon wusste, und manches Neues. Wenn der Film dennoch unbefriedigend bleibt, dann liegt es an seiner Oberflächlichkeit: 55 Minuten reichen für das Thema einfach nicht aus. Das Format des Fernsehfeatures wird nicht gesprengt. Solange aber keine Alternative vorhanden ist, kann man dieser DVD nur weite Verbreitung wünschen. Immerhin zeigt sie Bilder und Filmszenen mit Thomas Mann, Arnold Schoenberg, Hanns Eisler, Salka Viertel, Fritz Lang und anderen Persönlichkeiten, deren Namen die Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts prägen. Schwerlich wird man aus jenen, die sich dem NS-Regime gefügig erwiesen haben, solch eine Galerie zusammenstellen können.

Vielleicht ist das ja einer der Gründe, weshalb vielen Zeitgenossen Juden in Los Angeles oder auch in Tel Aviv willkommener geblieben sind als in Berlin oder Frankfurt. Man war eine unliebsame Konkurrenz los geworden.

| THOMAS ROTHSCHILD

Titelangaben
Shadows in Paradise. Hitler’s Exiles in Hollywood
EuroArts 2058268
55 Min. 29,00 Euro

1 Comment

Ihre Meinung

Your email address will not be published.

Voriger Artikel

Ewig jung

Nächster Artikel

Mariss Jansons besiegt Stefan Herheim im Duell

Weitere Artikel der Kategorie »Film«

Heimat wehrt sich in uns

Menschen | Zum 90. Geburtstag des Regisseurs Edgar Reitz

Der bekannte Filmregisseur Edgar Reitz ist fremdgegangen und hat pünktlich zu seinem 90. Geburtstag einen opulenten Band mit Lebenserinnerungen veröffentlicht. Selbstverständlich spielt in diesem Buch auch seine Arbeit als hochgelobter Filmregisseur eine zentrale Rolle. Von PETER MOHR

Die Ausrichtung der Bretter vor unseren Köpfen

Film | Ab 10.Oktober im Kino: Aus dem Leben eines Schrottsammlers Dieser Film gibt uns Aufschluss über unsere eigenen Sehgewohnheiten. Oder, anders formuliert: Er hilft uns, die Ausrichtung der Bretter vor dem eigenen Kopf wahrzunehmen. All das strahlend neofeudale Auftreten, das sich die heimischen Hollywood-Blaupausen längst zueigen gemacht haben bzw. in europäisierter Version kredenzen, geht diesem Film ab. Wie angenehm. Von WOLF SENFF

»Wenn du jemanden liebst, schieß ihm ins Gesicht«

Film | Zombieland – Doppelt hält besser

Zombies im Weißen Haus, Zombies in Elvis‘ Graceland, Zombies überrennen eine Hippie-Hochburg. Wie schon der erste Teil ist auch der Nachfolger ›Zombieland – Doppelt hält besser‹ ein Roadmovie mit skurrilen Begegnungen an ungewöhnlichen Orten, garniert mit untoten Beißern und viel Humor. Da der erste Teil in den zehn Jahren seit seiner Veröffentlichung zumindest in seinem Genre Klassikerreife erlangt hat, ist die entscheidende Frage, ob und wie der zweite Teil die Originalität des ersten Teils erreichen kann. Bloß eine Wiederholung zu sein, wäre zu wenig, findet BASTIAN BUCHTALECK

»Suchen Sie was, oder erinnern Sie sich gerade?«

Film | Im TV: ›TATORT‹ – 905 Der Fall Reinhardt (WDR), 23. März und Die Fahnderin (WDR/NDR), 26. März Ungewöhnlich. Aber so kann man fragen, ja, und in diesem Fall passt es sogar. Es geht um eine retrograde Amnesie, die sich nach und nach aufhellt, die Erinnerung kehrt zurück und eine zutiefst verzweifelte Situation stellt sich ein, drei Schritt schon überm Abgrund, wie weit kann man ins Verderben laufen, aber schlussendlich gibt’s Pillen und wirst sediert. Das wär’s fast schon. Von WOLF SENFF

Der Zauber des Scheiterns

Digitales | Games: Duke Nukem Forever ›Duke Nukem Forever‹ ist nach über einem Jahrzehnt des Wartens nun doch erschienen. Da zu diesem Thema die verschiedensten Köpfe bereits schrieben, will RUDOLF INDERST in diesem Beitrag nur indirekt über das Spiel sprechen – viel lieber möchte er an das Filmprojekt ›The Man Who Killed Don Quixote‹ erinnern.